Anlaufstelle in Krisensituationen: Festivalseelsorger in #Wacken

Teil des Seelsorgerteams mit Jarste Morgenthaler (2. v. r.). Copyright Harald Keller.

Teil des Seelsorgerteams mit Jarste Morgenthaler (2. v. r.). Copyright Harald Keller.

Am Donnerstagmittag geht es ausgesprochen entspannt zu im Ambulanzbereich des Festivals in Wacken. Das zentrale Publikumsgelände mit den beiden imposanten, weithin sichtbaren Hauptbühnen ist noch nicht eröffnet. Traditionsgemäß werden dort am frühen Nachmittag Skyline den Reigen der Headliner eröffnen. Jarste Morgenthaler hat Zeit für ein Gespräch. Wir sitzen im weißen Pagodenzelt unter dem schwarzen Banner „W:O:A Seelsorger – Spiritual Guidance“.

Jarste kennt das Festival gut. 2003 war sie zum ersten Mal dabei, damals noch privat. Später hörte sie von der Arbeit des Seelsorgeteams und „war sofort Feuer und Flamme“. Sie ist Psychologin und gehört seit 2011 selbst zu den Beratern, die den Festivalbesuchern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Es mag überraschen, aber Jarste selbst ist nicht konfessionell gebunden. Der Punkt ist ihr wichtig: „Bei uns wird nicht missioniert.“

Die Festivalseelsorge ist ein Angebot des Jugendpfarramtes der evangelischen Nordkirche, richtet sich aber keineswegs nur an Christen. „Wir reden mit Menschen aller Glaubensrichtungen, auch mit konfessionslosen“, sagt Jarste. „Unsere Haltung ist natürlich von christlich-ethischen Glaubensgrundsätzen bestimmt. Damit kann ich mich identifizieren. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man an die Bibel glauben muss.“

Bisweilen kommen Festivalbesucher von sich aus mit religiösen Fragen oder wegen einer Glaubenskrise. Die Pastoren im Team stehen in solchen Fällen als Gesprächspartner bereit. Das Spektrum der Anliegen ist indes sehr viel breiter. Entsprechend setzt sich die Beratergruppe aus Sozialpädagogen, Psychologen, Erziehern, Psychotherapeuten zusammen. Allzu konkret möchte Jarste nicht werden. Alle Gespräche unterliegen strengster Diskretion; jeder Mitarbeiter hat eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Die Klienten bleiben anonym, Foto-, Film- und Tonaufnahmen sind im Beratungsbereich nicht erlaubt. Mit anderen Worten: Was in Wacken passiert, bleibt in Wacken.

Verallgemeinert lässt sich sagen, dass vielen Ratsuchenden, vor allem solchen, die erstmals ein derart großes Festival besuchen, die überwältigenden Sinneseindrücke zu schaffen machen. „Überforderungserleben“ nennen es die Experten. Probleme im Freundeskreis oder in der Beziehung bis hin zum altbekannten Liebeskummer, auch akutes Heimweh oder Sorge um andere sind Themen, die im geschützten Raum des Seelsorgezeltes zur Sprache kommen. Äußere Umstände können Krisen auslösen oder verstärken. Das Wetter ist ein solcher Faktor – ein abgesoffenes Zelt, im Matsch verlorene Papiere, überhaupt alles, was im ersten Moment ein Gefühl der Orientierungslosigkeit oder Verlorenheit hervorruft.

Da hilft es schon, wenn man jemandem von der Misere erzählen kann. „Manchmal“, so bestätigt Jarste, „lassen sich diese Sachen durch ein Gespräch oder einen guten Ratschlag schon lösen.“ Notfalls empfehlen die Berater weiterführende Hilfsangebote. Sie sind innerhalb des Festivals und darüber hinaus gut vernetzt und werden von der Veranstaltungsleitung unterstützt.

Wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Sanitätern, die Menschen in entsprechenden Problemlagen an das Seelsorgeteam weiterleiten. Die Berater in den blauen Westen sind auch selbst auf dem Gelände unterwegs, auf den Campingplätzen, in den Reihen des Publikums. Zwei Mitarbeiter halten sich in den Konzertphasen im Bühnenbereich auf. Die Lautstärke, das Gedränge – da kann es zu Panikattacken kommen. Bei Bedarf sind die Berater im Nu zur Stelle.

