„Hyde Park“ in aller Munde

Das soeben erschienene Buch „HYDE PARK-Memories – Ein Osnabrücker Musikclub und seine Geschichte(n)“ stößt bereits auf eine erfreuliche Medienresonanz. Bislang berichteten der Deutschlandfunk in seiner hörenswerten Sendung „Corso“, NDR Radio Niedersachsen und Radio ffn. Der NDR hat einen Beitrag zum Buch auf seiner Internet-Seite, zu finden unter http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/emsland/hydepark115.html.
Das Buch aus dem Münsteraner Oktober Verlag zeigt anhand des Osnabrück Musikclubs, der in diesem Jahr sein 35. Bestehen feierte, u. a. exemplarisch, wie in den 60ern und 70ern Ausflugslokale und Landgasthäuser von jungen Betreibern übernommen und in Rock-Diskotheken umgewandelt wurden, wie sich der Konzert- und der Disko-Betrieb verändert hat. Ausführlich widmen sich die Verfasser den Auseinandersetzungen um den „Hyde Park“, die 1983 in eine Woche der Demonstrationen und Ausschreitungen mündeten. Zudem widerlegt Autor Gisbert Wegener stichhaltig die vielfach kolportierte Medienmär, wonach die erste Diskothek Deutschlands in Aachen stand.
Nebenbei erfährt der Leser, dass auch der aus Osnabrück stammende amtierende Bundespräsident Christian Wulff einst zu den Gästen des zeitweilig vom bürgerlichen Publikum mit Argwohn beobachteten Musikclubs „Hyde Park“ zählte.
Zu den Autoren des Buches zählen Campino, Eric Fish, Henry Rollins, Martin Sonneborn, Dietmar Wischmeyer, Jenni Zylka und viele mehr. Herausgeber sind Dr. Harald Keller und Reiner Wolf.
„HYDE PARK-Memories – Ein Osnabrücker Musikclub und seine Geschichte(n)“ ist ab sofort im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.

Die Herausgeber haben zum Buch eine Multimedia-Revue entwickelt. Anfragen und Buchungen über keller58 at t-online.de. Siehe auch http://www.hyde-park-kult.de/ und http://de-de.facebook.com/pages/Hyde-Park-Memories-Das-Buch-zum-Park/148422538567372.

Von übermütigen Bauern, aufstrebenden Stars und durchtanzten Nächten

Besucher der Hyde Park Jubiläumsparty am 2.7.2011.© Harald Keller

Besucher der Hyde Park Jubiläumsparty am 2.7.2011.© Harald Keller


Vorpremiere der Multimedia-Revue zum Buch über den Osnabrücker „Hyde Park“ in der Compagnia Buffo

Der Zufall spielte eine große Rolle, als 1976 in Osnabrück an der Rheiner Landstraße der Musikclub „Hyde Park“ eröffnet wurde. Mehrere günstige Ereignisse trafen zusammen, glückliche Umstände hatten den richtigen Personenkreis versammelt. Von Anfang an war der „Hyde Park“ ein Publikumsmagnet, für Osnabrücker sowieso, aber auch für Jugendliche aus dem näheren und weiteren Umland und sogar aus den Niederlanden. Nicht zuletzt die Konzerte mit nationalen und internationalen Rock-Größen aller Sparten machten den „Hyde Park“ weithin bekannt. Auch vielen Musikern blieb er in Erinnerung – Steve Broughton von der Edgar Broughton Band zählt bis heute zu den Freunden des Hauses, Henry Rollins würdigte den „Hyde Park“ in seiner Autobiografie.

In diesem Jahr feiert der „Hyde Park“ sein 35-jähriges Bestehen. In einer solchen Zeitspanne sammeln sich viele Anekdoten an – Geschichten wie jene über den Bauern, der eine Kuh auf die Tanzfläche trieb, über die Kapricen und Kapriolen namhafter Musiker, vor allem aber über den heißen Sommer im Jahr 1983, als der „Hyde Park“ an seinem ursprünglichen Standort per behördlicher Verfügung geschlossen werden sollte und hunderte Jugendliche dagegen demonstrierten. Als auf der Rheiner Landstraße Barrikaden in Brand gesetzt wurden, kam es zu einem äußerst umstrittenen Polizeieinsatz – selbst „Bild“ und „Tagesschau“ berichteten. Eine Woche lang wurde demonstriert, am folgenden Wochenende trafen Demonstranten und von auswärts herangeführte Polizeieinheiten heftig aufeinander.

