Das babylonische Berlin der Gegenwart

Henry Silowski (Peter Kurth). (c) Andreas Fischerkoesen/ZDF.

In letzter Zeit stieß der Kreuz-und-quer-Leser fast unvermeidlich auf den Satz: „Deutschland kann Serie“. Worauf dreierlei zu entgegnen wäre. Erstens: Deutschland kann kein deutsch. Zweitens: In Deutschland werden schon lange gute Serien produziert. Nur hatte früher beispielsweise eine Ausnahmeproduktion wie „Die Partner“ mit Jan Josef Liefers, Ann-Kathrin Kramer, Ulrich Noethen nicht einmal beim Grimme Preis eine Chance. Episoden wie „Julias blaue Augen“ ließen dem Publikum gedanklichen Spielraum. Und dann noch diese Wackelkamera … Dergleichen goutierte man damals noch nicht in den Gefilden der Hochkultur. Die Juroren wandten sich mit Grausen.

Drittens: Der obige Satz bezieht sich auf „Babylon Berlin“. Und diese Produktion ist nun keine gelungene Serie im Sinne einer genuinen Fernsehepik, sondern ein verlängerter Kinofilm mit überbetonten Schauwerten und schneller Taktung immer neuer Sensatiönchen und Attraktionen, dessen Machart gerade nicht zulässt, was eine gute TV-Serie ausmacht: die schrittweise Auslotung der Figuren, deren charakterliche Fortentwicklung, die mähliche Vertiefung und multiperspektivische Erörterung des Sujets.

An diesem Wochenende startet im ZDF der Fünfteiler „Die Protokollantin“. Dort begegnet man erneut dem Schauspieler Peter Kurth, der hier den Kriminalbeamten Henry Silowski und in „Babylon Berlin“ den Bruno Wolter verkörpert. Mit signifikantem Unterschied: In „Die Protokollantin“ kann Kurth unter der Regie von Nina Grosse und der international tätigen Samira Radsi die Bandbreite seines Könnens ausspielen. Immer wieder gibt es Momente des Innehaltens und des Schweigens. Auch lange, aktionsarme Szenen, wenn es nötig ist. Die besagen oft mehr als die hochtourige Geschwätzigkeit künstlich geblähter Monumentalproduktionen.

Die titelgebende „Protokollantin“, gespielt von der ungeschminkten, grau melierten Iris Berben, arbeitet bei der Berliner Kriminalpolizei und wird täglich mit Verbrechen aller Art, darunter schlimmste Grausamkeiten, konfrontiert. Die 63-Jährige ist eine stille Person, die selbst an der Ampel hinter die anderen zurücktritt. Jedoch wahrt sie ein Geheimnis, versteht selbst zu ermitteln. Nicht im Miss-Marple-Duktus von „Adelheid und ihre Mörder“ – „Die Protokollantin“, nach einer Idee von Friedrich Ani von Nina Grosse weitergedacht und ausgeführt, ist ein Beispiel des „German noir“. Auch nicht neu, in letzter Zeit aber häufiger anzutreffen. Trotz einiger dramaturgischer Unebenheiten – sehenswert ist der Fünfteiler allemal.

Die Protokollantin“, ab 20.10.2018, samstags, 21:45 Uhr, und in der ZDF-Mediathek

Freya Becker (Iris Berben, r.) und Tochter Marie (Zoe Moore, l.). (c) Andreas Fischerkoesen/ZDF.