Neunzehn Mitarbeiter umfasst das Team insgesamt. Sie arbeiten in vierstündigen Schichten zwischen 13 Uhr und 5 Uhr. Außerhalb der Sprechzeiten sind sie im Notfall über die Einsatzkräfte telefonisch zu erreichen. Große Dramen sind zum Glück rar. Das Wacken Open Air sei „ein sehr friedliches und fröhliches Festival.“ Jarstes Einschätzung deckt sich mit der Wahrnehmung vieler Besucher. Das ist nicht selbstverständlich, wie erfahrene Festivalnomaden zu berichten wissen. Anderswo könne es schon mal ruppiger zugehen.

Einer der Gründe, weshalb die Metalfans vom Stamme der Wackinger ihrem Festival so treu sind. Das merkt auch Jarste, die selbst gern Melodic Metal hört, Bands wie In Flames, Children of Bodom, Blind Guardian, Iron Maiden. Manchmal melden sich Klienten bei ihr, die in einem der Vorjahre die Hilfe der Seelsorger gesucht hatten und auf ein zwangloses Hallo vorbeischauen.

Das ist schön für uns zu sehen“, sagt sie. „Ein schöner Lohn.“

Das Beratungsangebot in Wacken hat inzwischen eine Art Modellcharakter bekommen. In- und ausländische Festivals, unter anderem in der Schweiz, wollen das Konzept übernehmen.

Rain Or Shine – Wacken-Tagebuch Teil 3

 

Heute war Altherrenabend mit vorgezogenem – meint: nachmittäglichem – Beginn. Foreigner, Whitesnake, Iron Maiden – „sogar ich würde eigens herkommen, um das zu sehen“, sagte Biff Byford von Saxon, die nachmittags das Programm der verdienten Veteranen eröffneten. Saxon als Wacken-Stammgäste hatten leichtes Spiel. „747“ wurde gewünscht und gespielt, „Wheels of Steel“ jubelnd begrüßt, „Heavy Metal Thunder“ dem verstorbenen Lemmy Kilmister gewidmet, der laut Byford „eigentlich heute hätte hier sein sollen.“ Wohl wahr.

Über die Musik von Foreigner kann man streiten, aber die einstigen Hitlieferanten wurden mehr als wohlwollend aufgenommen. In der jetzigen Besetzung ist noch Mick Jones aus der Urbesetzung dabei, aber Sänger Kelly Hansen trifft exakt das Timbre seines Vorgängers Lou Gramm. Und er liefert eine wirklich gute Show, hüpft über die Bassboxen, klettert von der Bühne und klatscht die erste Reihe ab und sprintet von der Black Stage rüber zur True Metal Stage, wo er nun wirklich nichts zu suchen hat. Aber Respekt vor der sportlichen Leistung.

Und dann Whitesnake. Für viele überraschend, die Band um Sänger David Coverdale an so prominenter Stelle im Programm zu finden. Aber die Veranstalter wussten, was sie taten. Whitesnake rockte amtlich ab, präsentierte viele alte Titel deutlich härter als in der Albumversion. Allerdings hört sich Coverdale heute auch anders an als in den 80ern, als der Formation mehrere internationale Hits gelangen. Ihr Berichterstatter hat Whitesnake zum ersten Mal seinerzeit – damals mit Bernie Marsden und Micky Moody an den Gitarren und dem großen Jon Lord an den Keyboards – im Vorprogramm von AC/DC gesehen. Und drolligerweise klingt Coverdale heute beinahe wie der in den Vorruhestand geschickte Brian Johnson. Also Axl Rose raus, Coverdale rein – das könnte funktionieren.

Whitesnake begannen bei strahlendem Sonnenschein. Dann flog ein Flugzeug über das Festivalgelände, und plötzlich schüttete es wie aus Regentonnen. Bitte schön, liebe Verschwörungstheoretiker, macht was draus. Schweren Herzens zog sich der Chronist in den Pressebereich zurück. Die Übertragung läuft nebenan auf der Großbildwand und das klingt nach Maiden in Bestform., hier entsteht der aktuelle Report. Aber ganz klar: Rock ’n‘ Roll ist das nicht. Also rasch getippt, dann wieder rüber – rain or shine.

Übrigens: Wenn man die Fotos anklickt, werden sie größer.