Reizwortjournalismus – Wie die Suchmaschinenoptimierung die Berichterstattung korrumpiert

Es braucht keine gezielte Suche, um zu erkennen, dass der Streaming-Anbieter Netflix in der Medienberichterstattung eine Vorzugsbehandlung erfährt. Auf der Webseite tvspielfilm.de findet man gleich neben den „TV-Tipps des Tages“ den Anreißer zu dem Beitrag „Diese Netflix-Serien werden 2022 abgesetzt“. Scrollt man ein wenig, gibt es nochmals die Möglichkeit, zu diesem Text zu wechseln. Direkt daneben: „Netflix setzt nächste Serie ab“. Und darunter: „Die besten Netflix-Serien 2022“. Nochmals einige Klicks tiefer: „Die besten Netflix-Filme“. Unter der Rubrik „Streaming- und Serien-News“ in fast voller Seitenbreite: „Neu bei Netflix im März 2022“. Kein anderer Anbieter dieser Sparte wird bei tvspielfilm.de in ähnlichem Umfang berücksichtigt.

Kein Einzelfall.

Lesen Sie weiter in der aktuellen Ausgabe des „Medium Magazins”.

Witze machen, vom Fachmann erklärt

Die Ovation gab es gleich vorneweg. Kaum dass er die Bühne betreten hatte. Die Legende. Der Gigant. Der Titan der Comedy. John Cleese.

Und das sei gleich gesagt: Jeder, der sich in Deutschland als „Comedian” ausgibt, kann von diesem 82-Jährigen noch viel lernen. Ohne Ausnahme. Und auch alle Mimosen und Mimosinnen, alle Stirnrunzler und -runzlerinnen, alle Schmollnasen, Übelnehmerinnen und Übelnehmer. Ganz beiläufig nämlich hielt Cleese eine kleine Vorlesung zum Thema, was Humor darf und was nicht. Der oder die Witzelnde darf zum Beispiel lustige Beleidigungen zum Besten geben – was Cleese dann auch gleich mal exemplarisch vorführte –, sofern die Invektiven nicht dazu dienen, sich und seinesgleichen durch die Herabsetzung anderer über jene zu erheben. Ehrenwerte Komiker machen keinerlei Unterschiede, knöpfen sich alles, jeden und jede vor und beziehen sich auch selbst mit ein.

Schon vor zwei Jahren war der Abend angesetzt, Covid, der ewige Spielverderber, hatte das Gastspiel zunächst vereitelt. Aber Cleese lässt sich nicht unterkriegen und holt die Tournee in diesen Tagen nach. Das Programm heißt noch immer „Last Time to See Me Before I Die”. Diese Art von Humor bestimmte denn auch den gesamten Vortrag.

Los ging’s mit der Durchsage, Mr. Cleese habe eben den zweiten Herzinfarkt dieses Tages erlitten und werde momentan noch defibrilliert, um ihn für den Abend fit zu machen. Und es endete damit, dass John Cleese entgegen der früheren Aussage, er machte den „Silly Walk” nicht mehr, weil sein Körper überwiegend aus Ersatzteilen bestehe, mit dem „Silly Walk” von der Bühne ging, nur um noch einmal im Rollstuhl hereingefahren zu werden. Eine Assistentin übernahm es dann, mit dem Arm des wie leblos hingesunkenen Meisters zu winken. An evening not meant for the faint of heart. Und nicht für die Fans von Daniel Craig. Cleese gehört zur Pierce-Brosnan-Fraktion und wusste das auch zu begründen.

Der zweite Teil des Abends bestand darin, dass John Cleese Fragen beantwortete, die man ihm zuvor per Mail zukommen lassen durfte. Frech oder pietätlos sollten sie sein. Da waren natürlich ein paar Schlauberger dabei, die ihn in Verlegenheit bringen wollten. Aber doch nicht mit Mr. Cleese! Er beantwortete alles spontan, gewitzt und geistreich, ob es um seinen bevorstehenden Tod ging, die im Saal aufgestellten Monitore mit den Erinnerungshilfen oder was auch immer. Nett, sympathisch und humorvoll. Schwarzhumorig, versteht sich. Oder wie man heute sagen müsse: humour of color. Er war am Ende so in Fahrt, dass sein Bühnenpartner die Show beenden musste. Cleese hätte womöglich noch lange weitergemacht.

