Angst und Schrecken allerorten

Am 20. Februar sind fünf Jahre vergangen, seit Hunter S. Thompson seinem Leben ein Ende setzte. Er war 67 Jahre alt, „17 jenseits der 50“, wie er vier Tage vor seinem Tod notiert hatte – „17 mehr als ich brauchte oder wollte“. Ehe er den Abzug betätigte, tippte er noch das Wort „counselor“ in seine Schreibmaschine, „Berater“ also oder auch „Rechtsanwalt“. Eine letzte Anmaßung, ein Enigma – Thompsons „Rosebud“. Thompsons Leichnam wurde verbrannt, die Asche seinem Wunsch gemäß mit einer Kanone von einem selbstgestalteten Gonzo-Monument aus in den Bergen von Colorado in die Luft gefeuert. Die Kosten der aufwändigen Zeremonie trug, wie man hört, der Schauspieler Johnny Depp.

Noch zu Lebzeiten musste sich der Journalist und Romancier Thompson gefallen lassen, von vielen vereinnahmt zu werden. Er war ein Vertreter des New Journalism, aus einer falsch verstandenen Genealogie heraus wurde er dem Popjournalismus zugeordnet oder auch der Popliteratur neuerer Prägung. Aber Thompson betrieb keinen Salonjournalismus und gehörte ganz sicher nicht zur Champagner-Boheme. Sein 1980 erstmals mit Bill Murray und 1998 erneut mit Johnny Depp verfilmtes Buch „Angst und Schrecken in Las Vegas“ war sein bekanntestes Werk, machte aber nur einen Teil seines Schaffens aus.

In seinen frühen Jahren reiste Thompson auf eigene Faust durch Lateinamerika und berichtete von dort. Er zog ein Jahr lang mit kalifornischen Hell’s Angels durchs Land, und kassierte eine gewaltige Tracht Prügel, nachdem seine Reportage in Buchform erschienen war und ihn bekannt gemacht hatte. Thompson lebte in San Francisco, als die Hippie-Bewegung ihre kurze Blüte erlebte, und er war von der neuen Subkultur begeistert, was ihn nicht daran hinderte, ihren Verfall zu registrieren und kritische Reportagen aus der Warte des distanzierten Beobachters zu verfassen.

In Kopf und Herzen stets oppositionell, war Thompson ein wacher politischer Kopf, der die Wahlkampftour des  demokratischen Präsidentschaftskandidaten George McGovern aus eigenem Erleben beschrieb, der sich allgemein für die Bürgerrechte – das Recht auf Waffenbesitz eingeschlossen – und für unschuldig Verurteilte einsetzte, der in Aspen selbst als Bürgermeister kandidierte. Thompson trug aus Überzeugung „Che“-Guevara-T-Shirts; sein „Gonzo-Symbol“, das der Zeichner und zeitweilige Wegbegleiter Ralph Steadman nach Thompsons Entwurf ausführte, zeigt eine geballte Faust und eine stilisierte Peyote-Blüte.

Der durch den Erfolg von „Angst und Schrecken in Las Vegas“ erlangte Ruhm und seine Popularität zermürbten Thompson, und er zog sich in seine ländliche Bergfestung nahe Aspen zurück, wo er seine Waffensammlung hegte, fröhlich durch die Gegend schoss und weiterhin kritisch das Zeitgeschehen kommentierte. Selbst seine Sportberichte pflegte er mit scharfen politischen Seitenhieben zu würzen. Das schamlose Treiben der Bush-Administration brachte ihn sogar dazu, sich seinen alten Intimfeind Nixon zurückzuwünschen, mit dem er während dessen Amtszeit so manchen Strauß ausgefochten hatte.

Als er starb, durfte sich Thompson gewiss sein, in seiner beruflichen Karriere nie jemand anderes Lied gesungen zu haben. Daran muss sich messen lassen, wer diesen Autor als Ahnherr angibt.

