Aussteigerinnen auf der Alm

Sat.1-Werbepostkarte aus dem Jahr 1992: Gerhart Lippert als „Der Bergdoktor“. (Archiv Harald Keller)

Mit ihm nahm das Fernsehen die schon in den 60ern populären seriellen Bergabenteuer wieder auf: Gerhart Lippert als „Der Bergdoktor“, damals noch bei Sat.1. Sein Stethoskop wurde mehrfach an nachgeborene Äskulap-Jünger weitergereicht; heute praktiziert der Alpinmediziner – und nicht nur er allein – beim ZDF. Mehr zum aktuellen Stand des im Gebirgsschatten siedelnden TV-Heimatfilms unter http://www.medienkorrespondenz.de/fernsehen/artikel/neuzugaenge-in-den-bergen-das-zdf-versucht-sich-an-einer-neuen-heimatfarbe-bislang-aber-noch.html

Das Scheusal und die verschworenen Schwestern

Goedele (Inge Paulussen) und Eva (Barbara Sarafian) bei der Beerdigung. Foto: Sofie Silbermann/ZDF.

Goedele (Inge Paulussen) und Eva (Barbara Sarafian) bei der Beerdigung. Foto: Sofie Silbermann/ZDF.

Natürlich machen die Belgier die besten Pommes. Comics können sie bekanntlich auch. Aber Fernsehserien und Kinofilme? Erst recht. Wer das Geschehen ein wenig verfolgt, hat das Produktionsland Belgien bereits zur Kenntnis genommen. Schon 2005 zeigte der WDR die 2001 produzierte und international preisgekrönte belgische Krimiserie „Dunkle Wasser“ („Stille Waters“), deren Autoren Ward Hulselmans und Marga Neirynck einen einzigen Kriminalfall über dreizehn Episoden hinweg erzählten. Feuilleton-Elogen erntete diese herausragende Produktion damals nicht, wie überhaupt das Serienschaffen im westlichen Ausland in der Berichterstattung speziell der eher metierfernen Rezensenten kaum Beachtung findet. RTLnitro nahm im Vorjahr die packende Serie „Matrioshki – Mädchenhändler“ ins Programm – gab es dazu Besprechungen? Hinweise? Empfehlungen?

Aus Belgien stammt ebenfalls die derzeit bei ZDFneo fortgesetzte Serie „Code 37“; derselbe Sender zeigt ab 19.5.2015 „Clan“, eine inhaltlich originelle zehnteilige Serie mit einer meisterlichen diskontinuierlichen Erzählweise:

Birgit Goethals (Ruth Becquart) würde die bevorstehende Trauerfeier am liebsten meiden. „Er war dein Schwager“, mahnt ihr Ehemann sanft zum Aufbruch. Jean-Claude Delcorps (Dirk Roofthooft) hat das Zeitliche gesegnet und Birgits Trauer hält sich in Grenzen. Desgleichen bei ihren Schwestern Eva (Barbara Sarafian), Veerle (Kristine van Pellicom) und Rebekka (Maaike Neuville). Nur Goedele Goethals (Inge Paulussen), die mit Jean-Claude verheiratet war, ist völlig aufgelöst.
Zeitgleich kommen zwei Brüder ins Spiel, Mathias (Geert Van Rampelberg) und Thomas DeWitt (Robbie Cleiren). Beide haben von ihrem Vater eine Versicherungsagentur geerbt und stecken in finanziellen Schwierigkeiten. Wenn sie die Ansprüche der Familie Delcorps erfüllen, wäre das Ende ihres kleinen Unternehmens besiegelt. Deshalb setzt namentlich Thomas, der Ältere, alles daran, den Goethals-Schwestern illegale Machenschaften nachzuweisen. Dummerweise ist sein Argwohn nicht unbegründet.

