Wann ist eine Fernseherzählung eine „Netflix-Serie“? Wann ist sie es nicht?
Nicht die größten aller Menschheitsfragen, aber als Medienjournalist möchte man ja den Ansprüchen der Redaktionen gerecht werden, ihnen unnötige Arbeit ersparen und sich den gewünschten Ordnungsprinzipien von vornherein anpassen.
Man bekommt also erklärt: „House of Cards“ (US) wird als „Netflix-Serie“ einsortiert, weil die Leserschaft sie dort gucken kann.
Ein klarer Fall.
Beziehungsweise …
Die Leserschaft kann „House of Cards“ (US) auch via Amazon, Chili, Google Play, iTunes, Joyn, Maxdome, Microsoft, Rakuten TV, Sky Ticket, Sky Go, Sony, Videoload beziehen. Macht man also Ernst mit der angegebenen Systematik, müsste „House of Cards“ (US) logischerweise als „Amazon-Chili-Google-Play-iTunes-Joyn-Maxdome-Microsoft-Rakuten-TV-Sky-Ticket-Sky-Go-Sony-Videoload-Serie“ annonciert werden.
Geht natürlich nicht. So viel Platz hat man heutigentags nicht mehr auf den Medienseiten. Deshalb gibt es dort immer mehr Behauptungen und immer weniger Erklärungen.
Aber ist es gerechtfertigt, Netflix dermaßen herauszustellen?
Ja, indem man sich folgendermaßen behilft: Netflix hatte seinerzeit vom Hersteller der Serie exklusiv die Streaming-Rechte für das Produktionsland USA erworben. Mit dieser Begründung kann man Skeptikern und Verbraucherschützern entgegentreten.
Man müsste das Prinzip aber konsequent durchhalten. Das würde bedeuten, „The End of the F***ing World“ fortan nicht mehr, wie es noch häufig geschieht, als „Netflix-Serie“ ausgeben, da es sich doch um eine Serie des britischen Senders Channel 4 handelt. Also ist „The End of the F***ing World“ ab sofort eine „Channel-4-Serie im Amazon- und Netflix-Vertrieb“.
So könnte es gehen.
Ähnlich verfährt die Serienkritik ja auch mit „Hubert und Staller“, „Armans Geheimnis“ und „Charité“. Wenn die Produktionen schon mal Erwähnung finden – öffentlich-rechtliches Fernsehen ist eher verpönt in den besseren Kreisen –, dann als „ARD-Serien“. Obwohl sie ebenfalls bei Netflix zu sehen sind. Nach der obigen, augenscheinlich nicht ganz schlüssigen Begründung wären sie demnach also ebenfalls „Netflix-Serien“. Unter anderem, denn mehrere Streaming-Dienste haben sie im Repertoire. Da stellt sich das gleiche Problem wie oben unter „House of Cards“ (US).
Alternativ gäbe es noch die Möglichkeit, in- wie ausländische Serien ihrem jeweiligen deutschen Premierensender zuzuschreiben. Dann passt es bei „Hubert und Staller“ und so. „House of Cards“ (US) aber wäre eine „Sky-Atlantic-HD-Serie“ oder, sofern man sich an frei empfangbaren Sendern orientiert, eine „ProSieben-Maxx-Serie“, denn dort lagen die jeweiligen Erstverwertungsrechte.
Aber wie soll man dem durch die Schlagzeilen hastenden Publikum derart komplizierte Zusammenhänge noch nahebringen? Zumal das Stichwort „Netflix“ der Web-Publizistik über die Suchmaschinen mehr Leser zuführt.
Man kann es nicht mit jeder Nichtigkeit dermaßen genau nehmen. Am Ende kommt noch jemand auf die Idee, im Journalismus so etwas wie eine Sorgfaltspflicht einführen zu wollen. Drolliger Gedanke …
Gefällt mir Wird geladen …