Wenn „Der Spiegel” ins Schwärmen gerät

Mit dieser Überschrift möchte „Der Spiegel” Abonnenten locken: „Wie der »Game of Thrones«-Schöpfer jetzt den »Schwarm« verfilmt”. Gefolgt von der Einleitung: „Frank Doelger ist einer der mächtigen Strippenzieher des US-Fernsehens. Nach »Game of Thrones« inszeniert er nun den Klimawandel-Bestseller »Der Schwarm« als Visual-Effects-Spektakel – die teuerste deutsche Serie aller Zeiten.” Blöd daran: Frank Doelger ist nicht der Schöpfer von „Game of Thrones”, sondern war dort einer der Produktionsleiter. Seine Vita bei „Variety” gibt an: „Executive Producer non-Writing”.
Er führte bei „Der Schwarm” auch nicht Regie, wie das Verb „inszeniert” suggeriert.
Ebenso wenig ist Doelger „einer der mächtigen Strippenzieher des US-Fernsehens”. Vielmehr war er Teilhaber der Londoner Produktionsfirma Rainmark Films. Mittlerweile ist er in Berlin tätig, als Produktionschef („creative director”) von Intaglio Films, einem Joint Venture zwischen Beta Film und ZDF Studios. Ist doch für sich sehr interessant und eine Story wert. Warum muss man da noch Hintergründe erfinden?

Der Korrektor: Die „neuen” Serien

Fernsehserien sind in Feuilleton und Wissenschaft zum Modethema geworden. Beim medienwissenschaftlichen Blick zurück auf Veröffentlichungen zum Thema aus den letzten zwanzig Jahren stößt man unweigerlich auf eine Fülle an Irrtümern, Missverständnissen, Fehlinterpretationen. Aus der eigenen publizistischen Praxis darf berichtet werden, dass manche Redaktionen sogar an falschen Aussagen festhalten, obwohl sie es besser wissen. Ein Beispiel ist die Behauptung, das Remake von „House of Cards“ sei die erste Eigenproduktion von Netflix gegeben. Tatsächlich hatte Netflix die Rechte an der Produktion angekauft, und das zunächst auch nur für den US-amerikanischen Markt. Leicht erkennbar daran, dass „House of Cards“ außerhalb der USA bei anderen Anbietern Premiere feierte. Die Logik dahinter: Netflix würde niemals die Erstauswertung einer derart teuren und prestigeträchtigen Produktion den Mitbewerbern überlassen.

Manche dieser Falschinformationen sind bereits fest verankert in der öffentlichen Meinung. Korrekturen sind angebracht, auch wenn sie vermutlich in der Weite des Webs versickern, ergo unbeachtet bleiben werden.

Exemplarisch für die Herangehensweise an das Sujet ist ein Text aus der „tageszeitung“ aus dem Jahr 2013, verfasst von Ines Kappert, die laut beigefügter Biografie in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft promovierte und die neben Feminismus, Männlichkeitsentwürfen, Syrien, Geflüchteten auch TV-Serien als Themenschwerpunkt angibt.

Der Text ist überschrieben mit »Immer schön unberechenbar bleiben«. Bereits die taz-typisch verwirrende Unterzeile »Früher galten sie als Trash, nun werden sie gefeiert: neue Qualitätsserien.« lässt stutzen. Die »neuen Qualitätsserien« können doch früher gar nicht als »Trash« gegolten haben, denn wenn es sie damals schon gegeben hätte, wären sie nicht »neu«.

Es erhebt sich zudem die Frage, bei wem Fernsehserien als »Trash« galten, und wann das gewesen sein soll. Wird hier womöglich eine Zonengrenze gezogen zwischen elitären Milieus und kulturell minderbemitteltem Pöbel? Bei manchen Fundstücken kommt schon mal der Eindruck auf, dass bildungsbürgerlicher Hochmut die Feder führte.

Gelernte Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie auch erfahrene Medienjournalisten und viele fernseherfahrene Zuschauer wissen, dass es ehedem schon vom Publikum angenommene hochwertige TV-Serien gab, desgleichen einen seit circa 1970 zügig voranschreitenden wissenschaftlichen Diskurs zu diesem Thema.