In dem reich bebilderten Buch „HYDE PARK-Memories – Ein Osnabrücker Musikclub und seine Geschichte(n)“ (Oktober Verlag, Münster, hrsgg. von Harald Keller und Reiner Wolf) beanspruchen der damalige ‚Kampf um den ‚Hyde Park’’ und seine Ursachen ein eigenes Kapitel. Aber auch die Folgejahre werden ausführlich gewürdigt – die Zwischenstation in einem Zirkuszelt, die Gastspiele in der Halle Gartlage, der innovative Holzbau und schließlich der heutige Standort im Schatten des Piesbergs, wo der „Hyde Park“ wohl seine endgültige Heimat gefunden hat. Autoren wie Beate Dölling (Kinderbuchautorin), Martin Sonneborn („Titanic“, „heute-show“), Dietmar Wischmeyer („Günther, der Treckerfahrer“), Jenni Zylka („taz“, „Spiegel online“, Romanautorin) erinnern sich an ihre ersten Besuche im „Park“, Musiker wie Jello Biafra, Campino, Eric Fish, Heinz Rudolf Kunze, Didier Laget reminiszieren ihre Gastspiele, ehemalige Mitarbeiter berichten von ihren Erfahrungen. Am Rande findet Erwähnung, dass auch der heutige Bundespräsident Christian Wulff einst zu den Gästen des lange Zeit als verrucht geltenden Musikclubs gehörte. Ausführlich befassen sich die Autoren mit Themen wie der Arbeit der Diskjockeys, mit dem Wandel des Konzertbetriebs und liefern den Nachweis, dass die erste Diskothek Deutschlands keineswegs, wie von vielen Medien behauptet, in Aachen stand. „HYDE PARK-Memories“ bietet eine Fülle an Histörchen und Informationen, bis hin zur Konzertchronik, in der sich noch einmal nachblättern lässt, wer wann im „Hyde Park“ gastierte – ob Scorpions oder Canned Heat, BAP oder die Toten Hosen, Unheilig oder Subway to Sally. Und viele, viele mehr.

Am 26. August 2011 lädt der Kulturverein L.I.F.T. zu einer Vorpremiere der „HYDE PARK-Memories-Multimedia-Revue“ in die Compagnia Buffo in Restrup. Die Herausgeber des Buches zeigen Ausschnitte privater Filmaufnahmen, die sie im Zuge ihrer Recherchen zur Verfügung gestellt bekamen. Ferner tragen Autoren Texte aus dem Buch vor, dazu werden vereinzelt Fotoaufnahmen projiziert.

Im Anschluss bitten die Veranstalter zur Party mit dem Soundtrack zum Buch: der Musik vor allem aus den Siebziger- und Achtzigerjahren, die sich für viele mit ihren „Hyde Park“-Besuchen verbindet.

HYDE PARK-Memories-Multimedia-Revue“
Es wirken mit: Martin Barkawitz, Harald Keller, Kirsten Schuhmann, Gisbert Wegener, Reiner Wolf.
Termin: 26.8.2011, 20.00 Uhr
Ort: Compagnia Buffo, Restrup bei Bippen
Eintritt: 8,-, ermäßigt 5,- 
Besucher der Hyde Park Jubiläumsparty am 2.7.2011.© Harald Keller

Besucher der Hyde Park Jubiläumsparty am 2.7.2011.© Harald Keller

Besucher der Hyde Park Jubiläumsparty am 2.7.2011.© Harald Keller

Besucher der Hyde Park Jubiläumsparty am 2.7.2011.© Harald Keller

No sleep in Wacken 4

Die heimliche Wacken-Hymne ist der alte Europe-Gassenhauer „Final Countdown“, bislang dargeboten unter anderem auf dem Glockenspiel, dem Dudelsack, der Hammondorgel und natürlich immer wieder mal im Original.

