Kommt Blaublut von blau machen?

Die Trauerfeierlichkeiten für Queen Elisabeth II. waren ein Schauspiel nach allen Regeln der Kunst. Mit Hauptdarstellern, Statisten, Kostümen, Kulissen, Musik, Spezialeffekten. Eigentlich bin ich seit je Antimonarchist, ausgehend von der Vorstellung, dass die Mittel zur Finanzierung von Pomp und Umständlichkeiten anderweitig besser investiert wären. Denn die Aufführungen des Adels verlangen Garderobieren, Schneider, Fahrer, Mechaniker, Sicherheitsleute, Hausverwalter, Gärtner, Buchhalter, Pferdepfleger, Haushaltshilfen …
Wenn man nun aber bedenkt, dass jede Giftschleuder und jede Finanzgaunerei mit dem Arbeitsplatzargument durchgeboxt wird, erscheinen diese Beschäftigungsmaßnahmen vergleichsweise pfleglich. Außerdem befördern die Windsors den Tourismus, und der jetzige König vergab über seine Stiftungen Kredite an Firmengründer, die von den Banken abgewiesen worden waren. Vielleicht sollten kompetente Menschen die Sache mal durchrechnen. Wie sähe eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Bilanz aus? Oder gibt es so was schon?
Am Rande der Sargtournee konnte man erfahren, dass ein Angestellter mehrmals jährlich die Räder der Staffette dreht, mit der das Erdmöbel verstorbener Monarchen durch die Straßen chauffiert wird, damit die Karosse im Falle eines womöglich unerwartet eintretenden Falles verlässlich funktioniert. Und es gibt den Piper to the Sovereign, der jeden Morgen zur selben Zeit unter dem Fenster des amtierenden Blaubluts eine volle Viertelstunde lang unnachsichtig den Dudelsack entlüftet und Ihre Majestät zur Arbeit ruft.
Nichts gegen Dudelsäcke, aber im Morgengrauen, ohne Rücksicht auf Unpässlichkeiten, Brummschädel, Schlafbedürfnis …
Not my cup of tea.
Westentaschenbuch (A6), 68 Seiten, 6,99 Euro, ISBN-10 ‏: ‎ 3756517578
Schmerzhafte Trennung

Lösen die Schnürbänder sich
Ist es unabänderlich
Die Hand zum Fuß zu dirigieren
Um die Bänder neu zu schnüren

Wird diese Bindung unterlassen
Droht eine schmerzhafte Malesse
Beim nächsten Gang durch Städtchens Gassen
Stolpert man bäuchlings auf die Fresse

Reizwortjournalismus – Wie die Suchmaschinenoptimierung die Berichterstattung korrumpiert

Es braucht keine gezielte Suche, um zu erkennen, dass der Streaming-Anbieter Netflix in der Medienberichterstattung eine Vorzugsbehandlung erfährt. Auf der Webseite tvspielfilm.de findet man gleich neben den „TV-Tipps des Tages“ den Anreißer zu dem Beitrag „Diese Netflix-Serien werden 2022 abgesetzt“. Scrollt man ein wenig, gibt es nochmals die Möglichkeit, zu diesem Text zu wechseln. Direkt daneben: „Netflix setzt nächste Serie ab“. Und darunter: „Die besten Netflix-Serien 2022“. Nochmals einige Klicks tiefer: „Die besten Netflix-Filme“. Unter der Rubrik „Streaming- und Serien-News“ in fast voller Seitenbreite: „Neu bei Netflix im März 2022“. Kein anderer Anbieter dieser Sparte wird bei tvspielfilm.de in ähnlichem Umfang berücksichtigt.

Kein Einzelfall.

Lesen Sie weiter in der aktuellen Ausgabe des „Medium Magazins”.

Witze machen, vom Fachmann erklärt

Die Ovation gab es gleich vorneweg. Kaum dass er die Bühne betreten hatte. Die Legende. Der Gigant. Der Titan der Comedy. John Cleese.

