Der Revierchef und die universelle Schuld

Kürzlich ergab sich Gelegenheit und nach der Lektüre zweier richtig schlechter Kriminalromane auch das Bedürfnis, mal wieder einen der alten Meister zu lesen, Janwillem van de Weterings „Ketchup, Karate und die Folgen“, im Original „The Mind-Murders“, aus dem Jahr 1981. „Ketchup“ und „Karate“, im deutschen Titel so prominent erwähnt, sind die Spitznamen zweier Streifenpolizisten, die gern einmal mit Verve und Unvernunft übers Ziel hinausschießen.

Van de Weterings Romane, die frühen zumal, ermöglichen eine Wiederbegegnung mit dem ‚alten’ Amsterdam der 1970er- und 1980er-Jahre. Er kannte es gut, denn er war dort selbst eine Zeitlang auf Streife gegangen.

Zugleich erlebt man eine andere Form von Kriminalliteratur. In „Ketchup, Karate und die Folgen“ gibt es bis zur Hälfte des Buches keine Leiche. Einen eher vagen Verdacht, aber auch erhebliche Zweifel. Grijpstra, De Gier und der alte Commissaris, Van de Weterings wiederkehrende Helden, wägen und sinnieren, trödeln herum, hocken, natürlich nur zu Recherchezwecken, an der Theke und führen philosophische Gespräche. Die entbehren nicht dessen, was Robert Gernhardt als „literarische Hochkomik“ bezeichnet hätte. Gemeint sind Sätze wie:

„Man hat mir nie geistigen Scharfblick vorgeworfen, aber mir scheint, du verdrehst deine Argumente.“ (Grijpstra)

„… ins Café Beelema gehe ich, wenn es mir zu schwer wird, die universelle Schuld zu tragen.“ (Revierleiter)

„… man sagt auch, die Haager seien wirkliche Menschen.“ – „Es ist unmöglich, Leute aus Den Haag zu diskriminieren.“

Revierleiter Jurriaans pflaumt in Erinnerung an den Tränenausbruch eines Streifenpolizisten: „Das ist in meiner Polizeiwache ein seltsames Verhalten, mit dem ich mich nicht abfinde.“ Von Jurriaans stammt auch dieser angesichts seines Standes ausgesprochen goldige Spruch: „Ich versuche, mich an das Gesetz zu halten, insoweit mich die Behörden nicht daran hindern.“

Spannend sind die Geschichten trotzdem. Vielmehr: genau deswegen.

Bücher in der Manier Van de Weterings – der buddhistisch geprägte Schriftsteller verzeichnete internationale Bestseller – dürften es heute schwer haben, einen Verlag zu finden. Zumindest nicht in der Krimisparte. Wenn da nicht auf den ersten fünf Seiten ein in Menschenblut schwimmender Tatort entdeckt oder eine in allen Einzelheiten ausgeführte abscheuliche Gewalttat begangen wird, ist das Skript schon unterwegs Richtung Friedhof der ungelesenen Manuskripte.

In „Ketchup, Karate und die Folgen“ lässt Van de Wetering den Verleger Frits Fortune sagen: „Gewiß, aber was wissen meine Autoren? Die wissen, wie man Unwissen auf zweihundert Seiten verbreitet. Die phantasieren oder lügen geradeheraus und verbinden Unsinn mit Fälschung.“

Wer kennt nicht einen Roman jüngerer Prägung, auf den diese Worte passgenau zutreffen?