Weiter geht’s – die dortige Überschrift stammt natürlich nicht vom Autor – unter http://www.noz.de/deutschland-welt/medien/artikel/575275/zdfneo-bringt-die-belgische-serie-clan-ins-deutsche-fernsehen

Absage an die moderne TV-Erzählung

Mit „Die Chefin“ tat das ZDF 2012 in Sachen Serienkrimi einen kleinen Schritt nach vorn, inzwischen aber zwei zurück. Mehr dazu unter http://www.fr-online.de/tatort-spezial/-die-chefin–treibjagd—zdf-rueckfall-in-alte-muster,20719658,30658138.html

Leider kam die erbetene Stellungnahme von ZDF-Redakteur Günther van Endert zu spät. Sie sei hier nachgereicht:

„Schon die erste Staffel hatte episodischen Charakter. Daneben gab es eine ‚horizontale Spur‘, die sich durch alle vier Folgen zog und mit der Ermordung des Ehemannes von Vera Lanz (Katharina Böhm) zu tun hatte. Diese Spur gibt es in den folgenden Staffeln nicht mehr.

Die Quote ist zuletzt angestiegen. Wir führen das darauf zurück, dass die Reihe sich jetzt ‚gefunden‘ hat. Die Hauptfiguren, allen voran Vera Lanz, sind jetzt stimmig, und wir erzählen passende, spannendere Geschichten.“

Womit also gesagt wäre, dass die Serie ursprünglich mit unstimmigen Figuren, unpassenden Geschichten und spannungslos auf Sendung ging. Das kann man anders sehen. Hier ein Auszug aus meiner Kritik zur ersten Staffel aus der „Funkkorrespondenz“ (Heft 9, 2.3.2012, S. 33-34):

„(…) Neben den episodischen Kriminalfällen, die erwartungsgemäß zum Ende jeder Folge ihre Auflösung finden, gibt es eine zweite Ebene. Vera Lanz ist jung verwitet. Ihr verstorbener Ehemann war ebenfalls Kriminalbeamter, ermittelte verdeckt im kriminellen Wirtschaftsmilieu, soll dort Geld gestohlen und sich nach Italien abgesetzt haben, wo er im Zuge einer Schießerei mit Polizisten den Tod fand. Anfangs scheint es, als habe Vera Lanz, auch mit Rücksicht auf ihre 17-jährige Tochter, diese Vergangenheit hinter sich gelassen. Doch das täuscht. In ihrem Keller hat sie sich ein eigenes Ermittlungsbüro eingerichtet. An den Wänden hängen Zeitungsausschnitte und Fotos – auch von ihren Kollegen und vom Staatsanwalt, mit dem sie sich gelegentlich bei einem Schäferstündchen vergnügt. Diese versteckte Asservatenkammer übrigens gab es sehr ähnlich bereits in der von Vox gezeigten US-Serie „Life“ (USA 2007-2009).
Ähnlich wie in „Life“ wird auch in „Die Chefin“ Zug um Zug mehr über die vergangene Affäre enthüllt. Menschen aus Vera Lanz’ unmittelbarem Umfeld sind verdächtig; einer ihrer aktuellen Fälle steht in Verbindung mit den damaligen Ereignissen. So erhält die vierteilige Staffel einen übergreifenden Handlungsbogen inklusive weichem Cliffhanger am Ende jeder Episode. Folge um Folge gewinnt die Erzählung an Spannung; die Klimax ereignet sich in der packenden vierten Episode – ein für das Krimipublikum, das sich zusätzlich im Internet unter http://www.diechefin.zdf.de an den Ermittlungen beteiligen kann, befriedigendes Ende, aber mit einer deutlich herausgestellten Option auf Fortsetzung.
Das Kalkül ist offensichtlich. Die Urheber der Serie knüpfen an die Sehgewohnheiten der Stammzuschauer an, muten ihnen aber im Kleid der Konvention einige kühne Volten zu, darunter den gewaltsamen Tod einer als Sympathieträger eingeführten wiederkehrenden Figur. Eine durchaus geschickte, mähliche Modernisierung, die eigentlich schon viele Jahre früher hätte einsetzen müssen. Bleibt zu wünschen, dass der Fortschritt dieses Mal gelingt und künftighin ein wenig weiter getrieben werden kann.“

Der fromme Wunsch blieb unerfüllt. Das deutsche Publikum verlangt nach der Konvention und die Sender ziehen es augenscheinlich vor, dem nachzukommen.

Wo der Blues aus dem Auspuff röhrt

genevieve-chadwick

Genevieve Chadwick. Foto: Veranstalter.