DANN HAT ES BOOM GEMACHT

Zitat:»Es war ein langer Weg von den ›Waltons‹, den ›Hesselbachs‹, der ›Schwarzwaldklinik‹, von ›Dallas‹ und ›Dynasty‹ zu ›Homeland‹, ›Kommissarin Lund‹, ›Breaking Bad‹ oder ›Borgen‹. Aber seit rund zehn Jahren ist sie da, die neue Fernsehunterhaltung, und sie boomt weltweit. Auf einmal ist das Fernsehen wieder zu einem interessanten Medium geworden, zumindest für die NutzerInnen von Computern oder DVD-Playern.«

Zaghaft sei’s gefragt: Kam denn diese »neue Fernsehunterhaltung« wie eine Epiphanie über uns? Fiel sie vom Himmel, wurde sie uns von den Göttern gesandt? Jedoch offenbar nur den »NutzerInnen von Computern oder DVD-Playern«.

Folglich ist das Fernsehen für Lineargucker weiterhin uninteressant geblieben. In diesem Publikumssegment also »boomt« es demnach nicht. Im Schnitt zehn Millionen Zuschauer beim „Tatort“ schlagen nicht zu Buche. Die vier bis fünf Millionen, die regelmäßig dienstags die Serien im Ersten einschalten, kann man ignorieren.

Warum eigentlich beschränkten die Götter ihre Wohltaten auf dänische und US-amerikanische Serien? Gab es denn gar nichts in Großbritannien, Frankreich, Benelux, Österreich, Polen, Tschechei? Australien, Asien, Afrika? Waren „The Prisoner“, „Widows“, „The Singing Detective“, das Original von „House of Cards“, „Capital City“, „State of Play“ ohne Bedeutung?

Die Produzenten von „24“ sahen das anders und holten sich Rat von Lynda La Plante, der britischen Autorin von Qualitätsserien wie „Widows“, „Prime Suspect“ und „Trial & Retribution“, deren Stil in „24“ anklingt.

ZAHLENSPIELE

»Boom« ist ein relativer Begriff, was folgende Zahlen belegen. „Breaking Bad“ begann in den USA mit durchschnittlich 1,23 Millionen Zuschauer, steigerte sich mühsam, blieb aber noch in den Staffeln 4 und 5a unter drei Millionen Zuschauern. Erst einige Folgen, nicht alle, der sechsten Staffel erreichten die Sechs-Millionen-Marke.

„Mad Men“ fand im besten Fall 3,29 Millionen Zuschauer, der Durchschnitt lag deutlich darunter.

Demgegenüber haben wir klassisch strukturierte episodische Serien wie „The Mentalist“ – sie startete mit 14,9 Millionen Zuschauern, erreichte mit der sechsten Staffel rund neun Millionen Zuschauer. Der Pilot von „Person of Interest“ wurde von 13,33 Millionen Menschen eingeschaltet. Ende der ersten Staffel gesellten sich noch ein paar dazu, in der Summe waren es 13,47 Millionen. In der fünften Staffel wendete sich das Publikum ab, aber mit 6,51 Millionen Zuschauer beim Finale liegt die Serie immer noch besser im Rennen als „Breaking Bad“ und „Mad Men“.

„Navy CIS“ begann mit 11,84 Millionen Zuschauern, erreichte in der Spitze 21,34 Millionen und erzielt auch in der 19. Staffel (!) im Schnitt über zehn Millionen Zuschauer pro Folge.

AKADEMISCHE ERKENNTNIS: FAMILIE FISHER UNTERSCHEIDET SICH VON FAMILIE HESSELBACH

Zitat:»Die Blaupause für den massiven Qualitätsschub im Fernsehen lieferten die HBO-Produktionen ›Sopranos‹ (1999-2007), ›Six Feet Under – Gestorben wird immer‹ (2001-2005) und ›The Wire‹ (2002-2008). Diese drei US-Serien nutzten das Format der Fortsetzungsgeschichte auf eine bis dahin ungekannte Weise.