Nachdem er im ersten Teil die US-amerikanische Stadt Cleveland in Grund und Boden gewitzelt hatte, wurde er gefragt, wo er lieber sterben würde, in Cleveland oder Enschede? Die Antwort: Cleveland. Empörtes Gemurmel des Enscheder Publikums. Nachgeschobene Erklärung: Er sterbe lieber an einem Ort, den er schnell hinter sich lassen möchte.

Hat nach meinem Dafürhalten aber noch Zeit mit dem Sterben.

Zum ersten Teil gehörte ferner ein Block mit aberwitzigen Hotelerlebnissen, von ihm kommentiert mit den Worten, er habe so viele von diesen Anekdoten, dass er noch eine ganze Staffel von „Fawlty Towers” (seine Lieblingsszene aus der Serie, natürlich eine BBC-Produktion, ließ er einspielen) damit füllen könnte.

JA! Bitte! Unbedingt! Gleich nach Ende der Tournee sofort ans Werk, Mr. Cleese. Auf geht’s! Bittebittebitte …

Mobbing, falsche Alibis, Mord im Teutoburger Wald

Schreibt Kriminalromane mit literarischem Niveau: Heike Rommel. Bei ihrer Lesung wird sie musikalisch begleitet vom Bielefelder Jazzsaxofonisten Thomas Schweitzer. Weitere Infos: http://www.heike-rommel.de

Verwirrung im Konzertbetrieb

Maceo Parker mit Band beim Jazzfest Gronau 2015. (c) Harald Keller.Os.

Der Konzertkartenverkäufer ADticket hat derzeit Karten für die Herbsttournee von Maceo Parker im Angebot. Auffällig dabei: Der Funk-Saxofonist soll am selben Tage, am 11.11.2022, jeweils um 20 Uhr sowohl in Mönchengladbach wie in Herford auftreten. Wenn er das schafft, sollte man dem Vatikan ein Wunder melden. Tatsächlich eher ein Rätsel, das man als Kaufwilliger gern gelöst haben möchte. Auf die entsprechende Mailanfrage erhält man folgende Antwort:

„Die häufigsten Fragen, beispielsweise zur Ticketbestellung oder Corona, werden in unseren FAQ beantwortet. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass diese Anfrage hiermit automatisch geschlossen wird.”

Nein, das Verständnis wird nicht gewährt, denn die Frage ist nicht beantwortet. Es wäre also kundenfreundlich und mehr als angebracht, wenn ein entsprechender Kommunikationsweg geschaffen wird, auch für den Fall, der hier offenbar gegeben ist, das beim Anbieter die Terminüberschneidung gar nicht bemerkt wurde.

Neuverfilmung der Van-der-Valk-Romane: Grummler, Gräuel, Grachten

Wer immer das literarische Erbe des 2003 verstorbenen britischen Schriftstellers Nicolas Freeling (gebürtig Nicolas Davidson) verwaltet, hat dessen Nimbus mit der neuerlichen Vergabe der Filmrechte keinen Gefallen getan. Die erste Verfilmung in Form einer TV-Serie mit dem Amsterdamer Kommissar Piet van der Valk hatte 1972 Premiere und lief mit Unterbrechungen bis 1992. Die Hauptrolle spielte Barry Foster, wohl sein bekanntester Part neben dem Frauenmörder aus Alfred Hitchcocks „Frenzy“. Zur gleichen Zeit gab es drei abendfüllende Freeling-Verfilmungen aus deutscher Hand mit dem Hauptdarsteller Frank Finlay und der Vorlage näher als die britische Produktion. Einer der Regisseure war Peter Zadek. Martin Compart zitiert ihn in seinem Lexikon „Crime TV” folgendermaßen: „Im übrigen wird es sich herausstellen, ob unsere Rechnung aufgeht, daß man heute einen Krimi ohne Gewalt und Action machen kann, ohne rasante Schnitte einen ruhigen Film, der seine Spannung aus dem Verhalten der Menschen zueinander bezieht – oder ob das Publikum überstrapaziert wird, daß es für Raffinessen verdorben ist.” Der Satz könnte gerade erst geäußert worden sein, stammt aber aus dem Jahr 1972.

