Der Geiselgangster von Görlitz

Sächsisch noir: Mit zwei neuen Filmen geht die düstere Reihe „Wolfsland“ um Kommissar Burkard Schulz und seine Partnerin Viola Delbrück in die Fortsetzung.

Frankfurt – Wie groß mag der Radius sein, den man einhalten muss, um nicht von Kommissar Burkard „Butsch“ Schulz (Götz Schubert) in irgendwelche Kalamitäten verwickelt zu werden? Am besten bleibt man wohl ganz außer Sichtweite. Seine Partnerin Viola Delbrück (Yvonne Catterfeld) wirkt gleichfalls wie ein Magnet auf Malaisen. Zu Beginn der Reihe „Wolfsland“ wurde sie von ihrem psychisch erkrankten Ex-Gatten kujoniert. Schulz zog sich später den Hass eines Jugendfreundes zu. Er wurde einer Vergewaltigung beschuldigt, des Mordes verdächtigt und erlitt schließlich eine Schussverletzung, die ihn in den Rollstuhl zwang.

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Elektromagnetische und andere Impulse

Falls jemand eben den Krimi „Harter Brocken” im Ersten gesehen haben sollte, möchte ich in aller Bescheidenheit und ganz wertfrei anmerken, dass ich die Idee mit dem EMP schon in meinem 2018 erschienenen Kurzkrimi „Die Nacht mit dem Holenkerl” (2019 „Buch des Monats” der Stadtbibliothek Osnabrück) verwendet habe. Mehr dazu live nächsten Freitag ab 20 Uhr im Osnabrücker „Unikeller” unterm Schloss.

Finale für den Staatsanwalt

Ob’s an der Ostsee, der (Halb-)Insellage, der Nähe zu Skandinavien liegt? Mit „Stralsund“ auf Seiten des ZDF und dem „Usedom-Krimi“, vom NDR ins Erste eingespeist, gibt es zwei ausnehmend düster-melancholische Krimireihen im deutschen Fernsehen. „Baltic noir“, wenn man so will. Von der ersten Folge an lagen Schatten über dem Personal des „Usedom-Krimis“. Die Hauptfigur Karin Lossow (Katrin Sass) war und ist eine ehemalige, wegen Totschlags vorbestrafte Staatsanwältin. Ihre Tochter Julia Thiel (Lisa Marie Potthoff), selbst Mutter, hatte eine außereheliche Affäre. Thiel wurde mittlerweile ermordet. Ein rabiater Abschied, aber nicht der einzige im Verlauf der bisherigen Folgen.
Mit dem Film „Am Ende einer Reise“ endet der diesjährige dreiteilige Zyklus. Die Kriminalfälle werden jeweils aufgelöst, im privaten Bereich gibt es durchlaufende Handlungsfäden. Einer davon gilt Lossows angespannter Beziehung zu ihrem Nachfolger Dr. Dirk Brunner (Max Hopp), ein rundum unbeliebter schnöseliger Besserwisser und kleinkarierter Paragrafenreiter. Aber auch ein einsamer Mensch, der Haikus dichtet und sich sehr gewählt, wenn auch mit erhobener Nase, auszudrücken versteht. Die langjährige, von wechselseitiger Feindseligkeit geprägte Beziehung zu Lossow beschreibt er gewandt als „kritische Partnerschaft“.

