„Das Fernsehen ist ein Leitmedium. Wenn etwas passiert, ein Ernstfall wie der 11.9., dann geht man nicht ins Theater, man fängt nicht ein Philosophiestudium an, sondern man dreht den Fernseher an, um zu sehen, was los ist. Man guckt aus dem Fenster in die Gesellschaft.“ (Alexander Kluge bei der 46. Verleihung des Adolf-Grimme-Preises am 26.3.2010 in Marl)
Traditionen und Vorformen: Der Hörfunk als Bildungsanstalt
Die Nutzung der publizistischen Funk- und Kabelmedien für Ziele der Volksbildung hat eine lange Tradition, die bereits zu Weimarer Zeiten ihren Anfang nahm. Insbesondere die Deutsche Welle, der spätere Deutschlandsender, fungierte als ein Institut der Erwachsenenbildung. Das landesweit verbreitete Programm bot thematisch eng gefasste Sendungen für bestimmte Berufsgruppen, aber auch politische Bildung im Allgemeinen, die freilich im Bereich der aktuellen Politik erst Schritt für Schritt gegen drückende Zensurbestimmungen durchgesetzt werden musste.
Die 1927 verfassten programmatischen Ideen des Rundfunkpioniers Hans Bredow sprechen für sich: „Die ‚Deutsche Welle’ nimmt den Gedanken der Volkshochschule in ganz neuer, umfassender Weise auf. In einen Wettbewerb mit vorhandenen Lehranstalten irgendwelcher Art will sie nicht treten, sondern sich darauf beschränken, die Kenntnisse aufzufrischen, die durch das natürliche Vergessen verlorengegangen sind, vorhandene Bildungslücken auszufüllen und letzten Endes auch berufsfördernd zu wirken.“[1] (Bredow 1950, S. 41)
Die Deutsche Welle kooperierte unter anderem mit dem Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht (Heinz Pohle 1955, S. 79), beschäftigte aber auch an führender Stelle erfahrene Pädagogen und Didaktiker, die wertvolle Impulse für die Herausbildung „funkischer“, so der damalige Sprachgebrauch, also hörfunkspezifischer Formate lieferten. (vgl. u. a. Keller 2009, S. 60ff.) Die Programmschaffenden handelten dabei getreu der Erkenntnis, dass „Rundfunkdarbietungen eine eigene Note haben müssen. Sie sind im besonderen Maße darauf angewiesen, anziehend zu sein. Somit beantwortet sich die Frage, ob das Vortragswesen unterhalten oder belehren soll, dahin, daß es in unterhaltender Form belehren soll.“ (Schubotz 1950, S. 269)
Nützlichkeit und Unterhaltungswert: Das Kontaktmedium Fernsehen
Längst hat das Fernsehen den Hörfunk als reichweitenstärkstes Medium abgelöst. Im Rahmen klassischer Schulfunksendungen findet die politische Bildung einen festen Platz. In Zeiten einer so genannten Politikverdrossenheit stellt sich aber die Frage, ob und wie Sendungen des übrigen Programms in die Bemühungen um politische Bildung insbesondere der so genannten bildungs-, vor allem aber wohlstandsfernen Schichten einbezogen werden können. Heinz Ulrich Brinkmann von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) notierte 2007: „‚Einheimische Deutsche’ aus der Unterschicht sind nur mit elementaren Formen politischer Bildung erreichbar und über Formate, die entweder absolut im Zentrum ihrer Lebenswelten (also: Nützlichkeit oder Unterhaltungswert) liegen, oder aber über verpflichtende Bildungsformen, denen nicht ausgewichen werden kann“. Unter den chancenträchtigen Strategien steht für Brinkmann das „Fernsehen als absolut wichtigstes Medium für passive Außenkontakte“ (Brinkmann 2009, S. 81) an erster Stelle. Äußerungen aus Kreisen jugendlicher Nutzer bestätigt dies: „Wie wäre es beispielsweise, mehr Politikinteresse durchs Fernsehen schaffen [sic!]? Immerhin zählt Fernsehen ja zu den Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen. (…) Die Privatsender sind gefragt, denn sie werden geschaut. 20-sekündige Werbespots mit Inhalten à la ‚Geh wählen!’ sind allerdings nicht besonders sinnvoll“, schrieben zwei 16-jährige Schüler im März 2010 im Rahmen eines Schulzeitungsprojekts. (Lüderwaldt/Pfeiffer 2010)
Fortsetzung in: Siegfried Frech/Ingo Juchler (Hg.), Bürger auf Abwegen? Politikdistanz und politische Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag, 2011, S. 187ff.