Der vielleicht unterhaltsamste Auftritt am Freitag war der von Hayseed Dixie auf der „Beergarden Stage“. Die bedauernswerten US-Amerikaner mussten sich mit Banjo, Akustikbass etc. gegen Judas Priest behaupten, die ungefähr in Flensburg noch zu hören waren. Hayseed Dixie nahmen es sportlich und beantworteten Rob Halfords schrille Schreie in gleicher Manier. Und ob spontan oder nicht, das lässt sich nicht sagen, jedenfalls schoben die sympathischen Südstaatler mal eben „Breaking the Law“ ins Programm. Noch vor den Urhebern des Songs. Ansonsten gab es mitreißende Bluegrass-Versionen von AC/DC über Motörhead bis hin zu deutschen Trinkliedern. Die Jungs sind noch anderweitig in Deutschland unterwegs. Und garantieren einen fröhlichen Abend.

Kurz darauf eröffnete der Kyuss-Ableger Kyuss lives das Feuer (in Wacken lodern Flammen über den Lautsprechertürmen). Die wiederbelegten Kyuss spielen Stoner-Rock, was seinerzeit bei ihrem ersten Auftreten von aufgeregten Jungredakteuren als sensationelle Neuerung verkündet wurde. Langjährig erfahrene Connaisseure aber verwiesen gelassen auf Mountain, Vanilla Fudge und insbesondere Budgie („I Turned to Stone“!) …

Nur eine kurze Pause, dann standen Airbourne auf der Bühne und lieferten eine mitreißende Show. Natürlich klingt bei ihnen bald jeder Titel wie eine Paraphrase auf einen AC/DC-Song, aber sie machen das so gut und mit derart bübischer Begeisterung, dass man mit Freude dabei ist. Der Gitarrist und Sänger tut einiges für die Show und erklettert sogar die Bühnentürme bis hoch unters Dach, wo er sich sichert und ein Solo spielt. In Wacken bedeutete das eine Kletterpartie von mehreren Stockwerken. Und wieder runter. Respekt. Der Auftritt fand übrigens Freitagnacht gegen 0.45 Uhr statt. ZDFKultur hatte eine „Live“-Übertragung für Samstagabend, 22.45 Uhr, angekündigt. Demnach war es entweder nicht live oder nicht das Konzert vom Freitag.

Im In-Field stehen drei große Bühnen nahe beieinander. Das verkürzt die Pausen zwischen den Bands. Unschön aber ist es, wenn zwei der Bühnen gleichzeitig bespielt werden. Das geht nicht ohne gegenseitige Störungen vonstatten. Das Konzept sollte noch mal überdacht werden.

Ein uraltes Konzertritual hat sich in Wacken erhalten: Das Hochhalten von Feuerzeugen bei balladesken Passagen. Hier steht der einzelne Raucher nicht allein. Das freut einen der Sponsoren, eine Zigarettenfirma.

Man hat hier einiges übrig für Genussmittel. Das zeigt sich auch beim Gespräch mit einer der Damen, die im Auftrag eines Promoters übers Festivalgelände wandern und einen Alkoholtest anbieten. Was da genau promotet werden soll, ist nicht klar. Die gemessenen Promillezahlen werden von der Kundschaft wohl eher unter Rekordgesichtspunkten gesehen. Schon am Mittwochnachmittag konnte als aktueller Höchstwert 6,1 Promille vermeldet werden. Es wurden aber auch schon gute acht Promille erreicht. In den Zusammenhang passt, dass bis Samstagnachmittag vom Deutschen Roten Kreuz 3.000 Festivalbesucher versorgt wurden. Etwas mehr als in früheren Jahren, aber nicht besorgniserregend, wie es auf der Pressekonferenz hieß. Gezählt werden ja auch kleinere Verletzungen, Verstauchungen etc. Das Deutsche Rote Kreuz sucht noch freiwillige Helfer. Das geben wir natürlich gerne weiter.