Der falsche Weg

Das heutige „Altpapier“ endet mit den Worten: „Am Donnerstag gegen 9.00 Uhr komplettiert das Altpapier wieder das Informationsbedürfnis.“

Ja, das machen viele, und nicht nur donnerstags gegen neun. Dabei wäre es womöglich ein vielversprechendes Geschäftsmodell, das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zur Abwechslung mal leicht fasslich, kompetent, wahrheitsgetreu und idealiter auch noch grammatisch korrekt zu stillen.

Verwirrender Westerwelle

In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ vom 16.2.2010 belehrt Guido Westerwelle sein Gegenüber: „Die Menschen wollen die Wahrheit hören. Deshalb sage ich, dass heute 45 Prozent der Ausgaben des Bundes in den Sozialhaushalt gehen. Mit den Zinsen für Schulden sind es sogar 60 Prozent. Das kann so nicht weiter gehen. Das mag linken Kommentatoren nicht passen. Aber darauf kommt es nicht an.“

Nur zwei Antworten weiter heißt es, wieder Originalton Westerwelle: „Ich vertrete nur, was aus meiner Sicht nötig ist. Deshalb haben wir Kindergeld und Kinderfreibetrag gleich zu Beginn unserer Amtszeit erhöht.“

Diese Zeilen entstehen fern der Hauptstadt, am Rande der emsländischen Savannen, wo der Stamm der linken Kommentatoren seine Zelte aufgeschlagen hat. Amsterdam ist uns hier geografisch näher als Berlin, der dortige Sprachgebrauch eher fremd. Daher mal kenntnisfrei, aber neugierig nachgefragt: Gehen Kindergeld und Kinderfreibeträge nicht ebenfalls zu Lasten des Sozialhaushalts?

Wir vertreten auch nur, was aus unserer Sicht nötig ist, und erlauben uns die Bitte: Qualitätspresse, erklär uns das!

Sax and the City

In einer anderen Kammer dieser Blog-Hütte war bereits von der verdienten Funk-Formation Tower of Power die Rede. Die Herrschaften sind zwar beständig unterwegs, können aber nun mal nicht überall gastieren. Welch ein Glück für Freunde dieser musikalischen Spielart, dass es den WDR gibt, der regelmäßig die Leverkusener Jazztage und ähnliche Festivitäten aufzeichnet. Am Sonntag, 21.2., zeigt der Sender ab 0.45 Uhr die Auftritte von Tower of Power und Hollands Sax-Export Candy Dulfer, an der auch Prince schon seine Freude hatte („I want Candy …“).

Damit können wir im selben Streich gleich widerlegen, was vor einigen Monaten allen Ernstes in eine Zeitung hineingeschrieben wurde: dass es mit Ausnahme von „Tracks“ und Stefan Raabs Talentepräsentationen keine ernstzunehmenden Musiksendungen im deutschen Fernsehen mehr gebe. Auch da gilt wieder der gern wiederholte Rat: Manchmal hilft eine gute Programmzeitschrift …

Die Tageszeitungen allerdings, das muss man einräumen, vergeben ohne Not die Chance, sich als Führer durch den Programmdschungel unentbehrlich zu machen.

Der Autor und die Schnüfflerin

Es gab eine Zeit, da RTL den Fernsehzuschauern in festem Turnus schöne Stunden bescherte. Mit Importserien wie „Chefarzt Dr. Westphall“ zum Beispiel (Kennern  dieser innovativen Klinikserie erscheint „Emergency Room“ bei aller Wertschätzung denn doch etwas weniger revolutionär), „L.A. Law“ oder auch „Das Model und der Schnüffler“ mit Cybill Shepherd und Bruce Willis. Letztere, der Originaltitel lautet „Moonlighting“, muss man sich in etwa so vorstellen, wie wenn Billy Wilder auf seine alten Tage eine Fernsehserie entworfen hätte und dabei noch einmal zu absoluter Hochform aufgelaufen wäre.

