Verunglückt

So schnell kann man zum Hansel werden. Die aktuelle Ausgabe der „Funkkorrespondenz“ unterrichtet ihre Leser auf Seite 7: „Von ‚Doctor’s Diary’ zeigte RTL im Sommer vorigen Jahres – jetzt um 21.15 Uhr – die zweite Staffel (vgl. FK 36/09). Auch die Fortsetzung erhielt den Grimme-Preis sowie unter anderem noch den Deutschen Fernsehpreis.“

Als Autor zeichnet der Wachhabende dieser kleinen Blog-Hütte. Realiter aber hat er diese Zeilen nicht geschrieben. Weil er im Rahmen des diesjährigen Grimme-Preis-Prozederes einen kleinen Beitrag leisten durfte, weiß er, dass über die Grimme-Preise des Jahrgangs 2009 noch gar nicht abschließend entschieden ist – die Nominierungen werden am 3. Februar bekanntgegeben. Und der Deutsche Fernsehpreis 2009 in der Kategorie Beste Serie ging zwar auch an RTL, prämiert aber wurde, und das kann man billigen, die Serie „Der Lehrer“, keineswegs schon wieder „Bridget Jones ruft Dr. Bruckner“ … pardon, „Doctor’s Diary“.

Ihr Allerwertester hat schon des öfteren Erfahrungen mit derartigen vorschnellen Eingriffen sammeln dürfen. Da wurde inmitten redaktioneller Hektik mal eben rein nach Bauchgefühl oder Hörensagen korrigiert, in Wahrheit falsifiziert, worauf der Verfasser Tage, wenn nicht Wochen eingehender Recherche verwandt hatte. Früher einmal, hört, hört, liebe Kinder, wurden Artikel von Dokumentaren geprüft und Unsicherheiten durch Anruf beim Autor beseitigt. Ein schöner Brauch, der wie so viele fast schon ausgestorben scheint.

Noch ein P.S.: Nicht nachvollziehbar ist übrigens, warum Wikipedia in der Vergangenheit verschiedentlich der Rang eines seriösen Nachschlagewerks zugeschrieben wurde. Wer’s glaubt, ist auch schon reingefallen. Denn wie ein früherer Ausbilder Ihres Chronisten zu sagen pflegte: Wo man hinpackt, packt man in die Scheiße. So meldet Wikipedia (Aufruf 30.1.2010, 16.30 Uhr)fälschlich, „Doctor’s Diary“ habe 2009 Grimme Preise in den Kategorien Fiktion wie auch Unterhaltung bekommen. Eine solche Doppelprämierung aber lassen die Statuten gar nicht zu. Wo steckt die angeschwärmte Schwarmintelligenz, wenn man sie mal braucht?

Synchronesisch

Mit Verständnis und nicht ohne Wohlwollen wurde von der Leitung dieses Blog-Hauses zur Kenntnis genommen, dass Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) in seinem Wirkungsbereich das Schnösel- und Döselenglisch untersagt hat. Kein „Travel Management“ mehr, keine „Task Force“, keine „Inhouse Meetings“, keine „Deadline“. Leider verschweigen die Nachrichtenagent- und auguren, wie Ramsauer mit Begriffen wie „Smoking“, „Trenchcoat“, „Pullover“ oder „Internet“ zu verfahren gedenkt. Und was ist mit Lehnworten anderer Herkunft? Von A wie „Agenda“ über „Monitor“, „Politik“ und „Subjekt“ bis hin zu „Zylinder“ – man könnte Bände damit füllen. Unsere Großeltern übrigens französelten in Nachahmung großbürgerlichen „Jargons“ und parlierten wie selbstverständlich über „Plumeau“, „Volant“, „Chemisett“ und die „Chaiselongue“.

Quälender noch als das so genannte „Denglisch“ ist Synchronesisch. Gemeint sind sprachliche Einsprengsel, die auf schlampige – und es gibt ja kaum noch andere – Filmsynchronisationen zurückgehen. „Nicht wirklich“ zählt dazu („not really“) und das inzwischen allgegenwärtige „süß“ („sweet“ lässt sich mit „lieb“, „lieblich“, „frisch“, „nett“, „freundlich“ übersetzen, was zeigt: eine korrekte Wortwahl ermöglicht die Präzisierung der ursprünglichen Aussage). „Pathetic“ bedeutet „mitleiderregend“, „jämmerlich“, „lächerlich“, wird aber im Synchronesischen zu, na klar, „pathetisch“. Ähnlich hören wir „überhört“, wenn ein angelsächsischer Schauspieler „overheard“ sagt und damit „zufällig belauscht“ oder „mitgehört“ meint.

