Der öffentlich-rechtliche Serienmarathon

Die öffentlich-rechtlichen Anbieter bestücken ihre Programme gerade in einem Maße mit Kaufserien und Eigenproduktionen, dass man lange Fernsehabende bestens ohne kommerzielle Anbieter gestalten kann.

Auf ARD One startete am vergangenen Samstag (19.2.) die auch in der Mediathek abrufbare und schon im SWR gelaufene hervorragende schwedisch-isländisch-französische Serie „Thin Ice“ über einen Klimagipfel im grönlandischen Tasiilaq, bei dem es zeitgleich zur Kaperung eines Forschungsschiffes kommt. Wenig später wird die Energieversorgung des örtlichen Sendemastes gesprengt. Die Handys bleiben tot. Erwähnenswert insbesondere: In die Handlung einbezogen sind die vom Klimawandel betroffenen, von Dänemark kolonialisierten Ureinwohner. Ideengeberin der Serie war die Hauptdarstellerin Lena Endre.

Exkurs: Ich habe mal „Thin Ice“ bei mehreren großen Zeitungen in die Suchmaschine eingegeben. Die doch so aktuelle Serie scheint niemanden interessiert zu haben. Wäre sie aber bei Netflix gelaufen …

Das ZDF setzt am heutigen 21.2. die Pandemieserie „Sløborn“ fort. Nicht ganz so gelungen wie die erste Staffel, aber immer noch gefüllt mit guten Ideen und jedenfalls weitab von üblichen deutschen Serienschemata.

Das Erste schickt am morgigen 22.2. „ZERV – Zeit der Abrechnung“ ins Rennen. Die Handlung spielt zur Zeit der Wiedervereinigung, als die reale Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität ihre Arbeit aufnahm. In der Serie, die um eine Dokumentation ergänzt wird, ermittelt ein west-östliches Team und gelangt über einen vermeintlichen Selbstmord an ein Geflecht von Waffenschiebern.

Die erste Folge weckte bei mir den Nörgelimpuls. Da liegt Hauptdarsteller Fabian Hinrichs unter einem DDR-Waschbecken, versucht eine Verstopfung zu beseitigen und kriegt natürlich die angesammelte Drecksbrühe ins Gesicht. Dann gibt es den Chef der Ost-Kripo, der von Schauspieler Leon Ullrich als wüste Karikatur angelegt wurde, was weder zum Thema noch zum Gestus seiner Kollegen passt. Wo war der Regisseur, als diese Szenen gedreht wurden? Rein subjektiv stört mich, dass wieder einmal Thorsten Merten, Rainer Bock und Arnd Klawitter in ihren Standardrollen besetzt wurden. Sind die Kataloge der Schauspieleragenturen so dünn, dass immer wieder dieselben Kräfte berufen werden müssen?

Immerhin, auf Seite der Damen gibt es ein paar jüngere und sehr begabte Gesichter.

Nun aber: Nach der eher missglückten ersten von insgesamt sechs Folgen wird es merklich besser. Beileibe nicht Premiumqualität, auch mit ein paar Logikpatzern, aber annehmbar.

Die Empfehlung der Woche: „Red Light“, ab Donnerstag (24.2.) bei Arte und dort bereits in der Mediathek. Erdacht, produziert und teilweise verfasst von den befreundeten niederländischen Schauspielerinnen Halina Reijn und Carice van Houten, spätestens seit „Game of Thrones“ – aber eigentlich auch schon vorher – eine internationale Größe. In „Red Light“ gibt es keine fliegenden Drachen, sondern realistische Einblicke ins Milieu, Zwangsprostitution, Frauenhandel mit verschwimmenden Grenzen zwischen Gut und Böse, mit vielschichtigen Charakteren. Maulig stimmte mich nur die deutsche Synchronstimme von Halina Reijn mit ihrem anhaltenden Jammerton, der die Figur der Opernsängerin Esther Vinkel quasi akustisch zum Opfer degradiert. So spricht Reijn nicht, weder in noch außerhalb ihrer Rolle. In der Mediathek ist die niederländisch-flämische Originalfassung zwar mit französischen, nicht aber deutschen Untertiteln eingestellt, damit aber immerhin überprüfbar, was ich hier so ungeniert dahinbehaupte.