Mit blauem Auge abhanden gekommen

Auch Brunner steht, so jedenfalls die Sachlage gegen Ende der aktuellen Episode, ein Abschied bevor. Bis zu seinem – buchstäblichen – Abflug aber hat er noch vier Tage Zeit. Um sich nicht zu langweilen, schließt er sich der an sich ungeliebten Lossow an, der während der Rückfahrt aus dem schwedischen Ystad eine verheiratete Polin mit blauem Auge aufgefallen war. Die saß nicht im Auto, als ihr Mann den Wagen in Świnoujście, ehemals Swinemünde, von der Fähre lenkte.
Karin Lossow ist ein Mensch von jener Art, dem dergleichen keine Ruhe lässt. Sie fragt dann mal nach, nimmt Witterung auf, beginnt zu ermitteln. Dieses Mal nicht im heimlichen Kampf gegen Brunner, sondern mit ihm an ihrer Seite. Was Stammseherinnen und -seher vielleicht überraschen wird, von Drehbuchautor Michael Vershinin, vormals Illner, aber bestens gelöst wird.
Überhaupt gelingt ihm und Regisseur Grzegorz Muskala die beste der im Oktober ausgestrahlten drei Folgen. Vershinin hat ein Ohr für Sprache, jede Hauptfigur hat ihre eigene Art zu reden. Man hört hier auch mal Polnisch, deutsch untertitelt; wenngleich immer noch polnische Landsleute sämtlich Deutsch sprechen, während die Deutschen allenfalls mal polnisch grüßen.
Regisseur Muskala schafft durchgehend eine unheilschwangere Atmosphäre, ohne den Krimi in ein Gruselkabinett zu verwandeln. Nur der Schluss ist dann um einiges drastischer als nötig gewesen wäre.

Verbeugung gen Schweden

Überflüssig auch die etwas angestrengt in die ersten Szenen eingebaute Verneigung vor Henning Mankell – Ystad! –, auch wenn dessen Name nicht fällt. Streifenpolizist Holm Brendel (Rainer Sellien) schätzt einen gewissen schwedischen Krimiautor und hat eine Wallfahrt nach Ystad zu den Romanschauplätzen hinter sich. Der Ausflug brachte ihm die Bekanntschaft mit der Krimi-Vloggerin „Noelle Noir“ (Ivan Anderson) ein, die noch eine Rolle spielen wird, fürs Erste aber einmal einwirft: „Die Schweden schreiben wirklich die besten Krimis“.
Mit derartigen pauschalen Aussagen sollte man immer vorsichtig sein. Ob „Noelle Noir“ wohl mal einen Krimi des mexikanischen Schriftstellers Paco Ignacio Taibo II gelesen hat? Die Hongkong-Thriller des australischen Autors William Marshall? Hat sie je Avtar Singhs Romanhelden Sajan Dayal durch Dehli begleitet?
Zu schweigen davon, dass es in Mankells Geschichten allerlei Widersprüche und Logikfehler gibt, die Lobhudeleien wie die obige etwas übertrieben erscheinen lassen. Ein Herkunftsland kann kein Gütezeichen sein, weder bei Romanen noch bei Krimiserien.

„Der Usedom-Krimi: Am Ende einer Reise“, in der ARD-Mediathek.

Wo Chaplin fast auf Hitler traf

Die wechselvolle Geschichte des realen Rheinhotels Dreesen liefert den Hintergrund für einen aufwändigen historischen Zweiteiler in der ARD.

Frankfurt – Zufälle und günstige Umstände haben das Bad Godesberger Rheinhotel Dreesen zu einem Brennpunkt der Geschichte werden lassen. Und das gleich mehrfach. 1894 eröffnet, sah es als Gäste Kaiser Wilhelm II. und deutsche und internationale Künstlerprominenz, darunter Marlene Dietrich und Hans Albers. Es beherbergte Adolf Hitler, der hier mit Neville Chamberlain über das Münchner Abkommen verhandelte. Es wurde zur braunen Bastion, KZ-Außen- und nach Kriegsende Flüchtlingslager.

Dwight Eisenhower bezog hier Quartier, später wurde das Hotel für den französischen Hochkommissar zum Bürogebäude umgebaut und wandelte sich nach dessen Abzug, nun wieder ein Gastronomiebetrieb, zum Treffpunkt der Bonner Politik- und Wirtschaftselite sowie internationaler Diplomaten.