Eine ungünstige Zeit hatten die, man muss es schon so sagen, etwas betagteren Damen von Girlschool zugeteilt bekommen: mittags um zwölf. Dennoch war das Bullhead-Zelt gut gefüllt, überwiegend mit Menschen, die noch gar nicht geboren waren, als Girlschool ihre ersten Platten herausbrachten, darunter auch eine gemeinsame Single mit Lemmy von Motörhead, die am Abend spielen werden. Die britischen Ladies freuten sich sichtlich, dass man sie nicht vergessen hat und gaben ihr Bestes. Warum sollen nur alte Kerle Triumphe feiern? Das nächste Mal bitte auf einer der größeren Bühnen.

No sleep in Wacken 3

Gar nicht einfach, eine leidlich aktuelle Berichterstattung zu leisten. Das Netbook fand keinen Kontakt zum Netz, vor den drei vom Veranstalter dankenswerter Weise bereitgestellten Notebooks gibt es lange Schlangen. Und man will ja möglichst wenig verpassen.  Da muss es manchmal schnell gehen und es passieren Flüchtigkeitsfehler. Zu korrigieren wäre noch die Schreibweise von Blechblosn. Nicht Blechblos’n. Entschuldigung.

Ozzy war da, woran einige bis kurz vor Beginn noch gezweifelt hatten. Längst trifft er nicht mehr jeden Ton, aber wie er danebensingt, ist immer noch ein Spaß. Die Kids lieben den alten Mann, auch wenn sich seine Zwischenansagen auf „I can’t hear you“ beschränken, was in den Stunden danach zum geflügelten Wort wurde auf den Zeltplätzen und endlosen Wanderwegen. Und zwischendurch hatte man den Eindruck, Gitarrist Gus G. hätte Anweisung bekommen, sein Gitarrensolo noch ein wenig zu verlängern, damit Ozzy noch mal in Ruhe durchatmen kann. Ja und? In dem Alter darf man sich schon mal eine Pause gönnen. Und „Paranoid“, das in der Kindheit Ihres Blog-Warts lange Zeit in den Top Ten der Hitparaden rangierte, einmal vom Originalsänger live zu hören – das war schon was.

Ganz überraschend stieß der Berichterstatter auf einen weiteren Veteran der Unterhaltungsmusik: Im Großzelt „Bullhead City“ gab Roberto Blanco im Verein mit Sodom – Sodom! – seinen Evergreen „Ein bisschen Spaß muss sein“ zum Besten. Es war nicht so voll wie bei Ozzy, aber auch hier: Die Kids bejubelten den alten Mann und versuchten ihn, lautstark „Roberto! Roberto!“ skandierend, zu einer Zugabe zu bewegen.

Im „Bullhead“-Zelt geht ansonsten allerlei Klamauk vonstatten. Monsters of Comedy, Oil Wrestling, Wet-T-Shirt-Contests. Einige Damen lassen das Shirt gleich ganz weg; das erspart die Mühsal des Trocknens. Jedenfalls – die zahlreich umherschwirrenden Kamerateams findet man vor allem wo? Klar, im „Bullhead“-Zelt. Auch wenn nebenan bei Spitzenbands wie den Aberlours, Russkaja oder meinen Freunden von Reliquiae Hunderte beisammen stehen und  die Stimmung hochkocht – den Bereich lassen die Filmberichterstatter achtlos rechts liegen. Sind vermutlich alle im Auftrag des Privatfernsehens unterwegs …

Zur Wacken-Folklore gehören die sehr beliebten Norweger-Anekdoten. Gerade heute aufgefrischt wurde die Mär von den Norwegern, die „Helga? Helga?“ krakeelend über die Zeltplätze zogen. Die Pointe geht so, dass die Skandinavier irgendwann mal den 60er-Jahre-Aufklärungsfilm „Helga“ gesehen hatten und es sie dringend danach gelüstete, die Titelheldin kennen zu lernen. Dabei braucht es doch gar keine Fantasiegestalten – egal wohin man die Kamera hält im Festivalbereich, man hat immer eine schöne Frau auf der Platte.