Einen nicht ganz ebenbürtigen, aber durchaus würdigen Nachfolger hat jüngst Kabel 1 mit „Castle“ eingekauft. Hauptfigur ist ein vor Charme und Selbstbewusstsein nur so strotzender Autor von Bestsellerkrimis. Gespielt wird dieser umwerfende Kerl von Nathan Fillion, vordem unter anderem der Käptn der „Serenity“ in Joss Whedons Kultserie „Firefly“ sowie einige Folgen lang Gaststar bei „Desperate Housewives“. Als Richard Castle drängt er sich hartnäckig in das Berufsleben der spröden Kriminalbeamtin Kate Beckett (Stana Katic; für Trivia-Sammler: Sie gehörte zum Ensemble des Bond-Abenteuers „Ein Quantum Trost“) und zerrt mächtig an deren Nervenkostüm. Beide sind nicht auf den Mund gefallen, und so sprüht die Serie vor funkelnden Dialogen.

Jeder Kriminalfall wird zu einem Duell zwischen den beiden. Mal trägt Castle zur Lösung bei, weil er die gesammelten Fakten nach den Maßgaben eines Krimiplots analysiert, mal muss er hinnehmen, dass die Produkte seiner dichterischen Fantasie durch die Zwänge realer Polizeiarbeit widerlegt werden. So ist die Auswertung von Fingerabdrücken beispielsweise nicht innerhalb weniger Minuten möglich. Es hilft allerdings, wenn man, wie Castle, mit dem New Yorker Bürgermeister befreundet ist. Ein Anruf, und die Ermittlungsarbeiten werden erheblich beschleunigt. Kate Beckett allerdings sieht diese Privilegierung gar nicht gern; sie hält sehr viel von Prinzipien und verlässlichen Strukturen.

Das alles ist schon schön gestaltet und empfunden, aber da gibt es auch noch Alexis (Molly C. Quinn), die aufgeweckte Tochter des allein erziehenden Vaters Castle, ein wirklich missratenes Kind: Sie geht früh zu Bett, macht brav ihre Schularbeiten und versteht sich darauf, die Eskapaden ihres Vaters spitzzüngig zu kommentieren.

„Castle“ läuft samstags um 20.15 Uhr bei Kabel 1. Sage niemand, es gebe keine Alternative zu „Deutschland sucht den Superstar“.

Allgemeinwissen

Da hat doch die Schwarmintelligenz wieder mal nicht aufgepasst. „Joan Armatrading (…) ist eine Singer-Songwriterin, die Van Morrison zur Musik gebracht hat“, will Wikipedia ermittelt haben. Die verunglückte Formulierung sagt etwas Anderes, gemeint ist aber, dass Van Morrison die jüngere Kollegin zur Musik gebracht habe. Die selbst, befragt von den „Osnabrücker Nachrichten“ (7.2.2010, S. 2), widerspricht:  „So ein Quatsch. Ich kenne Van Morrison nicht, und ich habe ihn nie getroffen. (…) Manchmal ist man sein Leben lang damit beschäftigt, richtigzustellen, was über einen falsch geschrieben wurde.“

Eine kostenlose Reklamepostille übertrifft das vielgerühmte lexikalische Netzwerk an Präzision. Sollte uns das womöglich zu denken geben?

Gruß aus der Gartenlaube

Gewiss hätte die innige Röte jungfräulichen Stolzes die Wangen selbst einer Hedwig Courths-Mahler zart erblühen lassen, wäre ihr nur je ein Satz geglückt wie dieser  (über das verirrte Reflexivpronomen schauen wir mal großzügig hinweg):

„‚Wenn das so märchenhaft gewesen wäre‘, sagt die 34-Jährige mit dem scheuen Augenaufschlag des alterslosen Wildfangs und nestelt sich am viel zu engen Dekolleté herum, ‚hätte mich ja ein Prinz geheiratet.'“

Der würdige Erbe der unsterblichen Sprachkünstlerin heißt Jan Freitag, sein Forum ist der „Kölner Stadt-Anzeiger„, sein Thema die scheint’s sinnenbetäubende Schauspielerin Diana Amft. Dann aber verspielt ihr Porträtist leichtfertig den atemberaubenden Anflug von dichterischer Größe: „Die renommierte Essener Volkwangschule hatte die Videothekengehilfin aus der westfälischen Provinz abgelehnt.“

Volkwangschule, soso. Muss wohl zum Volkswagenkonzern gehören.