Um die Differenz plastisch zu machen, hilft ein Vergleich mit ›Dallas‹ (CBS 1978-1991). (…) Zwar altern die Hauptfiguren, aber sie lernen genauso wie alle anderen überhaupt nichts dazu. Und auch das Setting um sie herum verändert sich nur unwesentlich. Das gleiche gilt für Vorgänger wie die ›Hesselbachs‹ (1960-1967) oder ›The Waltons‹ (CBS 1971-1981).«

Wenn eine kleine Berichtigung erlaubt ist: Eine Serie mit dem Titel „Hesselbachs“ gibt es nicht. Im deutschen Fernsehen liefen „Die Firma Hesselbach“ und „Die Familie Hesselbach“, die Fortsetzung trug den Titel „Herr Hesselbach und …“. Und der gewählte Vergleich hilft eher wenig. Erinnert sei daran, dass sich beispielsweise bei „Six Feet Under“ das Setting ebenfalls »nur unwesentlich« änderte. Und der Lerneffekt ist trotz des Altersunterschieds der Produktionen bei den Figuren von „Six Feet Under“ und den Serien um die Familie Hesselbach so unterschiedlich nicht. Beispiel: In der dritten Staffel wird Karl Hesselbach in den Stadtrat gewählt, dort lernt er und mit ihm die Zuschauerschaft eine ganze Menge über Lokalpolitik.

Es ist auch nicht ganz ohne Bedeutung, dass die Episoden der deutschen Serie monatlich ausgestrahlt wurden, also einer ganz anderen Dramaturgie unterlagen als Titel mit wöchentlichem Turnus.

EINE FRAGE DER WAHRNEHMUNG

Zitat: In den»neuen Serien«geht es»(…) vor allem um ein Nachvollziehen der Veränderung und des differenzierten Wahrnehmens und Erlebens einer Situation durch sämtliche Beteiligte.«

War nach diesen Maßstäben nicht schon „Peyton Place“ im Jahr 1964 eine »neue Serie«? Wie verhält es sich mit der britischen „Coronation Street“? Mit „M*A*S*H“, „St. Elsewhere“, „Ausgerechnet Alaska“, „Party of Five“, Anwaltsserien wie „L.A. Law“ und „I’ll Fly Away“?

EIN FALL FÜR DIE NOTAUFNAHME

»(…) der Streit um die richtige Sichtweise findet auch im Inneren der Hauptfiguren statt.«

Da kommt Sorge auf. Hoffentlich tragen die Hauptfiguren keine schwerwiegenden inneren Verletzungen davon, wenn die streitenden Parteien derart wüten.

INNOVATION: SERIENFOLGEN DAUERN JETZT 50 MINUTEN

Zitat:»In der Regel dauert bei den neuen Serien eine Episode fünfzig Minuten und es gibt zehn bis zwölf Episoden pro Staffel. ›The Wire‹ brachte es auf ganze fünf Staffeln, die Agenten-Thriller-Serie ›Homeland‹ ist bislang bei der dritten angelangt und noch ist kein Ende in Sicht.«

Ob es die Autorin wohl überrascht, dass eine fünfzigminütige Laufzeit als Norm gilt bei Produktionen, die für die Ausstrahlung in werbefinanzierten Sendern vorgesehen sind? Inklusive Werbung passen sie dann in das übliche Stunden-Schema. Wenn die Zahl der Staffeln als Rekorde vermeldet werden sollen, so fällt das Erreichte im Vergleich eher dürftig aus. „Law and Order“ bringt es auf 21 Staffeln, „Grey’s Anatomy“ geht ebenfalls in die 21. Runde, „Emergency Room“ endete nach der 15. Staffel. „Coronation Street“ läuft seit 1960 im britischen Fernsehen.

KAM DIE ERLEUCHTUNG WIRKLICH ERST SO SPÄT?

Zitat: »›Borgen‹ leuchtet ähnlich wie ›The Wire‹ und auch ›Homeland‹ das Zusammenspiel von Politik, Presse und Familie aus (…).«

In dem Punkt darf man behutsam ergänzen: „Borgen“ war kein Novum. Die dänische Serie hatte einen unmittelbaren Vorläufer in der niederländischen Produktion „Mevrouw Minister“, die auf Festivals und Fernsehmärkten gezeigt wurde und den dänischen Redakteuren kaum entgangen sein dürfte. Politische Themen in engerem Sinne verhandelten viele andere Serien, darunter „Tanner ʼ88“ (1988; Gewinner der goldenen Medaille in der Kategorie Best Television Series beim Cannes Television Festival) von Garry Trudeau und Robert Altman, „The West Wing“ (1999-2006), „State of Play“ (2003), „Commander in Chief“ (2005-2006) mit Geena Davis in der Rolle der ersten weiblichen Präsidentin der USA und nicht zuletzt „That’s My Bush!“ (2001) vom „South Park“-Team Trey Parker und Matt Stone. Im weiteren Sinne gehören auch die britischen Polit-Sitcoms „Yes, Minister“/„Yes, Primeminister“ (produziert 1979, gesendet 1980-1988, neu aufgelegt 2013) und „The Thick of It“ (2005, 2007 und 2012) in diesen Zusammenhang. Keinesfalls ausblenden darf man das britische Original von „House of Cards“ (1990) und dessen Folgeserien „To Play the King“ (1993) und „The Final Cut“ (1995), die zusammen eine zwölfteilige Trilogie ergeben.