Feuer frei

Linear und im Streaming-Angebot zeigt arte ab heute, 17.2.2022, den Vierteiler „Algiers Confidential” nach einer Vorlage von Oliver Bottini. Die exotischen Schauplätze machen was her, aber das reicht leider nicht. Eine subjektive Ansicht: Wenn sich Filmfiguren so blöde verhalten, dass man den Fernseher anschreien möchte, neige ich prompt zur Ablehnung.

Die Geschichte: In Algier wird der Vertreter eines deutschen Waffenherstellers entführt. Islamisten, lautet die erste Diagnose, aber die ist natürlich falsch. Der deutsche Botschaftsmitarbeiter Ralf Eley (Ken Duken) soll’s richten. In Berlin hat man mittlerweile festgestellt, dass dieselbe, in ihren Methoden nicht zimperliche Waffenfirma bei der Auftragsvergabe gemogelt hat. Außerdem machen sich dort Sendboten der Entführer daran, den Waffentransport abzufangen. Egal auf welcher Seite sie stehen – die Araber sind immer die Fiesen.

Meine Einwände: Die Ermittlungen werden nur unzureichend als detektivisches Vorgehen erzählt. Eley bezieht alles Wissenswerte von irgendwelchen Gewährsmännern und alten Freunden. Und wenn ein Wendepunkt geschaffen oder ein Handlungsfaden beendet werden soll, lösen die beiden Autoren das meist durch eine wilde Ballerei. Da wird beispielsweise mit großkalibrigen Maschinengewehren vom Hubschrauber aus gleichzeitig wild auf Entführer und Geiseln geschossen. Mir ist unklar – vermutlich habe ich nicht richtig aufgepasst –, warum, außer dass man aus dramaturgischen Gründen einen Schulterschluss zwischen den anvisierten Kontrahenten herbeiführen wollte.

Einer der Informanten nennt sich abwechselnd George Smiley und Harry Lime. Eine Anmaßung, sofern sich die Autoren damit in eine gewisse Tradition einreihen wollten.

Diagnose Mord

Spätestens seit der Serie „Dr. House“ weiß das Publikum, dass Mediziner und Kriminalisten, Diagnostiker und Fallanalytiker, methodisch häufig sehr ähnlich vorgehen. Auch, dass ihre Berufe verwandte Erfahrungen mit sich bringen. Gregory House ging immer davon aus, dass „alle Patienten lügen“. Man hat auch schon Polizisten so über Zeugen reden hören.

Dr. Felix Hoffmann (Kai Wiesinger) ist Notfallmediziner und alles andere als vertrauensselig. Als nach einer anstrengenden Nacht in der Ambulanz einer der Patienten stirbt, wird der Arzt stutzig. Er hatte den Mann, einen Klinikmitarbeiter ukrainischer Herkunft, noch vor kurzem untersucht und als gesund entlassen. Ist ihm ein Fehler unterlaufen? In der Todesbescheinigung kreuzt er hinter Todesursache „ungeklärt“ an.

Anderntags erfährt er, dass der Eintrag hinter seinem Rücken geändert wurde. Die Leiche ist bereits auf dem Weg zum Krematorium. Asche kann man nicht obduzieren.

Celine wittert trübe Machenschaften

Hoffmanns Nachbarin und intime Freundin, die Lehrerin Celine (Isabell Polak), die zumindest laut Pressemappe der ARD keinen Nachnamen hat, ein Schicksal, das sie mit vielen weiblichen TV-Figuren teilt, ist begeisterte Krimileserin und wittert ein Komplott.