„He’s history“ hat sich als „er ist Geschichte“ im deutschen Sprachraum etabliert, ebenso der „Loser“, vulgo „Verlierer“, der aber ein „Versager“ sein müsste. Kaum noch wegzudenken: „that makes sense“, allgemein bekannt als „das macht Sinn“.

Die mit Abstand dümmsten, aber tatsächlich vorgekommenen Übersetzungsleistungen:

„self-titled“ – „selbstbetitelt“

„shorthand“ – „mit kurzer Hand“

„Hardcopy“ – „Hartkopie“

Sie kennen weitere Sprachtorheiten der beschriebenen Art? Nur immer her damit – hier werden sie gesammelt und an den Pranger gestellt.

Klagelied

Einen eigenwilligen Vergleich zieht der ungewohnt privatsenderfreundlich klingende Stefan Niggemeier in der FAZ in Sachen Leermittelabgabe: „Anders als zum Beispiel die Gema, die Verwertungsgesellschaft der Musikwirtschaft, erhält die Fernsehindustrie von den so eingenommenen Vergütungen (insgesamt rund 200 Millionen Euro jährlich) bislang nichts.“

Nun versorgt die Gema mitnichten die Musikindustrie, sondern die Urheber musikalischer Werke, die Komponisten und Textdichter sowie Musikverleger: „Die GEMA nimmt mit Zustimmung des Urhebers die Verwertung seiner Werke treuhänderisch und kollektiv wahr, und das bereits seit über 100 Jahren in einem sich kontinuierlich verändernden Umfeld“, heißt es in der Mitgliederbroschüre.

In der Musikbranche verhält es sich auch nicht viel anders als im Verlagswesen: Die Autoren sind immer in der schwächsten Position und bedürfen starker Verbände. Insofern hält sich das Mitleid für Gerhard Zeiler, den Chefmanager der europäischen RTL-Group, dessen Lamento durch Niggemeier eine größere Öffentlichkeit findet, doch sehr in Grenzen.

Einwurf

Einen oft verbreiteten Irrtum reicht nun auch das Deutschlandradio weiter. Dort nämlich schreibt Burkhard Müller-Ullrich: „Der ‚Perlentaucher‘ ist mittlerweile fast jeder professionellen Feuilletonlektüre vorgeschaltet. Da er zuverlässig, gründlich und – bis auf gelegentliche klitzekleine Seitenhiebe – vollkommen unparteiisch resümiert, lenkt er die Selbstwahrnehmung des gesamten deutschsprachigen Kulturbetriebs.“

Wenn dem so sein sollte, lenkt der „Perlentaucher“ die Selbstwahrnehmung in die Irre. Der „Perlentaucher“ ist vieles, aber nicht gründlich und auch nicht unparteiisch. Die Verantwortlichen der täglichen Feuilletonrundschau selektieren, was ihr gutes Recht ist. Manche Zeitungen finden häufiger Erwähnung als andere, manche Ressorts werden ausführlicher berücksichtigt. Demnach darf, wer mit wissenschaftlicher Akribie den Weg eines bestimmten Themas durch die deutschen Feuilletons nachvollziehen möchte, wie es aufkam, variiert und ergänzt wurde, sich keinesfalls auf den „Perlentaucher“ allein verlassen. Ansonsten liefe man Gefahr, ein falsches Bild zu zeichnen.

Wachrüttler

Auf Reisen gewesen. Hoffnung für die Wirtschaft ausgemacht. Speziell für die Reiseweckerbranche. Reisewecker? Ja, wieder so ein Objekt, das jüngeren Generationen völlig fremd ist. Die Älteren fanden früher in ihren Hotelzimmern Radiowecker vor, in Gestalt eines Serienmodells auf dem Nachttischchen abgestellt oder diebstahlsicher in die Rückwand eingebaut. Irgendwann verschwanden die Radiowecker wieder, weil Fernsehsysteme installiert wurden, die den Gast schon beim Betreten des Zimmers willkommen hießen, Infos bereithielten, Free- und Pay-TV und eben auch eine Weckfunktion boten. Auch das ist nun wieder perdü. Die Fernsehapparate gibt es noch, aber sie taugen nurmehr zum Fernsehen. Wer geweckt werden möchte, muss die Rezeption beauftragen. Oder einen Reisewecker dabei haben. Das wird beim nächsten Ausflug auch der Fall sein. Irgendwo in der Kommode liegt noch so ein Teil. Aber wir werden bald viele davon brauchen. Und bitte kaufen Sie Präzisionsuhrwerke aus deutscher Fertigung. Sie schaffen Arbeitsplätze.

