Missbrauchte Eichhörnchen und ein Keuschheitsgürtel

Wenn das ZDF für den 30. Januar 2022 eine vierteilige Serie mit dem Titel „Agatha Christies Hjerson“ annonciert, könnte dies falsche Erwartungen wecken. Denn mit plüschigen, geschickt verrätselten Krimidramen rund um Christies Figuren Miss Marple, Inspektor Battle oder Hercule Poirot darf man in diesem Falle nicht rechnen.

Sven Hjerson passt nur bedingt in die typische Christie-Welt. Die gewitzte Autorin ersann mit Ariadne Oliver eine erfolgreiche Kriminalschriftstellerin, eine Art Alter Ego, die in mehreren ihrer Romane auftritt. Und Ariadne Olivers wiederkehrende Hauptfigur ist besagter Sven Hjerson.

Nun kam dem vor allem als Werbefilmer hervorgetretenen Patrik Gyllström die Idee, Hjerson zu einem eigenständigen Serienhelden zu küren. Die Nachlassverwalter von der Agatha Christie Ltd. gaben ihren Segen, skandinavische Sender nebst dem deutschen ZDF das nötige Geld.

Fünf Autoren und Autorinnen machten sich an die Arbeit. Das Ergebnis wirkt, als habe man ihnen einen großen Zettel über den Schreibtisch geklebt mit den Worten: „Nicht vergessen – originell sein!!!“. Bemüht haben sie sich, so viel darf man sagen.

Bei ihnen ist der berühmte Meisterkriminalist Sven Hjerson (Johan Rheborg) in Ungnade gefallen, weil er Beweise gefälscht haben soll. Wie es sich mit diesem Kasus wirklich verhält, wird vorerst nicht erhellt.

Die TV-Produzentin Klara Sandberg (Hanna Alström) hat das von ihr betreute Reality- oder besser Exploitation-Format satt und möchte etwas Neues beginnen: Eine realistische Krimireihe, in der sie gemeinsam mit Hjerson spektakuläre Fälle aufgreift und zu klären versucht. Hjerson lehnt kategorisch ab, sie bleibt hartnäckig, und irgendwie geraten sie dann doch ständig an irgendwelche Mordfälle. Allerdings ohne Kamera, weshalb Sandbergs von ihrem Arbeitgeber klaglos alimentierte Beteiligung ziemlich sinnlos erscheint, abgesehen von ihrer kindlichen Begeisterung fürs Detektivspielen.

Sven Hjerson ist offenbar finanziell unabhängig. Wie ihm das als geschasstem Beamten gelingen konnte, bleibt der Fantasie der Zuschauerschaft überlassen. Zwar hat er ein Hotel geerbt, ist aber selbst der einzige Gast. Abgesehen von einer Angestellten, die, wovon auch immer, bezahlt werden muss.

Um es kurz zu machen: Hier passt kaum etwas zusammen und taugt auch nicht als Parodie, falls das, worauf es keinen Hinweis gibt, beabsichtigt gewesen sein sollte. Zum Stichwort Originalität: Wenn man es originell findet, dass einem arroganten Filmstar ein Eichhörnchen in den Hintern gepfropft wird und Klaras Serienehemann einen Keuschheitsgürtel angelegt bekommt, woraufhin er sich hilflos einnässt, wird hier bestens bedient.

Ob Dame Agatha das wohl gutgeheißen hätte?

Versteckspiele

Bescheidenheit ist eine Zier, aber weiter kommt man ohne ihr. Da haben SWR und WDR mit „Thin Ice” eine spektakulär gute TV-Serie schwedisch-isländisch-französischer Herkunft eingekauft, und der SWR zeigte sie ohne nennenswerte Ankündigung im Januar an einem Mittwoch und einem Donnerstag im Regionalprogramm ab 23:30 Uhr bzw. 0:40 Uhr. Jeweils vier Folgen, also bis in den frühen Morgen. Es gibt gelegentlich Vorab-Ausstrahlungen aus vertraglichen Gründen, denen Wiederholungen auf besseren Sendeplätzen folgen. Das wäre hier mehr als angebracht.

Kurz zur Handlung, die unter Beteiligung von Hauptdarstellerin Lena Endre – man kennt sie u. a. aus der „Millenium”-Trilogie – erdacht wurde: Während eines Klimagipfels der Arktisanrainer in Grönland wird ein schwedisches Forschungsschiff gekapert. Als man es findet, ist niemand mehr an Bord. Kurz darauf wird am Tagungsort die Stromversorgung des Sendemasts gesprengt. Die Versammelten sind vorerst von der Außenwelt abgeschnitten.

Die Serie bietet großartige Bilder aus der Arktis, funktioniert für sich schon als packender Thriller, bezieht sich aber auch sehr patent auf den Klimawandel und berücksichtigt die Anliegen der grönländischen Inuit, deren Diskriminierung und den Einfluss des Klimawandels auf ihren Lebensstil. Wäre die Serie bei Netflix oder Amazon gelandet, die einschlägig orientierten Publikationen würden sich vor Begeisterung überschlagen. Auf den ersten Versuch hin mit der Suchmaschine ließen sich keine relevanten Rezensionen finden. Das Versäumnis kann man ausbügeln. Die Serie steht in der ARD-Mediathek. Aber nur bis 25.2.2022.

Aus der Reihe „Wissen, das der Mensch nicht braucht“: In der Rolle der Ina Lynge ist Nukâka Coster-Waldau zu sehen, die Gattin von Nikolaj Coster-Waldau, der uns auf ewig als zwischen Ruchlosigkeit und Mitgefühl pendelnder Jamie Lannister in Erinnerung bleibt.

Was sich 2022 ändert

2022 treten im Satzbaugewerbe und in den Wortdrechselstuben neue Verordnungen in Kraft. Die Verwendung des Verbs „ausgebremst“ bedarf künftig einer schriftlichen Genehmigung. Sportmetaphern wie „Auszeit“ und „in den Startlöchern“ sind nur noch ausgebildeten Fachredakteuren gestattet. Das Adjektiv „zeitnah“ wird dauerhaft durch „kurzfristig“ ersetzt. Die öffentliche Nutzung wird eingestellt.

In Redaktionen mit mehr als fünf Mitarbeitern sind künftig zertifizierte Anglizismusbeauftragte vorgeschrieben. Die Ausnahmegenehmigungen für Phrasen wie „nicht wirklich“, „willkommen zurück“, „wir sind Familie“, „wir müssen reden“, „das ist Geschichte“ werden aufgehoben. Stattdessen unterliegen sie ab dem 1.1.2022 einem strikten Nutzungsverbot.

Die wörtliche Übersetzung von „selftitled“ zu „selbstbetitelt“ wird künftig mit einem Entzug der Schreiberlaubnis für eine Dauer von mindestens sechs Monaten geahndet. „Publicist” ist künftig korrekt mit „Pressesprecher/in”, „pathologist” mit „Rechtsmediziner/in” und „decorator” mit „Innenarchitekt/in” oder „Innenausstatter/in” zu übersetzen.