Verhört

In jeder  Sparte der feuilletonistischen Kulturkritik werden Kenntnisse des jeweiligen Kanons vorausgesetzt. Nur auf den Fernsehseiten geht es auch frei nach Schnauze. Sarah Mühlberger von der „Frankfurter Rundschau“ hörte bei der Ansicht der ersten Folge von „The Good Wife“ (ProSieben) einen leicht angeschrägten Klingelton, tippte mutwillig auf das eindringliche Thema aus Hitchcocks „Psycho“ und schrieb dies einfach mal so hin. Tatsächlich aber hat die Heldin der fraglichen Serie ihr Telefon mit dem Leitthema des Serienklassikers „The Twilight Zone“ (dt. „Unglaubliche Geschichten“) geladen. Die Verwechslung hat ungefähr den gleichen Rang, wie wenn ein Kunstkritiker Koons und de Kooning durcheinander würfe. Kurzum: Es geht gar nicht.

Zu „Unwahrscheinliche Geschichten“ vergleiche (leider tonlos, dafür aber informativ): Harald Keller, Kultserien und ihre Stars, Reinbek  b. Hamburg, 1999, Seite 433ff.

Ekel im Angesicht der Wirklichkeit

Eine interessante „Welt“-Sicht offenbart „Welt online“ mit dieser Interviewfrage: „In dieser DSDS-Staffel gibt es jede Menge Schicksalsschläge: Gefängnis, Arbeitslosigkeit, Krankheit und Drogen. Warum nennen Sie die Show nicht ‚Deutschland sucht den Superskandal’?“

Es ist folglich skandalös, wenn sich jemand erdreistet, arbeitslos oder krank zu werden? Wohl eher nicht gemeint war hier, dass die mit statistischen Tricks verschleierte hohe Arbeitslosenrate als solche einen Skandal darstellt.

Und auch in diesem Text klingt wieder an, dass man ’solche Leute‘ – Asis nennt sie die Szene – nicht auf dem Bildschirm sehen möchte. Liebe Snobs: Dann lasst den Kasten doch einfach aus und verfügt euch in die Oper. Am besten in einer Limousine mit getönten Scheiben. Sonst bekommt ihr gar noch einen echten Arbeitslosen zu Gesicht. Und müsst euch vielleicht übergeben.

Gut gesagt

„Das Fernsehen ist ein Leitmedium. Wenn etwas passiert, ein Ernstfall wie der 11.9., dann geht man nicht ins Theater, man fängt nicht ein Philosophiestudium an, sondern man dreht den Fernseher an, um zu sehen, was los ist. Man guckt aus dem Fenster in die Gesellschaft.“

Alexander Kluge bei der 46. Verleihung des Adolf-Grimme-Preises am 26.3.2010 in Marl.

Bestechend kluge Worte. Könnte bitte jemand selbige auf Flugschriften drucken und in den einschlägigen Parallelgesellschaften, wie sie in Theaterfoyers, auf Kunstausstellungen, in literarischen Salons zu finden sind, in Umlauf bringen?

Sie müssen draußen bleiben

Es wird einem ja doch langsam ein wenig mulmig zumute. Der „Tagesspiegel“ ist der Ansicht, die Kandidaten von „Deutschland sucht den Superstar“ („DSDS“) stammten aus dem „Menschenzoo, Abteilung Prekär“ und spricht an anderer Stelle vom „RTL-‚Migrantenstadl’“. In der taz hieb Jan Feddersen mehrfach in die gleiche Kerbe; ähnliche Tendenzen finden sich auch anderswo.

Fraglos lässt sich in vielen Punkten Kritik üben an „DSDS“, der deutschen Adaption des britischen TV-Formats „Pop Idol“. Aber in einem handelt RTL vollkommen richtig: Man akzeptiert dort die Migranten-Kinder, gibt ihnen Raum und vermittelt ihnen das Gefühl, dass diese Gesellschaft auch ihnen eine Perspektive bietet.

Der „Tagesspiegel“ und andere aber schaffen Gegensätze und grenzen aus, wie sich beispielhaft an der Berichterstattung über „DSDS“ und „Unser Star für Oslo“ („USFO“) belegen lässt. In dieser Diktion sind die Mitwirkenden von „DSDS“ erkennbar ‚die Anderen’, die Fremden,  welsches Volk, das Misstrauen und Unbehagen weckt. In „USFO“ will man hingegen einen ‚bürgerlichen‘ Gegenentwurf im Genre Casting-Show entdeckt haben und glaubt dort die entsprechenden Werte wie kulturelle Bildung, Fleiß, Tugend etc. repräsentiert.