Fällt das Wörtchen Blues, sieht man sich bisweilen belustigten Mienen ausgesetzt. Eine rückständige Haltung. Denn Bluesrock ist der Stil der Stunde. Radio Moscow, Jesper Munk, die schwedischen Blues Pills – Kinder des 21. Jahrhunderts, und sie waten knietief im Blues. Ein weiterer Beleg: Die Mitglieder der Homemade Jamz Blues Band, im Rahmen des 24. Grolsch Blues Festivals in Schöppingen zu Gast, waren Teenager, als sie sich dem Blues zuwandten. 2007 schrieben die Geschwister Geschichte als jüngste je von einer Plattenfirma angeheuerte Blues-Band: Ryan Perry (Gitarre/Gesang) war sechzehn, Bassist Kyle vierzehn, Schlagzeugerin Taya neun Jahre alt. Ryan und Kyle bauen ihre originell geformten Saiteninstrumente selbst und verwenden als Korpus Auspufftöpfe der Marke Ford. Selbst B. B. King war hingerissen: „Unfassbar!“
Mitnichten leben die jungen Blues-Musiker im Gestern. Der 31-jährige Ex-Basketballer Jarekus Singleton aus Mississippi brachte seine selbstverfassten Texte zunächst als Raps auf die Bühne, ehe er zur Gitarre griff und mit dem Blues eine passendere Tonart fand. Den souligen Blues, wie er sich auch im gegenwärtigen R&B erhalten hat, vertritt in Schöppingen der stimmlich mit Marvin Gaye verwandte Eddie Cotton Jr.

BabaJack

BabaJack. Foto: Veranstalter.

Unübersehbar sind Frauen führend im aktuellen Blues. Erika Wennerstrom ist Frontfrau und Gründerin der Heartless Bastards aus Cincinnati. Sängerin Amy Sacko prägt die Konzerte der malischen Band Bassekou Kouyaté & Ngoni Ba, mit der die Schöppinger Festivalveranstalter den Rahmen völlig zu Recht um eine Reise zu den Wurzeln des Blues erweitern. Bassekou Kouyatés Musik ist melodiös, mit eng geknüpftem Rhythmusgeflecht. Die charismatische Becky Tate vom britischen Folkblues-Quartett BabaJack weckt gesanglich Erinnerungen an die früh verstorbene Sandy Denny und deren Zusammenarbeit mit Led Zeppelin.
Ruppiger wird es mit Dragondeer, die stilistisch an britische Pub-Blueser wie Dr. Feelgood und The Blues Band erinnern, mit einer Pedal-Steel-Gitarre aber auch Country-Anleihen zulassen.
Gitarrist Anthony „Tone“ Catalano und Schlagzeugerin Celeste „CC“ Spina vom Duo Little Hurricane hegen eine Vorliebe für historische Instrumente. Sie spielen eigenes Material, aber auch Coverversionen, die die Originale freilich aufs Angenehmste entstellen. Bei Tone und CC wird selbst ein musikalisches Folterwerkzeug wie Aerosmiths „Don‘t Wanna Miss A Thing“ unversehens zu einer kleinen Perle.
Die texanische Multiinstrumentalistin Carolyn Wonderland, virtuos an der Slidegitarre, wird in Schöppingen im Trio auftreten, gehörte aber auch zeitweilig zum rein weiblichen Countryrock-Quintett SisDeville. Eine weitere Empfehlung für Rock-Freunde ist die Nick Moss Band, die sich deutlich vom Tulsa-Sound des verstorbenen J. J. Cale beeinflusst zeigt, aber aus Chicago stammt, wo Nick Moss zeitweilig für Blueslegende Jimmy Rogers die Gitarre kraulte. Eine bessere Reverenz ist kaum vorstellbar.

23. Grolsch Blues Festival, Schöppingen, 23. und 24.05.2015, ab 13.00 Uhr

Ein Interview mit der Homemade Jamz Blues Band findet sich in der Mai-Ausgabe des „Stadtblatt Osnabrück“.

Little Hurricane. Foto: Veranstalter.

Little Hurricane. Foto: Veranstalter.