ÜberSehen

Wenig freundliche Worte fand die Kritikerin der „Süddeutschen Zeitung“ für den Arte-Spielfilm „Ellas Geheimnis“. Denn sie wusste ohne Hinzugucken, was ihr bevorstand: „Wenn eine erfolgreiche Hamburger Neuro-Psychiaterin nach vielen Jahren widerwillig in ihre afrikanische Heimat zurückkehrt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie versonnen an einer Handvoll roter Erde schnuppert.“

Nun schnupperte Hannelore Hoger in der Rolle der Ella mitnichten an einer Handvoll roter Erde, sondern prüfte den zum Trocknen ausgelegten Rooibos-Tee. Aber warum sich eingehend mit einem Film befassen, wenn man die Meinung doch bereits parat hat? Dieser Maxime folgt auch ein anderer Star-Kritiker des Blattes, der schon mal dabei beobachtet wurde, wie er während der Sichtung eines Films Zeitung las. Was ihn nicht hinderte, später vehement Stellung zu beziehen – geradeso profund wie seine oben zitierte Kollegin.

Ein Pedant, wer Böses dabei denkt? Vielleicht. Oder aber jemand, der noch gelegentlich Kontakt zu zahlenden Zeitungslesern hat. Die sind nicht erfreut, wenn sie mit einer Kombination aus drastischer Meinungsäußerung und offensichtlicher Unkenntnis behelligt werden, umso mehr, als derartige Epistel häufig offen oder verkappt Verachtung für die Nutzer populärer Fernsehangebote erkennen lassen. Nicht nur Gelegenheitsleser bekommen auf diese Weise ohne Not einen weiteren Grund geliefert, künftig das Geld für das Tageblatt zu sparen – warum soll man sich herabsetzen lassen und noch Geld dafür ausgeben? Man wäre ja tatsächlich so bescheuert, wie manche Redakteure zu glauben scheinen.

Nicht viel besser auch die „Frankfurter Rundschau“, die uns zu lesen und zu rätseln aufgab: „Wie viel Mehrwertsteuer zahlt ein Hotelgast, der im Bett frühstückt und dabei einen Softporno guckt, in dem es ein Haus- mit einem Maulesel treibt? Oliver Welke, Moderator der ‚heute-show’, hat diese Frage neulich seiner Kollegin Bettina Hausten (Martina Hill) gestellt. Ihre Stimme knarrte wie ein Grabdeckel, als sie ihm attestierte: ‚Sie sind ein sehr kranker Mann, Oliver.’ Es war eine Sternstunde der Satire. Ein Moment, wie man ihn bei Harald Schmidt schon lange nicht mehr erlebt hat.“

Schön geschrieben und mit dem Mantel in den Wind gehängt. Zugleich von ausnehmender Wahrhaftigkeit: Wenn man Harald Schmidt nicht guckt, kann man die großen Momente formvollendeter Satire natürlich nicht erleben. Mal ganz abgesehen von dem Umstand, dass es sich bei den von Oliver Welke eher ungelenk servierten Pointen der „heute-show“ vielleicht um Stirn-, nicht aber um Sternstunden handelt.

Dies nur, um mal das Niveau dieser Sendung auf andere Weise zu zitieren.

Und gleich noch im selben Aufwasch für all die Leser, denen von ihrem Stammblatt weisgemacht wurde, die ProSieben-Serie „Vampire Diaries“ bewege sich plagiatorisch im Windschatten Stephenie Meyers: Die Romanvorlagen zu den „Vampire Diaries“ (mittwochs, 21.15 Uhr) sind lange vor den mormonischen Bis(s)tialitäten erschienen.

Apropos Stephenie Meyer: Ein weiblicher Teenager und ein männlicher Vampir, die sich lieben, aber nicht gemeinsam unters Plumeau schlüpfen dürfen – gab es da nicht mal eine Serie mit dem Titel „Buffy – Im Bann der Dämonen“? Und eine Figur namens Angel? Die die erzwungene Enthaltsamkeit aufs Schönste kompensierte?

Der DVD-Markt hält für die Komparatisten unter uns alles Nötige bereit.