Die Krankenakte des Toten wandert über verschlungene Wege, und langsam dämmert Dr. Hoffmann, dass hier tatsächlich verbrecherische Kräfte am Werk sind. Ein mysteriöser Russe kreuzt mehrfach seinen Weg, Dr. Bredow (Rainer Strecker) verhält sich merkwürdig und baumelt am Ende tot an der Decke. Wieder ein vorzeitiges Ableben, das offensichtlich kaschiert werden soll.

Die bekannten Missstände in deutschen Krankenhäusern, Personalmangel und beruflicher Stress, klingen am Rande immer wieder an, vor allem zu Beginn in einer flotten Montagesequenz, die den Herausforderungen einer Nachtschicht in der Notfallstation gewidmet ist. Der Kriminalfall entwickelt sich dann in eine eigene Richtung und lenkt von den reformbedürftigen Verhältnissen ab.

Die Buchhalterin hilft aus der Bredouille

Felix und Celine spielen nach bekanntem Muster Hobbydetektiv, dringen nachts in Büros ein, belauern Verdächtige, schleichen durch die Nacht. Es sind aber nicht unbedingt ihre deduktiven Fähigkeiten, die sie der Lösung der Falles näherbringen. Vielmehr beziehen sie diverse Hilfeleistungen, vor allem von Beate Vetter (Anita Vulesica), der sehr gewieften Buchhalterin aus Celines Schule, ohne die die Chose für Felix und Celine fatal ausgegangen wäre. Das zuarbeitende Personal wird immer dann eingeführt, wenn es gerade gebraucht wird, bleibt also in der Regel – leider – farblos.

Felix und Celine necken sich gern, sind wohl gedacht als zeitgemäße Nachfahren von Dashiell Hammetts Nick und Nora Charles oder von Maddie Hayes und David Addison aus der Serie „Das Model und der Schnüffler“. Um mit diesen Paaren gleichzuziehen, müssten aber Nils-Morten Osburg und Edzard Onneken, die das Drehbuch nach einer Romanvorlage von Christoph Spielberg verfassten, merklich spritzigere Dialoge aushecken. Ein lakonisches „du nervst“ ist ziemlich dürftig.

Fortsetzung nicht ausgeschlossen

Regisseur Max Zähle versucht, dem Ganzen einen eleganten Stil zu verleihen, setzt Splitscreen- und andere Effekte ein und untermalt das Geschehen mit der sehr gelungenen pulsierenden Musik von Florian Tessloff. Den Mitteln nach erinnert der Film an die britische Serie „Hustle – Unehrlich währt am längsten“, erreicht aber nicht deren Chic. Es will nicht so recht passen, wenn der Szenenwechsel mit einer eleganten lamellenartigen Überblendung vollzogen wird und die Kamera dann auf eine schäbige Industrieruine gerichtet ist. Da klaffen Stil und Inhalt auf ungünstige Weise auseinander.

Eines aber muss man dem Team zugute halten: Der Film endet erfreulich unmoralisch. Die Donnerstagskrimis im Ersten insgesamt sind anspruchsvoller geworden, diese Tonart aber fehlte bislang in diesem Reigen, zumindest in Form regelmäßiger Beiträge.

Bei entsprechendem Erfolg soll „Dr. Hoffmann“ als Reihe fortgesetzt werden. Im Prinzip keine schlechte Idee. An der Qualität aber sollte noch gearbeitet werden.

„Dr. Hoffmann: Die russische Spende“, Donnerstag, 17.2.2022, 20:15 Uhr, Das Erste und in der Mediathek

Hinweis für Veranstalterinnen und Veranstalter: Wir kommen gern auch zu Ihnen, unterstützen Sie bei der Öffentlichkeitsarbeit (Plakate, Flyer, Presse, Social Media) und bringen bei Bedarf eine Tonanlage mit.