TELEGENE ÜBERBEVÖLKERUNG

Zitat: »Im Laufe einer Serie bekommen es die ZuschauerInnen mit einer ganzen Heerschar von Charakteren zu tun.«

Die obige Beobachtung scheint nicht vollends durchdacht, denn sie gilt für nahezu jede Daytime- und Evening-Soap. Zum Beispiel für „Dallas“ und „Dynasty“, die ja oben auf einen Streich diskrediert wurden. Die bereits erwähnte britische Serie „Coronation Street“ erzählt seit 1960 von den Schicksalen der Bewohner einer ganzen Straße. Da kommt einiges an Personal zusammen.

BEFREIUNG AUS DEN KLAUEN DES PROGRAMMSCHEMAS

Zitat:»Möglich ist diese Komplexität nur aufgrund der DVD beziehungsweise der Streams auf bestimmten Webseiten. Die neuen Speichermedien und der Serienboom gehören zusammen. (…) Der Einzelne muss sich nicht mehr nach Sendeterminen richten, sondern kann die Serie sehen, wann immer es ihm passt.«

Jetzt verwundert aber, dass alle als Positivbeispiele aufgezählten Serie ihre Premieren im linearen Fernsehen hatten. „Die Sopranos“ starteten 1999, da war der Serienkonsum via World Wide Web noch nicht sehr weit gediehen. Zum Vergleich: Youtube wurde erst 2005 gegründet.

Hingegen erlaubte schon die Videokassette, eine Serie zu sehen, wann immer es dem Zuschauer passte. Was, wie die Älteren unter uns wissen, auch genau so praktiziert wurde.

Zitat: »Aber was ist mit der Ästhetik, was passiert auf der visuellen Ebene? Auch hier haben die neuen Serien dazugelernt, und zwar vor allem vom Kino. Die herkömmliche TV-Serie wird im Studio gedreht. Billiger ist Fernsehen nicht zu haben: Kein Wechsel der Drehorte und womöglich unpassendes Wetter bringen den Spielplan durcheinander (…). (…) Stattdessen sorgen eine überschaubare Anzahl von SchauspielerInnen mit schnellen pointenreichen Dialogen auf dem immergleichen Sofa oder am immergleichen Küchentisch für Unterhaltung.«

Schon grammatisch eine seltsame Aussage. Serien sind abstrakte Dinge, die können nichts dazulernen.

Wurden denn die »schnellen pointenreichen Dialoge« im Zeitalter der »neuen Serien« abgeschafft? Es gab Zeiten, da wurde genau diese Qualität seitens der Kritik gefordert. Man kann es den Leuten aber auch nicht recht machen …

Es wird das Selbstbewusstsein der Autorin hoffentlich nicht über die Maßen erschüttern, wenn sie erfährt, dass schon Episoden der deutschen Serie „Ihre Nachbarn heute Abend – die Familie Schölermann“ an Originalschauplätzen, zum Beispiel auf einem Passagierschiff, gedreht wurden. Auch die Hesselbachs gingen gelegentlich vor die Tür. Die Vorabendserie „Goldene Zeiten – Bittere Zeiten“ entstand in Baden-Baden, Paris, Wien, Marseille, Prag, „Sergeant Berry“ auf Mallorca. Für „Diamanten sind gefährlich“ und „Diamantendetektiv Dick Donald“ reisten die Hauptdarsteller nach Südafrika, für „Die Journalistin“ unter anderem an den Nürburgring, nach Amsterdam und nach Italien. Eine Episode spielt auf hoher See. Das ZDF ließ sich nicht lumpen und die Vorabendserie „I.O.B. – Spezialauftrag“ in Finnland, Belgien, Spanien drehen. Die ARD schickte die Heldinnen von „Okay S.I.R.“ buchstäblich in die Wüste, nach Rabat und Marrakesch, nach Marseille, Rom, Wien, Budapest, St. Mortiz. Zwar herausgepickt, aber keine Sonderfälle. Die Liste ließe sich fortsetzen.