Und das sei gleich gesagt: Jeder, der sich in Deutschland als „Comedian” ausgibt, kann von diesem 82-Jährigen noch viel lernen. Ohne Ausnahme. Und auch alle Mimosen und Mimosinnen, alle Stirnrunzler und -runzlerinnen, alle Schmollnasen, Übelnehmerinnen und Übelnehmer. Ganz beiläufig nämlich hielt Cleese eine kleine Vorlesung zum Thema, was Humor darf und was nicht. Der oder die Witzelnde darf zum Beispiel lustige Beleidigungen zum Besten geben – was Cleese dann auch gleich mal exemplarisch vorführte –, sofern die Invektiven nicht dazu dienen, sich und seinesgleichen durch die Herabsetzung anderer über jene zu erheben. Ehrenwerte Komiker machen keinerlei Unterschiede, knöpfen sich alles, jeden und jede vor und beziehen sich auch selbst mit ein.

Schon vor zwei Jahren war der Abend angesetzt, Covid, der ewige Spielverderber, hatte das Gastspiel zunächst vereitelt. Aber Cleese lässt sich nicht unterkriegen und holt die Tournee in diesen Tagen nach. Das Programm heißt noch immer „Last Time to See Me Before I Die”. Diese Art von Humor bestimmte denn auch den gesamten Vortrag.

Los ging’s mit der Durchsage, Mr. Cleese habe eben den zweiten Herzinfarkt dieses Tages erlitten und werde momentan noch defibrilliert, um ihn für den Abend fit zu machen. Und es endete damit, dass John Cleese entgegen der früheren Aussage, er machte den „Silly Walk” nicht mehr, weil sein Körper überwiegend aus Ersatzteilen bestehe, mit dem „Silly Walk” von der Bühne ging, nur um noch einmal im Rollstuhl hereingefahren zu werden. Eine Assistentin übernahm es dann, mit dem Arm des wie leblos hingesunkenen Meisters zu winken. An evening not meant for the faint of heart. Und nicht für die Fans von Daniel Craig. Cleese gehört zur Pierce-Brosnan-Fraktion und wusste das auch zu begründen.

Der zweite Teil des Abends bestand darin, dass John Cleese Fragen beantwortete, die man ihm zuvor per Mail zukommen lassen durfte. Frech oder pietätlos sollten sie sein. Da waren natürlich ein paar Schlauberger dabei, die ihn in Verlegenheit bringen wollten. Aber doch nicht mit Mr. Cleese! Er beantwortete alles spontan, gewitzt und geistreich, ob es um seinen bevorstehenden Tod ging, die im Saal aufgestellten Monitore mit den Erinnerungshilfen oder was auch immer. Nett, sympathisch und humorvoll. Schwarzhumorig, versteht sich. Oder wie man heute sagen müsse: humour of color. Er war am Ende so in Fahrt, dass sein Bühnenpartner die Show beenden musste. Cleese hätte womöglich noch lange weitergemacht.

Nachdem er im ersten Teil die US-amerikanische Stadt Cleveland in Grund und Boden gewitzelt hatte, wurde er gefragt, wo er lieber sterben würde, in Cleveland oder Enschede? Die Antwort: Cleveland. Empörtes Gemurmel des Enscheder Publikums. Nachgeschobene Erklärung: Er sterbe lieber an einem Ort, den er schnell hinter sich lassen möchte.

Hat nach meinem Dafürhalten aber noch Zeit mit dem Sterben.

Zum ersten Teil gehörte ferner ein Block mit aberwitzigen Hotelerlebnissen, von ihm kommentiert mit den Worten, er habe so viele von diesen Anekdoten, dass er noch eine ganze Staffel von „Fawlty Towers” (seine Lieblingsszene aus der Serie, natürlich eine BBC-Produktion, ließ er einspielen) damit füllen könnte.

JA! Bitte! Unbedingt! Gleich nach Ende der Tournee sofort ans Werk, Mr. Cleese. Auf geht’s! Bittebittebitte …

Streaming-Hits unter der Lupe

Die Berichterstattung über Serienproduktionen in der Streaming-Sparte gerät bisweilen ein wenig disproportional. Man liest zum Beispiel bei kino.de: „Netflix fährt in den letzten Monaten einen Streaming-Rekord nach dem anderen ein. Mit der französischen Serie ‚Lupin‘ ist Netflix jetzt der nächste große Hit gelungen, der sogar die Kostümserie ‚Bridgerton‘ überholt hat.”

Klingt toll, aber ziehen wir mal ein paar Zahlen heran. „Lupin” erzielte laut Netflix in 2021 70 Millionen Abrufe. Und zwar global, also in über 190 Ländern.