Schön an diesem Festival sind die Entdeckungen nebenbei. Gerade gaben Eat the Gun aus Münster ein Kurzkonzert für die Presse. Klassische Dreierbesetzung, formidabel arrangierter Hardrock. Eher etwas für die alte Schule, die miterlebt hat, wie aus Hardrock Metal wurde. Aber man kann es nur immer wieder betonen – Vielfalt ist alles in Wacken. Es gibt A-Capella-Metal, Spaß-Bands, die Punks von Slime sind hier (Grüße an Elf und danke für die Unterstützung beim „Hyde Park“-Buch), Hayseed Dixie machen „Rockgrass“, Edel Weiss spielen AC/DC im bajuwarischen Idiom. Das eben macht das Vergnügen aus: herumbummeln, Entdeckungen machen, auch auf den teils originell ausgeschmückten Campingplätzen, Leute kennen lernen. Auch unter den Ureinwohnern übrigens ist die Stimmung bestens – keine Probleme mit den finsteren Gestalten, so sagen auch jene, die nicht, wie die örtlichen Supermärkte und Gasthöfe, von der Invasion merkantil profitieren. „Wir freuen uns jedes Jahr darauf“, sagt eine Passantin gehobeneren Alters, während aus der Ferne Suicidal Tendencies herüberdröhnen. Harte (!) Kontraste in harmonischem Verhältnis. Das ist Wacken.

No sleep in Wacken 2

Am Dienstag drang aus dem Radiolautsprecher der gen Wacken rollenden Bratröhre die Stimme einer jungen N-Joy-Moderatorin, die anlässlich des bevorstehenden Festivalbeginns zum Besten gab: „Ich würde die Krise kriegen, wenn ich in Wacken wohnen würde.“ Im selben Atemzug gruselte sich die Dame über die „Gestalten“, die Wacken derzeit heimsuchen. Wie eigentlich kann man derart ressentimentgeladene Jungschwätzerinnen an offene Mikrophone lassen?

Zwischen Autobahn und Festivalgelände haben sich Zoll und Polizei positioniert und winken ausgesuchte Verkehrsteilnehmer zum Kennenlernen auf einen Parkplatz. Ihr Chronist blieb unbehelligt, und das macht stutzen. Verströmt man mittlerweile das Air von Bürgerlichkeit? Denn egal ob die Polizei patrouillierte oder der Zoll kontrollierte, Ihr Gewährsmann wurde seit je immer herausgewunken. Nur beim Transit durch die DDR ging regelmäßig alles glatt.

Ein einziger Nachmittag auf dem Festivalgelände reicht aus, um zu begreifen, warum manche Besucher jedes Jahr kommen und warum deren Zahl ständig größer wird. Überall herrscht gute Laune, niemand pöbelt, man kommt auf die angemehmste Weise mit jedem ins Gespräch. Noch hat der innere Bereich mit den Hauptbühnen nicht geöffnet, aber es gbt schon viel zu sehen und zu erleben. Allein die Marktstände sind einen Bummel wert, das Angebot reicht von „Fake-Piercings“ über Lederwaren und Reizwäsche bis zu Schmiedearbeiten, und auf dem Mittelaltermarkt präsentieren unter anderem Steinmetze und andere Handwerker ihre Künste. Auch Feuerspucker und Gaukler sind unterwegs, Folklore- (jawohl) und Mittelalter-Bands liefern den Soundtrack. Reliquiae beispielsweise geben ein umjubeltes Konzert vor gut gefülltem Terrain. Metal-Fans sind tolerant. Das begreift man spätestens, wenn man einen Besucher, der sich zwecks Versorgungssicherheit gleich zwei Bierbehälter auf den Rücken geschnallt hat, verzückt zu einem irischen Traditional aus dem 19. Jahrhundert tanzen sieht. Und er ist damit nicht allein.