EIN PAAR SHOTS ZUR ORIENTIERUNG

Zitat: »Die vernachlässigte Außenwelt wird nur über ›Orientierungsshots‹ eingeblendet – das Panorama von New York, die Ranch, die Lindenstraße. Alle diese Elemente finden sich auch in den neuen Qualitätsserien. Sie werden nun aber flankiert von cineastischen Elementen: So gibt es Außendrehs und auch aufwendigere Kamerafahrten.«

Nur ungern raubt man den jungen Leuten ihre Illusionen, aber Innendrehs sind eher die Regel als die Ausnahme. Seit je werden Kinofilme nach Möglichkeit im Studio gedreht. Das sind oder waren diese großen Gebäude auf den Geländen von Paramount, MGM, Warner Brothers, Babelsberg, Bavaria, Elstree, Pinewood mit der berühmten 007-Stage … Der Stab des Klassikers „Casablanca“ war nie in Casablanca, jedenfalls nicht im Rahmen der Dreharbeiten. Selbst der Flughafen wurde im Atelier nachgebaut. Alfred Hitchcock zog stets Dreharbeiten im Studio denen unter freiem Himmel vor. Er hat trotzdem ein paar anständige Filme zustande gebracht.

Auch er nutzte »Orientierungsshots“, in der Fachsprache Establishing Shots und schrieb dazu: »Washington ist ein Blick auf das Kapitol, New York ein Wolkenkratzer. Die Verwendung einer unbekannten Ansicht würde das Publikum verwirren …«

Establishing Shots gehören schlicht zur allgemeinen Filmsprache. Sie entstammen den eigenen Archiven oder werden von Agenturen bezogen.

WO WAREN DIE GUTEN SCHAUSPIELER ALL DIE JAHRE?

Zitat: »Im Post-TV hat das Fernsehen die Schauspielkunst wieder entdeckt. In fast allen neuen Serien finden sich außergewöhnliche DarstellerInnen, und zwar in Haupt- und Nebenrollen.«

Dann müssen wir davon ausgehen, dass Schauspieler und Schauspielerinnen wie Steve McQueen, Clint Eastwood, John Cassavetes, Richard Roundtree, Mia Farrow, Ryan O’Neal, Fred Astaire, Nick Nolte, David Niven, Charles Boyer, James Earl Jones, Alfre Woodard, Sally Field, George Clooney, Burt Lancaster, Robert Mitchum, Meryl Streep, Geena Davis, André Braugher, Edie Falco, Isabella Hofmann, Denzel Washington, Ned Beatty, Glenn Close, Sir Ian McKellen, Anthony Hopkins, Al Pacino wohl zu den minderbegabten Knallchargen zählen. Sie alle und viele weitere renommierte und preisgekrönte Kolleginnen und Kollegen sah man in dem, was die Autorin wohl als „Prä-TV“ bezeichnen würde.

Aber Filmauftritte sind eine völlig unnötige Reverenz. „St. Elsewhere“, „Hill Street Blues“, „Emergency Room“, „Homicide – Life on the Street“, „American Gothic“, „Profit“, „The Shield“ – lang ist die Liste der Serientitel, in denen man extraordinäre Leistungen von Schauspielerinnen und Schauspielern bewundern kann, die primär im Fernsehen gearbeitet haben und in ihrem Metier höchste Anerkennung genießen.

Kosmische Kapriolen

Es heißt Abschied nehmen von Jodie Whittaker als Kommandantin der TARDIS. Im Jubiläumsjahr 2023, die Serie startete am 23. November 1963, gibt es gleich zwei Wandlungen des Doctors. Einen Rückfall, eine neue Inkarnation in Gestalt des in Ruanda geborenen Schauspielers Ncuti Gatwa. Aber bis dahin ist noch ein wenig Zeit, die sich mit einigen Specials voller kosmischer Kapriolen und der 13. Staffel vortrefflich überbrücken lässt. Der Zyklus startet heute auf One. Mehr dazu hier: https://www.epd-film.de/tipps/2022/ard-mediathek-doctor-who-staffel-13

Der Geiselgangster von Görlitz

Sächsisch noir: Mit zwei neuen Filmen geht die düstere Reihe „Wolfsland“ um Kommissar Burkard Schulz und seine Partnerin Viola Delbrück in die Fortsetzung.