Ein Haus, eine reichhaltige Quelle von wahren und überlieferten Geschichten. Ein Konsortium aus SWR, WDR, ARD Degeto, Beta Film hat sich daran begeben, einen Teil dieses mythologischen Schatzes zu heben.

Und was daraus wurde, erfährt man hier: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/das-weisse-haus-am-rhein-ard-tv-kritik-das-erste-hitler-91826939.html

Emily Cox als aufgehender Volksmusik-Stern Jana. Foto: Degeto/Das Erste

Wer es gewitzt und makaber mag, wird sich rasch anfreunden mit dem siebten Steirerkrimi namens „Steirerstern“, der in die Musikbranche führt. Im ländlich gelegenen Tonstudio Soundjack treffen Welten aufeinander. Das Volksmusiktrio Jana & die Lausbuam nimmt hier auf, die freie Studiozeit wird von der Indie-Pop-Band Talking Hearts genutzt. Bis zur Tatnacht ein Frauenquartett. Jetzt ist die Sängerin und Gitarristin Alex Dorner (Anna Friedberg) verstorben. Eine Kohlenmonoxidvergiftung, die angesichts des offenbar fahrlässig bedienten Kohleofens beinahe als Unfall durchgegangen wäre. Aber Kriminaltechniker Bernd Kofler (Christoph Kohlbacher) vom LKA Graz ist zu clever für den Täter. Er entdeckt schnell, dass der Abluftkanal verstopft wurde.

Anna Friedberg ist auch im realen Leben Musikerin, der Stil der fiktiven Band im Film ist ihrem nicht unähnlich: https://www.youtube.com/watch?v=bwhdAMm4REg

Heute um 20:15 Uhr im Ersten und natürlich auch in der ARD-Mediathek.

Adaptionen, Ambitionen, Kreationen

Formatverkäufe gehören in der Fernsehbranche zum Geschäft. Shows und Serien werden adaptiert oder, vor allem seit Aufkommen der Streaming-Dienste eine verstärkt ausgeübte Praxis, die Rechte an eingestellten Produktionen angekauft und beispielsweise Serien fortgeführt. Netflix beispielsweise griff auf „Arrested Development” ebenso zurück wie auf gut eingeführte Titel wie „The Killing”, „Longmire”, „Black Mirror”, „You – Du wirst mich lieben” oder gab Ableger bekannter Serien in Auftrag wie „Fuller House”, „Degrassi: Die nächste Klasse“, in Spielfilmform „Ferry” als Prequel zu der von öffentlich-rechtlichen Sendern entwickelten belgisch-deutschen Kultserie „Undercover”.

Besonders erfolgreich im Formatverkauf ist das kleine Land Israel. „Be Tipul” wurde in vielen Ländern adaptiert, gegenwärtig läuft die französische Version unter dem Titel „In Therapie” bei Arte, wo auch schon das israelische Vorbild zu sehen war. Auch „Hatufim – In der Hand des Feindes” wurde bei Arte ausgestrahlt. Die bekanntere US-Version trug den Titel „Homeland”. Vergleiche waren also möglich, weshalb verwundert, dass im aktuellen „Jahrbuch Fernsehen” geschrieben steht: „Die Serien der israelischen Mega-Produktionsfirma Keshet, auf die einige der US-Thriller-Erfolge wie ‚Homeland‘ basieren [sic!], haben das Erzähltempo seit den 90er Jahren stark erhöht.” Gerade „Hatufim” betont im Vergleich zur aktionsreicheren US-Version den dramatischen Gehalt der Geschichte, geht in die Tiefe statt von einer Einstellung zur nächsten zu hasten. Nebenbei: Der besagte Text widmet sich laut Untertitel „den neuen Erzählformen der boomenden Streaming-Plattformen”. Die meisten Beispiele aber stammen aus dem herkömmlichen linearen Fernsehen. Zum Beispiel wird „Fleabag” prominent hervorgehoben, eine Serie der öffentlich-rechtlichen BBC.