Das erscheint zumindest von der Sprache her äußerst problematisch, weil diese Terminologie Verachtung vermittelt und Ressentiments bedient. Dabei beruht die Kernaussage auf Irrtümern oder verkrümmten Tatsachen. Denn die Teilnehmer von „DSDS“ sind keine Migranten, sondern deren Nachfahren, mithin Deutsche. Und Mitwirkende mit verwandten Biografien gab es auch bei „USFO“. Dort allerdings wurden alle Interpreten fremder Herkunft frühzeitig Opfer der Auslese.

Wo kämen wir denn auch hin, wenn Deutschland in Oslo von einem Sänger schwarzer Hautfarbe oder einer Interpretin mit arabischen Wurzeln vertreten würde …

Auch eine Kunst

Wofern man der in Anspruch genommenen Zeitung glauben darf, hat die Nachrichtenagentur AP mit einem Mitarbeiter des Hollywood-Regisseurs Peter Jackson gesprochen. AP wird dahingehend zitiert, dass der interviewte Richard Taylor in Jacksons Team den Beruf des „Kunstdirektors“ ausfüllt. Wenn man wörtlich rückübersetzt, erfährt man, was der Oscar-Preisträger tatsächlich macht: Er ist Art Director.

Kitzliger Plural

Frühling wird’s, es sprießen die Krokanten …

Hoppla, Grammatiker melden sich und klagen

„Krokusse“ heiße es, behaupten die Genannten

Da muss man doch jetzt aber fragen:

Kann es sein, dass die Gelehrten sich verrannten?

Sonst müsste man doch auch „Kaktusse“ sagen!

Ein Porno-Pionier

In der am heutigen Montag zur Ausstrahlung gelangenden WDR-Dokumentation „Von Lust und Laster“ (23.15 Uhr) gibt es einen Auszug aus einem 1975 für das NDR-Regionalmagazin „Nordschau“ gedrehten Interview mit einem ‚Pornopionier’, der namentlich nicht genannt wird und dessen Gesicht im Schatten bleibt.

Doch die Identität des Mannes ist schnell gelüftet: Es handelt sich um den in späteren Jahren weit weniger publikumsscheuen Alan Vydra. Vydra, ein gebürtiger Tscheche und kinematographisch versiert, dreht heute Filme anderer Genres und auch einige seiner früheren Darsteller sind seit Jahren im seriösen Fach tätig. Deren Auskunftsbereitschaft vorausgesetzt, hätten sich ergiebige Interviews führen lassen  – und manch albern wirkende szenische Nachstellung in dieser recht aufwändigen Produktion überflüssig gemacht.

Querschüsse von der Borderline

„Wie kommt jemand dazu, Interviews frei zu erfinden?“, fragt Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, und sucht hier eine Antwort. Gern läse man auch mal eine Erörterung, warum sie ihre Zeitung mit Erfundenem füllen lässt. Da muss Frau Pohl nicht lang blättern. Hier beispielsweise schrieb Jan Feddersen in seinem gewohnt kruden Stil, bei dem bald jeder Satz einem Überfall auf die deutsche Grammatik gleichkommt: „‚Satellite‘ favorisierten die SMS- und Televotingabstimmenden, ein Sprechgesang im Stile weißen Raps, der inhaltlich davon berichtet, dass eine junge Frau einen Mann begehrt, sie ihn toll findet, er sie aber nicht über das Dasein eines Satelliten in seinem Leben weiter haben möchte – und sie ihn deshalb für ein Miststück hält.“

Schauen wir uns mal den Refrain an, wie er hier dokumentiert wird:

Love, oh love
I gotta tell you how I feel about you
Cause I, oh I, can’t go a minute without your love
Like a satellite
I’m in Orbit all the way around you
And I would fall out into the night
Can’t go a minute without your love

Den „weißen Rap“ lassen wir mal als Ansichtssache durchgehen, erinnern aber auch an den Satz: „Hier Lena Meyer-Landrut, die in jedem ihrer Sätze ein syntaxkorrektes Deutsch spricht und selbst ein Wort wie ‚Medienbibliothek‘ unfallfrei, ja nachgerade tagesschausprecherinnenhaft sagen kann.“