Frankfurt – Wie groß mag der Radius sein, den man einhalten muss, um nicht von Kommissar Burkard „Butsch“ Schulz (Götz Schubert) in irgendwelche Kalamitäten verwickelt zu werden? Am besten bleibt man wohl ganz außer Sichtweite. Seine Partnerin Viola Delbrück (Yvonne Catterfeld) wirkt gleichfalls wie ein Magnet auf Malaisen. Zu Beginn der Reihe „Wolfsland“ wurde sie von ihrem psychisch erkrankten Ex-Gatten kujoniert. Schulz zog sich später den Hass eines Jugendfreundes zu. Er wurde einer Vergewaltigung beschuldigt, des Mordes verdächtigt und erlitt schließlich eine Schussverletzung, die ihn in den Rollstuhl zwang.

Weiter geht es hier: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/kritik-wolfsland-20-stunden-im-ersten-der-geiselgangster-von-goerlitz-91991971.html

Camping-Panzer dringt nach Mecklenburg-Vorpommern vor

Osnabrück – Die Heimsuchung rollt mit einem Fahrzeug auf den Hof, das Susanne Krombholz (Stefanie Stappenbeck) sehr zutreffend als „Camping-Panzer“ bezeichnet. Ein Wohnmobil auf LKW-Chassis, ausgestattet mit allen Schikanen, ein Luxusschneckenhaus. So gewichtig, dass es auf unbefestigten Campingplätzen bei Regen vermutlich im Boden versackt.

Aber der Steuermann Oliver Drittenpreiß (Wanja Mues) denkt gar nicht an einen temporären Aufenthalt. Er ist in ein stilles Gebiet Mecklenburg-Vorpommerns vorgedrungen, um eine einsam auf weiter Flur stehende Retourenzentrale zu einem europaweit einzigartigen „Hyper Center“ auszubauen. Seine Vorstellungen präsentiert er futuristisch in Form einer Holoprojektion und salbadert im Wichtigtuerjargon unter anderem von der „Wende 2.0“. Die Vorzüge des nahe dem real existierenden, Kalauer provozierenden Pampow gelegenen Standorts: verkehrsgünstig, niedrige Löhne, üppige Wirtschaftsförderung.

Hier geht es weiter: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/retoure-ndr-reformator-im-camping-panzer-tv-kritik-91957265.html

Nicht die auf dem Platz sind die Gewinner

Die Serie »Das Netz: Spiel am Abgrund« beginnt mit der Zeitangabe: »Zwei Wochen bis zur WM.« So aktuell und mutig gerät eine Fernsehserie nur selten. Vom Tag der linearen Ausstrahlung an (3. November) sind es gut zwei Wochen bis zum Anpfiff der echten Fußballweltmeisterschaft in Katar.

In der fiktionalen Serie heißt der Weltfußballverband nicht FIFA, sondern WFA. Ihr Präsident Jean Leco (Raymond Thiry) verfolgt den ehrgeizigen Plan einer World League, in der die besten Mannschaften aller Länder gegeneinander antreten.

(…)

Mehr über die ARD-Serie „Das Netz” gibt es hier: https://www.epd-film.de/tipps/2022/ard-mediathek-das-netz

Finale für den Staatsanwalt

Ob’s an der Ostsee, der (Halb-)Insellage, der Nähe zu Skandinavien liegt? Mit „Stralsund“ auf Seiten des ZDF und dem „Usedom-Krimi“, vom NDR ins Erste eingespeist, gibt es zwei ausnehmend düster-melancholische Krimireihen im deutschen Fernsehen. „Baltic noir“, wenn man so will. Von der ersten Folge an lagen Schatten über dem Personal des „Usedom-Krimis“. Die Hauptfigur Karin Lossow (Katrin Sass) war und ist eine ehemalige, wegen Totschlags vorbestrafte Staatsanwältin. Ihre Tochter Julia Thiel (Lisa Marie Potthoff), selbst Mutter, hatte eine außereheliche Affäre. Thiel wurde mittlerweile ermordet. Ein rabiater Abschied, aber nicht der einzige im Verlauf der bisherigen Folgen.
Mit dem Film „Am Ende einer Reise“ endet der diesjährige dreiteilige Zyklus. Die Kriminalfälle werden jeweils aufgelöst, im privaten Bereich gibt es durchlaufende Handlungsfäden. Einer davon gilt Lossows angespannter Beziehung zu ihrem Nachfolger Dr. Dirk Brunner (Max Hopp), ein rundum unbeliebter schnöseliger Besserwisser und kleinkarierter Paragrafenreiter. Aber auch ein einsamer Mensch, der Haikus dichtet und sich sehr gewählt, wenn auch mit erhobener Nase, auszudrücken versteht. Die langjährige, von wechselseitiger Feindseligkeit geprägte Beziehung zu Lossow beschreibt er gewandt als „kritische Partnerschaft“.