Die Arte-Serie „In thérapie” (die zweite Staffel startet demnächst bei Arte Deutschland) wurde 35 Millionen Mal geklickt. Das aber ist in Relation zu setzen, denn die Zahl gilt nur für Frankreich.

Übertrumpft wird sie von der britischen Krimiserie „Line of Duty”. Allein die sechste Staffel, die in Deutschland noch nicht zu sehen war, fand bei der linearen Ausstrahlung 15,24 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Alle Staffeln zusammen wurden beim BBCi-Player allein im Jahr 2021 137 Millionen Mal gestreamt.

Weitere Abrufzahlen aus 2021, jeweils nur britisches Inland (!):

Silent Witness” – 62,3 Millionen.

Doctor Who” – 41,8 Millionen

Death in Paradise” – 39,7 Millionen.

Da könnte man doch eigentlich auch mal einen Beitrag erwarten mit dem Tenor: „Die britische BBC fährt in den letzten Monaten einen Streaming-Rekord nach dem anderen ein.”

Aber die deutschen Medienjournalisten können scheinbar den Blick von Netflix einfach nicht abwenden.

Versteckspiele

Bescheidenheit ist eine Zier, aber weiter kommt man ohne ihr. Da haben SWR und WDR mit „Thin Ice” eine spektakulär gute TV-Serie schwedisch-isländisch-französischer Herkunft eingekauft, und der SWR zeigte sie ohne nennenswerte Ankündigung im Januar an einem Mittwoch und einem Donnerstag im Regionalprogramm ab 23:30 Uhr bzw. 0:40 Uhr. Jeweils vier Folgen, also bis in den frühen Morgen. Es gibt gelegentlich Vorab-Ausstrahlungen aus vertraglichen Gründen, denen Wiederholungen auf besseren Sendeplätzen folgen. Das wäre hier mehr als angebracht.

Kurz zur Handlung, die unter Beteiligung von Hauptdarstellerin Lena Endre – man kennt sie u. a. aus der „Millenium”-Trilogie – erdacht wurde: Während eines Klimagipfels der Arktisanrainer in Grönland wird ein schwedisches Forschungsschiff gekapert. Als man es findet, ist niemand mehr an Bord. Kurz darauf wird am Tagungsort die Stromversorgung des Sendemasts gesprengt. Die Versammelten sind vorerst von der Außenwelt abgeschnitten.

Die Serie bietet großartige Bilder aus der Arktis, funktioniert für sich schon als packender Thriller, bezieht sich aber auch sehr patent auf den Klimawandel und berücksichtigt die Anliegen der grönländischen Inuit, deren Diskriminierung und den Einfluss des Klimawandels auf ihren Lebensstil. Wäre die Serie bei Netflix oder Amazon gelandet, die einschlägig orientierten Publikationen würden sich vor Begeisterung überschlagen. Auf den ersten Versuch hin mit der Suchmaschine ließen sich keine relevanten Rezensionen finden. Das Versäumnis kann man ausbügeln. Die Serie steht in der ARD-Mediathek. Aber nur bis 25.2.2022.

Aus der Reihe „Wissen, das der Mensch nicht braucht“: In der Rolle der Ina Lynge ist Nukâka Coster-Waldau zu sehen, die Gattin von Nikolaj Coster-Waldau, der uns auf ewig als zwischen Ruchlosigkeit und Mitgefühl pendelnder Jamie Lannister in Erinnerung bleibt.

Krimis direkt vom Erzeuger

Auftakt der Herbsttournee mit den Neuerscheinungen der beiden Autoren.
Interessierte Veranstalter und Veranstalterinnen wenden sich bitte an: keller-kultur-kommunikation at t-online.de.