Blutjunge N-Joy-Tussen wären sicherlich überrascht, hätten sie den Auftritt der Bierblos’n verfolgen können. Die Herrschaften sind altgediente Haudegen, die in bayerischer Nationaltracht auftreten und zur Gaudi des Publikums sowohl AC/DCs „Shook me all night long“ als auch „Musikantenstadl“-Stimmungskracher wie „Viva Colonia“ – in diesem Falle umgetext zu „Viva Bavaria“ – durch den Metal-Kanal jagen und zwischendurch noch eine sehr alberne Freddie-Mercury-Parodie abliefern. Prompt formen hartgesottene Metaller in karierten Röcken, mit Ganzkörpertätowierung, den Kopf mit einem Stahlhelm geschützt, eine Polonaise. Oder tanzen Schuhplattler. Und betreiben zünftiges Stagediving. Dabei machen die hochmotivierten Musiker eifrig mit, nur in umgekehrter Richtung und mit der vorgeschalteten Ansage, sie bitte beim Weißbierstand abzuswetzen. Echter Südstaatenrock, nur wird statt der rot-weiß-blauen Flagge die blau-weiße mit den Rauten geschwenkt.

Natürlich ist man rundum von Verrückten umgeben. Aber die sind allesamt sehr sympathisch, tun keinem was zuleide, und alle gemeinsam haben einen Heidenspaß.

Momentan wartet alles auf Ozzy. Dem Vernehmen nach bekommt er im an sich schon separierten und abgeriegelten V.I.P.-Bereich noch einmal eine ganz eigene Sektion eingerichtet, wo ihn niemand stören darf. Wir sind jetzt alle ganz leise, damit sich Ozzy in Ruhe auf seinen Auftritt vorbereiten kann. Außer Blind Guardian. Die machen mächtig Lärm.

No sleep in Wacken 1

It’s a long way to the top if you wanna rock ’n‘ roll, heißt es im 1. Buche AC/DC. Und lang  ist auch der Weg nach Wacken, zumindest wenn man, wie der Verfasser dieser Zeilen, das Pech auf seiner Seite hat. Die Anfahrt begann kurz nach Warmlaufen des Motors mit einer Vollsperrung der Autobahn zwischen den Anschlussstellen Osnabrück-Hafen und Bramsche-Süd, formerly known as „Osnabrück-Nord“. Schon hier gab es das erste Treffen mit Gleichgesinnten: Eine Kohorte britischer Motorradfahrer schlängelte sich durch den Stau, und alle Krad-Piloten trugen die leuchtende Wacken-Signalweste. Anfangs vereinzelt, dann häufiger beobachtete der Wacken-Reisende PKW, Busse und Großtransporter mit dem Wacken-Signet W:O:A (= Wacken Open Air), das entfremdete Individuen für eine Woche zum Stammesverband zusammenschmiedet. Und das der Wirtschaft aufhilft – schon gleich hinter Bremen suchten die Raststättenbetreiber vom Pilgerzug zu profitieren und hielten Wacken-Banner feil.

Das aber ist noch gar nichts gegen den Rummel im Wackener Ortskern. Selbst der örtliche Bestattungsunternehmer nagelt sich ein schwarzes Transparent mit dem Text „Support your local dealer“ an die Fassade und baut einen Marktstand für Wacken-Devotionalien auf. Ob Greis oder Schulkind, jeder sucht von der Invasion vorwiegend schwarz gekleideter Gestalten zu profitieren.l Und die Veranstalter tragen Sorge, dass die Verkaufsstände gleich mehrfach passiert werden. Auf der Suche nach dem zugewiesenen Campingplatz wird man drei Mal durch den Ortskern geschickt und am Ende noch mal um Wacken herum.

Es ist halt ein Festival der langen Wege. Manchmal der unnötig langen Wege. Ein Ordner sagt mitleidig, den direkten Weg zum V.I.P.-Bereich dürfe er nicht mehr freigeben. Man muss links, rechts, nochmal rechts – ein riesiger Umweg. Aber die Schikane hat auch ihr Gutes – der Chronist stolpert über die Musiker von Reliquiae, der Osnabrücker Mittelalter-Band, die heute abend ihr Wacken-Debüt geben.

Fortsetzung folgt.