Eine deutsche Formatadaption hat am heutigen 9. April 2022 im Ersten Premiere in linearer Form. „Euer Ehren” basiert wiederum auf einem israelischen Format. Die Autoren David Nawrath und David Marian halten sich recht eng an die Vorlage „Kvodo” (2017), von der es bereits US-amerikanische, französische, russische, indische Versionen gibt. Nawrath führte auch Regie und übernahm einige Einstellungen der israelischen Kollegen Ron Ninio. Siehe unten.

„Euer Ehren” weist einige eigenständige Zutaten auf, die deutschen Bearbeiter gehen aber nicht so weit wie Peter Moffat, der die US-Version „Your Honor” verantwortete und sich in vielen Punkten von der Vorlage löste. In Deutschland gelten dem Original folgende Übertragungen bereits als anerkennenswerte kreative Leistung. „Stromberg” erhielt einen Grimme Preis, als der Autor Ralf Husmann noch öffentlich behauptete, die Serie sei keine Adaption des britischen Formats „The Office”. Der auftraggebende Sender ProSieben zahlte später entsprechende Tantiemen an die BBC.

Der Vox-Serie „Club der roten Bänder” wurde ein Grimme Preis für die Drehbücher zugesprochen, die nahezu Übersetzungen der katalanischen Originale waren. Deren Autor Albert Espinosa war sogar zeitweise bei den Dreharbeiten in Köln zugegen. Dennoch wurde sein Name in der Begründung für die Auszeichnung nicht genannt. Dies blieb den beiden Preisträgern Arne Nolting und Jan Martin Scharf überlassen, die hochanständig im Rahmen der Verleihung darauf hinwiesen, dass Espinosa ihnen die Vorlagen für ihre Skripte geliefert hatten. Die Grimme-Nominierungskommission übrigens hatte auf einen Vergleich von Original und Adaption verzichtet, obwohl die Statuten eben dies verlangten.

Der öffentlich-rechtliche Serienmarathon

Die öffentlich-rechtlichen Anbieter bestücken ihre Programme gerade in einem Maße mit Kaufserien und Eigenproduktionen, dass man lange Fernsehabende bestens ohne kommerzielle Anbieter gestalten kann.

Auf ARD One startete am vergangenen Samstag (19.2.) die auch in der Mediathek abrufbare und schon im SWR gelaufene hervorragende schwedisch-isländisch-französische Serie „Thin Ice“ über einen Klimagipfel im grönlandischen Tasiilaq, bei dem es zeitgleich zur Kaperung eines Forschungsschiffes kommt. Wenig später wird die Energieversorgung des örtlichen Sendemastes gesprengt. Die Handys bleiben tot. Erwähnenswert insbesondere: In die Handlung einbezogen sind die vom Klimawandel betroffenen, von Dänemark kolonialisierten Ureinwohner. Ideengeberin der Serie war die Hauptdarstellerin Lena Endre.

Exkurs: Ich habe mal „Thin Ice“ bei mehreren großen Zeitungen in die Suchmaschine eingegeben. Die doch so aktuelle Serie scheint niemanden interessiert zu haben. Wäre sie aber bei Netflix gelaufen …

Das ZDF setzt am heutigen 21.2. die Pandemieserie „Sløborn“ fort. Nicht ganz so gelungen wie die erste Staffel, aber immer noch gefüllt mit guten Ideen und jedenfalls weitab von üblichen deutschen Serienschemata.

Das Erste schickt am morgigen 22.2. „ZERV – Zeit der Abrechnung“ ins Rennen. Die Handlung spielt zur Zeit der Wiedervereinigung, als die reale Zentralstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität ihre Arbeit aufnahm. In der Serie, die um eine Dokumentation ergänzt wird, ermittelt ein west-östliches Team und gelangt über einen vermeintlichen Selbstmord an ein Geflecht von Waffenschiebern.