Donna Summers Stippvisite im deutschen Fernsehkrimi

Wer über die Gnade der frühen Geburt und ein gutes Gedächtnis verfügt oder aber neugierig in der deutschen Fernsehvergangenheit stochert, der entdeckt unter Umständen spätere internationale Popstars in ihren Anfangstagen. So interpretierte Kiki Dee 1967 in dem mit Joachim Fuchsberger und Marianne Koch besetzten ZDF-Mehrteiler „Der Tod läuft hinterher“ 1967 den Northern-Soul-Titel (in den Sechzigern ihre bevorzugte Richtung) „Baby I Don’t Care“. Die damals in Deutschland lebende Donna Summer unternahm 1970 eine Stippvisite in Münchner Fernsehstudios und sang ebenfalls fürs ZDF und neben Hauptdarstellern wie wiederum Joachim Fuchsberger, Ann Smyrner, Götz George und Christiane Krüger in „11 Uhr 20“ sehr leicht geschürzt die Titel „Black Power“ und „If You Walkin’ Alone“, bei welchem sie als Ko-Komponistin zeichnete. Beide Dreiteiler wurden vom ehemaligen Nazi-Propagandisten Herbert Reinecker in kennzeichnender Schlichtheit, seinen nachahmlichen Dialogen und der für ihn typischen latenten Fremdenfeindlichkeit, von der ‚exotische Schönheiten‘ natürlich ausgenommen waren, abgefasst und von dem früheren NS-Militärfilmer Wolfgang Becker ziemlich liederlich in Szene gesetzt. So hört man Donna Summer während einer Nachtclubschlägerei noch lauthals singen, obwohl sie die Lippen gar nicht oder nicht synchron bewegt. Nach den Händeln stimmt sie unbeeindruckt ins Playback wieder ein, als ob nichts geschehen sei.

Einen kursorischen Überblick über die Geschichte der deutschen, französischen und US-amerikanischen Mehrteiler gibt es unter diesem Link: https://www.epd-film.de/themen/die-miniserie-vom-fortsetzungsroman-zum-tv-event

Unsicherheiten, Niedrigverdienst, Qualitätsverlust

Im vergangenen Winter hat die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität eine Umfrage zum Thema Prekarisierung in den journalistischen Berufen erstellt. Erste Ergebnisse liegen vor. Professor Dr. Thomas Hanitzsch und Jana Rick, M.A., haben die Studie geleitet und schreiben (Orthografiefehler inklusive):

- Hauptberufliche Journalist*innen verdienen im Durchschnitt rund 2340 € netto pro Monat. Die Zahl der Niedrigverdiener*innen ist im Vergleich zu vergangenen Studien gestiegen.

- Mit ihrem Beruf allgemein sind 43% eher zufrieden und 26% sehr zufrieden.

- Insgesamt 43% der hauptberuflichen Journalist*innen schätzen ihre Arbeitssituation als prekär ein.

- Die Mehrheit der hauptberuflichen Journalist*innen (58%) stuft ihr aktuelles Arbeitsverhältnis als „eher unsicher“ ein.

- Drei von fünf Journalist*innen haben berichtet, dass sich ihre Arbeitsbedingungen seit der Corona-Pandemie verschlechtert haben.

- Die Mehrheit der Journalist*innen (58%) ist der Meinung, dass prekäre Verhältnisse die Qualität des Journalismus bedrohen.

Kommentar: Der Qualitätsverlust ist längst eingetreten. Schlimmer noch: Er wird von manchen Berufsangehörigen billigend in Kauf genommen.

Die ausführlichen Ergebnisse können unter https://survey.ifkw.lmu.de/Journalismus_und_Prekarisierung/Prekarisierung_im_Journalismus_erster_Ergebnisbericht.pdf eingesehen und heruntergeladen werden.

Krass verschätzt

Dem Immunologen Dr. Anthony Fauci wurden unter anderem folgende Ehrungen zuteil:

1995 Ernst Jung-Preis

1999 Pasarow Award

1999 Alexander Fleming Award

2002 Albany Medical Center Prize

2005 National Medal of Science

2005 Blaise-Pascal-Medaille

2007 Mary Woodard Lasker Public Service Award

2007 George M. Kober Medal der Association of American Physicians

2008 Presidential Medal of Freedom

2010 Dr. Paul Janssen Award for Biomedical Research (mit Erik de Clercq)

2013 Robert-Koch-Medaille

2013 Prinz-Mahidol-Preis

2016 Canada Gairdner Global Health Award

2020 Lienhard Award der National Academy of Medicine

Der amtierende US-Präsident Donald Trump nennt diesen Mann, so wörtlich, einen „Idioten“.

Donald Trumps Ehrungen (eine böswillig vorgenommene Auslese): drei Goldene Himbeeren, Aufnahme in die WWE Hall of Fame und, wenn Wikipedia nicht irrt, „Namensgeber für Dermophis donaldtrumpi, eine wurmartige Amphibienart“.

Noch Fragen?