2020 übernahmen erneut die Briten – die Niederländer leisteten nur Produktionshilfe – und besetzten die Titelrolle mit Marc Warren, der selbst auch als Produzent fungiert. Die Wahl des durchtrainierten Mimen, in Deutschland bekannt vor allem durch die schmissige Gaunerserie „Hustle – Unehrlich währt am längsten“, deutet schon an, dass von Freelings Konzept nicht viel mehr geblieben ist als der Name der Hauptfigur und der Schauplatz Amsterdam.

Verbrannt, zerstückelt und entstellt

Bei Freeling war Van der Valk ein nachdenklicher Mensch, belesen und ein Freund der guten Küche. Was daran liegen könnte, dass sein Erfinder, der lange in Amsterdam lebte, einige Zeit als Koch gearbeitet hatte. Und Van der Valk war verheiratet, mit der Französin Arlette, die nach dem gewaltsamem Ableben des Kommissars – ein mutiger Zug für einen Krimiautor – ihrerseits zur Heldin zweier Romane wurde, ehe Freeling mit Henri Castang einen neuen Ermittler an die Arbeit schickte.

Von Ehe kann beim zeitgenössischen Van der Valk keine Rede sein. Der wortkarge, immer leicht mürrische Beamte hat dank seines guten Aussehens Erfolg bei Frauen, gebärdet sich aber eher unbeholfen, wenn die Beziehung über den Beischlag hinausgehen soll. Er lebt, wahrlich ein ausgelutschtes Klischee, auf einem Segelschiff. Seine Tätigkeit beschreibt er mit den Worten: „Ich kümmere mich um den Dreck anderer Leute.“

Ein Grübler ist er schon, da scheint dann noch so eben der literarische Van der Valk durch, den Nicolas Freeling als sozialkritische Version von Georges Simenons Maigret anlegte.

Generell ist Chris Murray, der Hauptautor der Reihe, weit weniger wagemutig als Freeling. Der ging Risiken ein, schrieb beispielsweise ganze Kapitel aus der Warte des Verbrechers. (Und würde mit so einem ‚Durcheinander‘ wohl heutigentags bei den meisten Krimilektorinnen und -lektoren strikte Ablehnung ernten.) Demgegenüber orientiert sich Murray eher an der Masche einiger erfolgreicher skandinavischer Autoren. Keiner der drei Filme, die das Erste an den Pfingsttagen und am 12. Juni ausstrahlt, kommt ohne grotesk überzogene Morde aus. Das erste Opfer hängt weithin sichtbar wie eine Vogelscheuche an einem Gestell, und der Frau wurde mit einem Käsemesser ein großes Kreuz in die Haut geschnitten. Ein anderer Mensch verbrennt lebendigen Leibes. Im zweiten Film „Blut in Amsterdam“ werden Teile einer zerstückelten Leiche in Kisten verpackt und einigen noblen Herrschaften zugestellt. In der finalen Episode „Abrechnung in Amsterdam“ bekommt eine Cellistin Säure ins Gesicht, überlebt zunächst, erliegt dann aber ihren schweren Verletzungen.

Effekt geht vor Logik

Anhand der Geschichte dieses dritten Films lässt sich sehr schön die Absurdität solch spekulativer Mätzchen aufzeigen. Denn erzählt wird von einem Misthaufen aus hochgestellten Persönlichkeiten, die minderjährige Mädchen zu Sexspielen missbrauchen. Übereinstimmungen mit dem Fall Jeffrey Epstein sind wohl kein Zufall. Ein investigativer Journalist ermittelt, deshalb möchten die hochgestellten Drahtzieher dieses kriminellen Treibens gründlich ihre Spuren verwischen. Und das tun sie ausgerechnet, indem sie einer bekannten Musikerin in Anwesenheit eines großen Publikums (!) das Gesicht verätzen. Noch wirksamer hätte man die Polizei nicht auf sich aufmerksam machen können.