Freudentaumel

Wahnsinnsfreude bei der „Zeit“:

„Auch Michael Haneke konnte sich über einen Preis freuen.“

„Meryl Streep konnte sich über ihre siebte Globe-Trophäe für ihre Rolle von Starköchin Julia Child in der Komödie Julie & Julia freuen.“

„Auch Komödien-Star Sandra Bullock durfte sich freuen.“

Mehr Freudenausbrüche an dieser Stelle. Und eine kleine Ergänzung: Die Schauspielerin Mo’Nique als „Komödiantin“ zu bezeichnen, ist angesichts ihrer Auszeichnung für das Drama „Precious: Based on the Novel Push by Sapphire“ nicht so ganz angebracht.

Nächtliche Programmpretiosen

Spätheimkehrer oder Frühaufsteher, die in der vergangenen Nacht noch in die Übertragung der „Golden Globe“-Verleihung (danke, ProSieben) gerieten, hatten das Vergnügen, Ricky Gervais kennenzulernen. (Hat eigentlich irgendeine Fernsehseite vorab darauf hingewiesen?) Bei Gervais handelte es sich um den kleinen untersetzten Kerl, der zwischendurch die ätzend scharfen Scherze abfeuerte. Frechheiten statt Beweihräucherung, das sähe man gern auch häufiger bei deutschen Preiszeremonien. Aber dann würde vermutlich beim anschließenden Galadiner hauptsächlich beleidigte Leberwurst serviert.

Gervais, das sollte inzwischen ein Jeglicher parat haben, ist ein exzellenter Stand-up Comedian – trocken, rigoros und witzig ohne Rücksicht auf Verluste -, vor allem aber als Koautor, Koregisseur, Koproduzent und Hauptdarsteller der Vater von „The Office“ und damit auch von „Stromberg“.

Anders als Gervais in seinem Eröffnungssolo suggerierte, wissen die US-Amerikaner, die neben dem Original eine eigene Version von „The Office“ in ihren Fernsehprogrammen finden, was sie an ihm haben. Wie neben dem ehrenvollen Auftrag, durch den Abend der „Globes“ zu führen, nicht zuletzt der Willkommensbeifall seitens der versammelten Hollywood-Notabeln zeigte.

Parallel zu den „Golden Globes“ gab es in Deutschland Ricky Gervais gleich nochmal – Comedy Central zeigt seine mindestens auf gleichem Niveau wie „The Office“ rangierende Reihe „Extras“ (= Komparsen) so spät in der Nacht, dass sie in manchen Programmzeitschriften gar nicht mehr auftaucht.

Ungehörig, sowas.

Der Fehlschuss

In Kundus wird ein Knopf gedrückt

Und eine Bombe losgeschickt

Sie fliegt sehr leise, auch sehr tief

Ihr Ziel heißt Masar-e Scharif

Ein Beben läuft durch Hollywood

Da ging gehörig was kaputt

Es klafft ein Riesenloch im Sand

Wo grad noch eine Villa stand

Sorry!, ruft’s aus Afghanistan

Die Bundeswehr hat sich vertan

Der Befehl war nicht ganz klar

Man schoss auf Omar Sharif, den Star

Washington zeigt sich empört

Fast wär’ man wieder einmarschiert

Berlins Regierung, ganz verstört

Gibt sich zerknirscht, wie sich’s gehört

Minister singen laut im Chor:

Das kommt bestimmt nicht wieder vor!

Unarten bei Arte?

Das Erscheinen der britischen Serie „Suburban Shootout“ im Programm von Arte (dienstags, gegen 23.00 Uhr) wurde von manchen Beobachtern bereits als Menetekel für den inhaltlichen Niedergang des deutsch-französischen Kultursenders gedeutet. Abgesehen davon, dass hier von gerade mal 25 Minuten in einem 24-stündigen Vollprogramm die Rede ist – wir Programmhistoriker sind ja, anders als Autoren mit außerordentlicher Erfindungsgabe, nicht sonderlich gefragt in diesen Tagen, erlauben uns aber den Hinweis, dass Arte auch früher schon – dankenswerter Weise – britische Situationskomödien aufs Festland brachte, beispielsweise die Kultserie „Absolutely Fabulous“. Schade sogar, dass dies nicht kontinuierlich weiterbetrieben wurde. Sonst hätte man vielleicht manches im Original gesehen, was uns nur als – häufig fahlere – deutsche Nachahmung ins Haus wehte.

Joanna Lumley, eine der beiden Hauptdarstellerinnen von „Absolutely Fabulous“, definierte die Zielgruppe ihrer Serie einmal mit den Worten: „Fans, Freaks, Versager, Nichtstuer, Scheinheilige zwischen 16 und 60, die Spaß am Leben, eine Vorliebe für Alkohol, Lust an Katastrophen und mehr noch Freude am Selbstmord haben.“

Damit ist das Arte-Publikum doch haargenau beschrieben. Oder?