Mit blauem Auge abhanden gekommen

Auch Brunner steht, so jedenfalls die Sachlage gegen Ende der aktuellen Episode, ein Abschied bevor. Bis zu seinem – buchstäblichen – Abflug aber hat er noch vier Tage Zeit. Um sich nicht zu langweilen, schließt er sich der an sich ungeliebten Lossow an, der während der Rückfahrt aus dem schwedischen Ystad eine verheiratete Polin mit blauem Auge aufgefallen war. Die saß nicht im Auto, als ihr Mann den Wagen in Świnoujście, ehemals Swinemünde, von der Fähre lenkte.
Karin Lossow ist ein Mensch von jener Art, dem dergleichen keine Ruhe lässt. Sie fragt dann mal nach, nimmt Witterung auf, beginnt zu ermitteln. Dieses Mal nicht im heimlichen Kampf gegen Brunner, sondern mit ihm an ihrer Seite. Was Stammseherinnen und -seher vielleicht überraschen wird, von Drehbuchautor Michael Vershinin, vormals Illner, aber bestens gelöst wird.
Überhaupt gelingt ihm und Regisseur Grzegorz Muskala die beste der im Oktober ausgestrahlten drei Folgen. Vershinin hat ein Ohr für Sprache, jede Hauptfigur hat ihre eigene Art zu reden. Man hört hier auch mal Polnisch, deutsch untertitelt; wenngleich immer noch polnische Landsleute sämtlich Deutsch sprechen, während die Deutschen allenfalls mal polnisch grüßen.
Regisseur Muskala schafft durchgehend eine unheilschwangere Atmosphäre, ohne den Krimi in ein Gruselkabinett zu verwandeln. Nur der Schluss ist dann um einiges drastischer als nötig gewesen wäre.

Verbeugung gen Schweden

Überflüssig auch die etwas angestrengt in die ersten Szenen eingebaute Verneigung vor Henning Mankell – Ystad! –, auch wenn dessen Name nicht fällt. Streifenpolizist Holm Brendel (Rainer Sellien) schätzt einen gewissen schwedischen Krimiautor und hat eine Wallfahrt nach Ystad zu den Romanschauplätzen hinter sich. Der Ausflug brachte ihm die Bekanntschaft mit der Krimi-Vloggerin „Noelle Noir“ (Ivan Anderson) ein, die noch eine Rolle spielen wird, fürs Erste aber einmal einwirft: „Die Schweden schreiben wirklich die besten Krimis“.
Mit derartigen pauschalen Aussagen sollte man immer vorsichtig sein. Ob „Noelle Noir“ wohl mal einen Krimi des mexikanischen Schriftstellers Paco Ignacio Taibo II gelesen hat? Die Hongkong-Thriller des australischen Autors William Marshall? Hat sie je Avtar Singhs Romanhelden Sajan Dayal durch Dehli begleitet?
Zu schweigen davon, dass es in Mankells Geschichten allerlei Widersprüche und Logikfehler gibt, die Lobhudeleien wie die obige etwas übertrieben erscheinen lassen. Ein Herkunftsland kann kein Gütezeichen sein, weder bei Romanen noch bei Krimiserien.

„Der Usedom-Krimi: Am Ende einer Reise“, in der ARD-Mediathek.

Serien der Sonderklasse

Wenn man über Politserien spricht, darf der Name Hugo Blick nicht fehlen.

Es kann vorkommen, dass das Schauen einer TV-Serie des Briten Hugo Blick einem den Atem raubt. Verursacht vielleicht ob der frappanten Qualität der Drehbücher. Der eleganten Dialoge. Der unerhört präzisen, durchdachten Inszenierung. Am wahrscheinlichsten aber weil Hugo Blick, der seine Karriere als Schauspieler begann, die Vorschriften handelsüblicher Lehrwerke über das Drehbuchschreiben gern gründlich missachtet.