Originalzitate Meyer-Landrut: „Derbe.“ – „Krass.“ – „Verdammte Scheiße.“ Sehr tagesschausprecherinnenhaft, fürwahr. Diese kurzen Sätze immerhin führte sie bis zum Punkt. Viele andere blieben unvollendet. Macht ja nichts, kann man doch ruhig wahrheitsgetreu berichten. Doch Jan Feddersen macht sich seine Welt wiedewiedewie sie ihm gefällt: „Jennifer Braun allerdings, [sic!] nimmt sich gegen die bildungsbürgerlich versierte Lena Meyer-Landrut wie die kämpferische Gesamtschülerin aus, die es allen hochnäsigen Pädagogen einmal tüchtig zu zeigen weiß.“

Tatsächlich ist es Meyer-Landrut, die eine Gesamtschule besucht. Wie kommt jemand dazu, solche Dinge einfach zu erfinden?

Da nimmt es doch nicht wunder, wenn taz-Leser Franz Scherer die Frage stellt: „Liest eigentlich hier irgendjemand die Sachen gegen?“

Bei der taz offenbar nicht. Aber wir von der Arbeitsloseninitiative – wir machen das. Gern auch gegen Entgelt.

Der Kummer-Bund

Frei erfundene Interviews also, wir nehmen es mit Behagen zur Kenntnis, können doch Konsequenzen nach sich ziehen. Vorbildlich. Wenn man das Verfahren jetzt noch auf frei erfundene Behauptungen beispielsweise zu Gegenwart und Geschichte deutscher Fernsehprogramme ausweiten möchte – wir hier in der Arbeitsloseninitiative haben schon mal ein paar Namen gesammelt und stellen die Liste gern zur Verfügung.

Verführe man aber mit den Sündern wie mit dem weiland „Zeit“-Feuilletonchef Fritz „Jott“ Raddatz, der 1985 nach Paris abgeschoben wurde – was für eine Strafe! Die wollen wir auch! -, weil er ein Goethe-Zitat aus einem anderen Blatt abgeschrieben und  nicht im Original überprüft hatte, wenn also diese Sanktion für vergleichbare oder gar schlimmere Vergehen zur Regel werden sollte – dann wird es binnen kurzem aber verdammt eng in Paris.

Nicht ganz programmgemäß

Wenn bildschirmferne Schichten übers Fernsehen schreiben:

Beispiel a): „Die nicht ganz so alten Serien gibt es montags im ‚Mädelsabend’, zum Beispiel ‚Gossip Girl’. Die erste Staffel lief vor einem Jahr im Nachmittagsprogramm von ProSieben, die zweite Staffel wurde wegen der schlechten Quote gar nicht mehr gezeigt. Auf Sixx geht es nochmal von vorne los, zur besten Sendezeit. Gleiches gilt für ‚Lipstick Jungle’. Keine Quote, schnelles Aus, jetzt auf Sixx. Noch ältere Ware wie ‚Charmed’ und ‚Ghost Whisperer’, die schon damals keiner sehen wollte, läuft donnerstags, sonntags gibt es weitere Serien in ‚Sixx Packs’.“

Beispiel b): „Okay, auf ProSieben läuft ‚Desperate Housewives’, aber das ist erstens eher etwas für die Jungen und zweitens haben die solche Serien ja alle schon auf DVD gesehen.“

Kommentar:

„Gossip Girl“: Die zweite Staffel läuft derzeit sonntags zur Mittagszeit bei ProSieben.

„Lipstick Jungle“: Wurde bis zur Finalfolge der zweiten und letzten Staffel bei ProSieben ausgestrahlt.

„Ghost Whisperer“: Erfreut sich bei Kabel 1 freitags um 20.15 Uhr großer Beliebtheit.

„Desperate Housewives“: Hauptfiguren sind Ehepaare mit erwachsenen Kindern. Die Jugend findet sich deshalb wohl eher bei RTL II ein, wo sie mit „Stargate Universe“ auch gar nicht schlecht bedient wird. Zu schweigen von „Battlestar Galactica“ (23.00 Uhr), nach dem Staffelende von „Lost“ derzeit die Serie mit den anspruchsvollsten Inhalten auf deutschen Mattscheiben

Alle Beispiele wurden der „Berliner Zeitung“ entnommen.