Augenscheinlich ist der taz- und Allerwelts-Autor Jan Feddersen, auch bekannt als The Godfather of Stilblüte, nicht bereit, sich von jungen Emporkömmlingen die Butter vom Brot schaben zu lassen. In seinem vom Norddeutschen Rundfunk als Drahtzieher verantworteten „Grand-Prix-Blog“ zeigt er allen Grünschnäbeln, die ihm den Rang als Wortverdreher erster Ordnung streitig machen wollen, was sich sprachlich alles aus- und anrichten lässt. Schon im Vorspann schwingt er den ganz großen Hammer: „Sonntag ist es so weit. Dann trudeln in Oslo die Länder des ersten Halbfinals ein: Was für eine zeitliche Strecke!“
Ganze Länder machen sich in Oslo breit? Au weia, das wird eng. Auch zeitlich irgendwie. Wir verstehen. Relativitätstheorie – der Mann hat seinen Einstein gelesen.
Dürfen wir eine Anspielung auf Feddersens Vornamensvetter und schärfsten Konkurrenten um die Krone Ballhorns vermuten, wenn er schreibt: „Seit Freitag [sic!], seit ihre erste CD, Titel: “My Cassette Player”, auf dem Markt ist, heißt Lena Meyer-Landrut nur noch Lena. Der internationaler [sic!] Sache wegen. Lena lässt sich von aserbaidschanischen Fans, von portugiesischen Televotern und von kroatischen Männern und Frauen leichter aussprechen.“
Doch wie verhält es sich mit kroatischen Fans, aserbaidschanischen Televotern und portugiesischen Männern und Frauen? Bzw. portugiesischen Fans, kroatischen Televotern und aserbaidschanischen Männern und Frauen? Sind aserbaidschanische Fans und portugiesische Televoter Hermaphroditen? Was ist mit dem ruchlos unterschlagenen Rest der Eurovisionsländer? Bringen deren Insassen „Meyer-Landrut“ flüssig und fehlerfrei über die Lippen? Da hat sich Feddersen wohl Stoff für ein halbes Dutzend ähnlich sinnfreier Blog-Texte bereit gelegt.
Platz eins der Stilblütenparade aber gebührt dieser geschmeidigen Konstruktion: „Nicht auszudenken, dass sie sagen, nee, die kann ich nicht wählen, Meyer-Landrut geht einfach nicht flüssig durch meinen Gaumen!“ Ob flüssig oder nicht, sollte Meyer-Landrut irgendwem durch den Gaumen gehen, wird es verdammt hässliche Bilder geben.
Die in Presse und Web-Publizistik verbreitete Einschätzung von der brav-bürgerlichen, jeglichem Mediengetöse im tiefsten Grunde ihres reinen Herzens abholden, angeblich kompromisslos authentischen Hannoveraner Unschuld namens Lena Meyer-Landrut hat sich ja nun als Mär erwiesen. Dennoch halten viele Skribenten und vorneweg Jan Feddersen verzweifelt am einmal gewonnenen Bild fest: „Lena hat offenbar die nötige, erfrischende Modernität, die Spießbürger wie verklemmte Idioten aussehen lässt. Erstaunlich. Und: prima!“
Erstaunlich ist da eher das mangelnde Reflexionsvermögen. Und prima wäre es, wenn auch die bürgerlichen Feuilletons ihre Verklemmtheiten ablegten. Denn jene, die heuer Lena Meyer-Landrut so wie vor einigen Jahren auch die Schauspielerin Sibel Kekilli gegen die lachhaften ‚Enthüllungen‘ der „Bild-Zeitung“ in Schutz nehmen, äußerten sich vergleichbar unappetitlich, nämlich hämisch und herabsetzend, als die längst im seriösen Fach tätige Schauspielerin Michaela Schaffrath, die gleich wie Sibel Kekilli auf eine kurze Porno-Karriere zurückblickt, bei der RTL-Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ mitwirkte. Die in Sachen Meyer-Landrut vorgebrachten Ansichten wären ja um einiges überzeugender, wenn sie für alle und jeden gölten und nicht nur für einige ausgewählte Medien-Darlings.
Dieses Pharisäertum freilich meint Jan Feddersen nicht, wenn er schreibt: „Ein Haar in der Suppe will ich doch noch fischen.“ Petri heil dem Hobbyangler! Jedenfalls fordert Feddersen seine Leserschaft frömmlerisch auf, für Lena zu beten – „und zwar, ernst gemeint, für den Fall, dass sie nicht gut punktet in Oslo.“
Ein spontanes Stoßgebet begleitete auch die Lektüre des zitierten Textes. Aber die Fürbitte galt nicht Lena. Es gibt andere, die göttliche Zuwendung fürwahr nötiger haben.
Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie schreiben.
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