Lesen Sie bitte weiter unter https://www.epd-film.de/tipps/2022/hugo-blick-duester-und-gewagt

Die Heldinnen der Heimatfront

Die ARD hat für den Spartensender One eine britische Serie mit origineller Exposition erworben. Der titelgebende „Bletchley Circle” besteht aus Frauen, die während des II. Weltkriegs in Bletchley deutsche Militärcodes dechiffrierten und damit die Nazis besiegen halfen. Reale Zahl: Dort arbeiteten 8.000 Frauen und 2.000 Männer.

Die Serie, im Herkunftsland von ITV in Auftrag gegeben, spielt in den 1950ern, und die vier Heldinnen nutzen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, um Kriminalfälle zu lösen. Rückblenden in die Kriegstage gibt es auch. Jeweils zwei Folgen bilden eine zusammenhängende Geschichte.


Die Serie ist dabei nicht nostalgisch verträumt, sondern spricht häufig auch die Benachteiligungen an, denen Frauen, zumal wenn sie unteren Gesellschaftsmilieus entstammten, zu dieser Zeit ausgesetzt waren.
Die Serie ist online abrufbar unter https://www.ardmediathek.de/sendung/the-bletchley-circle/staffel-1/Y3JpZDovL3dkci5kZS9vbmUvdGhlYmxldGNobGV5Y2lyY2xl/1

Das Lied von Blut und Gedärmen

Man soll Serien nicht nach nur einer Episode beurteilen. Aber bei „House of the Dragon“ deutet sich bereits nach der Auftaktfolge an, dass eine Enttäuschung bevorstehen könnte. Serienschöpfer ist Ryan J. Condal. Er war nicht am maßgeblichen TV-Epos „Game of Thrones“ beteiligt, dessen Mythologie in „House of the Dragon“ in Form einer Vorgeschichte wieder aufgenommen wird. Vom „G.o.T.“-Team ist einzig Miguel Sapochnik als Koproduzent und Mitglied des Regieteams geblieben.

Die beiden Entscheider wollen gleich mächtig protzen. Es gibt beeindruckende Panoramen, die aber leider erkennbar im Computer entstanden sind und sich von den Realszenen merklich abheben. Alles hier ist auf Optik und Spektakel abgestellt. In expliziten Szenen werden Hände und Köpfe abgehackt, Schädel zertrümmert, es gibt einen blutrünstigen Kaiserschnitt ohne Betäubung. Sexszenen, die bei „G.o.T.“ für eine ganze Staffel gereicht hätten. Schauspieler, die deutlich hervorkehren, wes Geistes Kind ihre Charaktere sind. Von Koryphäen wie Paddy Considine, Rhys Ifans und dem ehemaligen „Doctor Who” Matt Smith hätte man mehr erwarten dürfen.

Dem ersten Eindruck zufolge ist bereits festgelegt, wer sich geziemend und wer sich unartig zu verhalten hat. Die Ambivalenzen und Geheimnisse, die in der ersten Folge von „G.o.T.“ zu finden waren, sind hier – vorerst – nicht zu erkennen. Was, wenn es so bliebe, George R. R. Martins Ansatz widerspräche. Er verfolgt gerade kein schlichtes Gut-und-Böse-Schema, sondern baut auf Ambivalenzen. Das macht seine Romane so spannend. Sie sind keine Pralinenschachteln. Man weiß nie, was man kriegt …

Man weiß bereits, dass „House of the Dragon“, wie „G.o.T.” eine HBO-Produktion (in Deutschland bei Sky Atlantic), weniger episch ausfallen, sondern sich auf einen kleineren Personenkreis konzentrieren wird. Es gibt also weniger zu erzählen, aber ein größeres Budget, als bei den ersten Staffeln von „G.o.T.“ zur Verfügung stand. Statt auf originelle Inhalte wird auf Effekte und ausufernde Schlägereien inklusive Ritterturnier gesetzt. Viel Mühe wurde auf die Tricktechnik verwandt, weniger auf das Drehbuch. Hier ist zumindest vorerst nicht zu erkennen, was „G.o.T.“ erfolgreich werden ließ: Eine gute, wendungsreiche Geschichte mit eigenwilligen, sich wandelnden Charakteren in einem zu Entdeckungen einladenden Umfeld und mit Schauspielern, die die Nuance beherrschen.