Die erste Folge weckte bei mir den Nörgelimpuls. Da liegt Hauptdarsteller Fabian Hinrichs unter einem DDR-Waschbecken, versucht eine Verstopfung zu beseitigen und kriegt natürlich die angesammelte Drecksbrühe ins Gesicht. Dann gibt es den Chef der Ost-Kripo, der von Schauspieler Leon Ullrich als wüste Karikatur angelegt wurde, was weder zum Thema noch zum Gestus seiner Kollegen passt. Wo war der Regisseur, als diese Szenen gedreht wurden? Rein subjektiv stört mich, dass wieder einmal Thorsten Merten, Rainer Bock und Arnd Klawitter in ihren Standardrollen besetzt wurden. Sind die Kataloge der Schauspieleragenturen so dünn, dass immer wieder dieselben Kräfte berufen werden müssen?

Immerhin, auf Seite der Damen gibt es ein paar jüngere und sehr begabte Gesichter.

Nun aber: Nach der eher missglückten ersten von insgesamt sechs Folgen wird es merklich besser. Beileibe nicht Premiumqualität, auch mit ein paar Logikpatzern, aber annehmbar.

Die Empfehlung der Woche: „Red Light“, ab Donnerstag (24.2.) bei Arte und dort bereits in der Mediathek. Erdacht, produziert und teilweise verfasst von den befreundeten niederländischen Schauspielerinnen Halina Reijn und Carice van Houten, spätestens seit „Game of Thrones“ – aber eigentlich auch schon vorher – eine internationale Größe. In „Red Light“ gibt es keine fliegenden Drachen, sondern realistische Einblicke ins Milieu, Zwangsprostitution, Frauenhandel mit verschwimmenden Grenzen zwischen Gut und Böse, mit vielschichtigen Charakteren. Maulig stimmte mich nur die deutsche Synchronstimme von Halina Reijn mit ihrem anhaltenden Jammerton, der die Figur der Opernsängerin Esther Vinkel quasi akustisch zum Opfer degradiert. So spricht Reijn nicht, weder in noch außerhalb ihrer Rolle. In der Mediathek ist die niederländisch-flämische Originalfassung zwar mit französischen, nicht aber deutschen Untertiteln eingestellt, damit aber immerhin überprüfbar, was ich hier so ungeniert dahinbehaupte.

Diagnose Mord

Spätestens seit der Serie „Dr. House“ weiß das Publikum, dass Mediziner und Kriminalisten, Diagnostiker und Fallanalytiker, methodisch häufig sehr ähnlich vorgehen. Auch, dass ihre Berufe verwandte Erfahrungen mit sich bringen. Gregory House ging immer davon aus, dass „alle Patienten lügen“. Man hat auch schon Polizisten so über Zeugen reden hören.

Dr. Felix Hoffmann (Kai Wiesinger) ist Notfallmediziner und alles andere als vertrauensselig. Als nach einer anstrengenden Nacht in der Ambulanz einer der Patienten stirbt, wird der Arzt stutzig. Er hatte den Mann, einen Klinikmitarbeiter ukrainischer Herkunft, noch vor kurzem untersucht und als gesund entlassen. Ist ihm ein Fehler unterlaufen? In der Todesbescheinigung kreuzt er hinter Todesursache „ungeklärt“ an.

Anderntags erfährt er, dass der Eintrag hinter seinem Rücken geändert wurde. Die Leiche ist bereits auf dem Weg zum Krematorium. Asche kann man nicht obduzieren.

Celine wittert trübe Machenschaften

Hoffmanns Nachbarin und intime Freundin, die Lehrerin Celine (Isabell Polak), die zumindest laut Pressemappe der ARD keinen Nachnamen hat, ein Schicksal, das sie mit vielen weiblichen TV-Figuren teilt, ist begeisterte Krimileserin und wittert ein Komplott.