Auch im Detail wird viel Unfug getrieben. Van der Valks Mitarbeiter Brad de Vries (Luke Allen-Gale) kann Astronomie nicht von Astrologie unterscheiden, wird also so dumm hingestellt, als habe er nie eine Polizeischule von innen gesehen. DNA-Ergebnisse liegen in Minutenschnelle vor, der Rechtsmediziner, der gern im Sektionsraum ein Nickerchen hält und dort auch Pizza frisst, ist zugleich allgegenwärtiger Kriminaltechniker. Und der Eindruck, dass man in den Niederlanden keinen Durchsuchungsbeschluss benötigt, um als Polizist in fremde Wohnungen einzudringen, entspricht nicht den Tatsachen.

Die Kriminalfälle sind recht komplex gestrickt, aber Effekt geht vor Logik. Da durchstöbern die Ermittler Job Cloovers (Elliot Barnes-Worrell) und Brad de Vries das denkmalgeschützte Jugendstilkino Tuschinsky – von der Handlung her widersinnig, aber schön anzusehen –, während zeitgleich Van der Valk und die Kollegin Lucienne Hassel (Maimie McCoy) nach Scheveningen aufbrechen. Die Fahrt dauert mindestens eine Stunde, und trotzdem sind sie bereits am Strand, ehe Cloovers und De Vries ihre rasche Durchsuchung beendet haben. Die fahren dann hinterdrein und stehen im nächsten Moment bereits neben den Kollegen unterm Scheveninger Riesenrad.

Wer also von einem Kriminalfilm ein Mindestmaß an Plausibilität erwartet, sollte sich anderswo umsehen. Am Pfingstmontag zum Beispiel im ZDF beziehungsweise in der ZDF-Mediathek, wo der auf einem realen Kriminalfall beruhende britische Dreiteiler „The Pembrokeshire Murders” mit Luke Evans gezeigt wird.

Vorzugsweise dekadent

Hingegen kommen Amsterdam-Fans auf ihre Kosten. Täter, Verdächtige, Zeugen, Ermittler bewegen sich bevorzugt rund um Sehenswürdigkeiten wie dem Muziekgebouw aan ’t IJ, dem Amsterdam-Turm mit dem kreisenden Restaurant oder dem runden Parkhaus an der Marnixstraat. Wenn eine Figur gern schwimmen geht, dann natürlich hoch über den Dächern in der „W Lounge“, direkt gegenüber dem Königlichen Palast.

Viele Szenen spielen in diesen von vielen Touristen frequentierten Straßen rund um den Dam. Van der Valk und sein Team arbeiten gern außerhalb des Präsidiums im legendären „Café Scheltema“ und lassen dort gelegentlich ihre Fallakten allgemein zugänglich auf den Tischen liegen.

Der Autor Chris Murray hegt offenbar eine Vorliebe für die Dekadenz nobler Milieus – Immobilienmakler, eine Diamantendynastie, Gastrokönige –, und damit zugleich für Prunk und Pomp in den Kulissen. Alles in dieser Produktion ist auf Bildwirkung ausgerichtet. Ohne Rücksicht auf inhaltliche Belange. Viele Establishing Shots – kurze Szenen, die eigentlich einen Schauplatzwechsel vermitteln sollen – zeigen gerade nicht den Ort der folgenden Handlung, sondern wurden zusammenhanglos zwischen die Sequenzen geklebt.

Zu gucken also gibt es eine Menge, in die Aufnahmetechnik wurde sichtlich investiert. Aber Inhalt und Machart sind demgegenüber blamabel geraten. Dem vielfach preisgekrönten Nicolas Freeling werden sie nicht einmal annähernd gerecht.

Übrigens produzieren die Niederländer selbst gute Kriminalserien. Vielleicht sollten die deutschen Sender dort mal auf Einkaufstour gehen.

Kommissar Van der Valk: Gejagt in Amsterdam“, Pfingstsonntag, 21:45 Uhr, Das Erste

Kommissar Van der Valk: Blut in Amsterdam“, Pfingstmontag, 21:45 Uhr, Das Erste

Kommissar Van der Valk: Abrechnung in Amsterdam“, 12.6.2022, 21:45 Uhr, Das Erste

Alle Filme sind bereits online in der ARD-Mediathek verfügbar.