Die Krankenakte des Toten wandert über verschlungene Wege, und langsam dämmert Dr. Hoffmann, dass hier tatsächlich verbrecherische Kräfte am Werk sind. Ein mysteriöser Russe kreuzt mehrfach seinen Weg, Dr. Bredow (Rainer Strecker) verhält sich merkwürdig und baumelt am Ende tot an der Decke. Wieder ein vorzeitiges Ableben, das offensichtlich kaschiert werden soll.

Die bekannten Missstände in deutschen Krankenhäusern, Personalmangel und beruflicher Stress, klingen am Rande immer wieder an, vor allem zu Beginn in einer flotten Montagesequenz, die den Herausforderungen einer Nachtschicht in der Notfallstation gewidmet ist. Der Kriminalfall entwickelt sich dann in eine eigene Richtung und lenkt von den reformbedürftigen Verhältnissen ab.

Die Buchhalterin hilft aus der Bredouille

Felix und Celine spielen nach bekanntem Muster Hobbydetektiv, dringen nachts in Büros ein, belauern Verdächtige, schleichen durch die Nacht. Es sind aber nicht unbedingt ihre deduktiven Fähigkeiten, die sie der Lösung der Falles näherbringen. Vielmehr beziehen sie diverse Hilfeleistungen, vor allem von Beate Vetter (Anita Vulesica), der sehr gewieften Buchhalterin aus Celines Schule, ohne die die Chose für Felix und Celine fatal ausgegangen wäre. Das zuarbeitende Personal wird immer dann eingeführt, wenn es gerade gebraucht wird, bleibt also in der Regel – leider – farblos.

Felix und Celine necken sich gern, sind wohl gedacht als zeitgemäße Nachfahren von Dashiell Hammetts Nick und Nora Charles oder von Maddie Hayes und David Addison aus der Serie „Das Model und der Schnüffler“. Um mit diesen Paaren gleichzuziehen, müssten aber Nils-Morten Osburg und Edzard Onneken, die das Drehbuch nach einer Romanvorlage von Christoph Spielberg verfassten, merklich spritzigere Dialoge aushecken. Ein lakonisches „du nervst“ ist ziemlich dürftig.

Fortsetzung nicht ausgeschlossen

Regisseur Max Zähle versucht, dem Ganzen einen eleganten Stil zu verleihen, setzt Splitscreen- und andere Effekte ein und untermalt das Geschehen mit der sehr gelungenen pulsierenden Musik von Florian Tessloff. Den Mitteln nach erinnert der Film an die britische Serie „Hustle – Unehrlich währt am längsten“, erreicht aber nicht deren Chic. Es will nicht so recht passen, wenn der Szenenwechsel mit einer eleganten lamellenartigen Überblendung vollzogen wird und die Kamera dann auf eine schäbige Industrieruine gerichtet ist. Da klaffen Stil und Inhalt auf ungünstige Weise auseinander.

Eines aber muss man dem Team zugute halten: Der Film endet erfreulich unmoralisch. Die Donnerstagskrimis im Ersten insgesamt sind anspruchsvoller geworden, diese Tonart aber fehlte bislang in diesem Reigen, zumindest in Form regelmäßiger Beiträge.

Bei entsprechendem Erfolg soll „Dr. Hoffmann“ als Reihe fortgesetzt werden. Im Prinzip keine schlechte Idee. An der Qualität aber sollte noch gearbeitet werden.

„Dr. Hoffmann: Die russische Spende“, Donnerstag, 17.2.2022, 20:15 Uhr, Das Erste und in der Mediathek

Höhlenmenschen, Wikinger und Dandys

Integration der Multitemporalen

Wenn der Polizist Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch) durch seine Heimatstadt Oslo fährt, muss er sich vorkommen wie in einem Themenpark. Vor der Skyline der modernen Hafenbebauung hocken Cro-Magnon-Menschen in den Bäumen, in den Parks hocken Wikinger an Lagerfeuern, Menschen in der Kleidung des 19. Jahrhunderts bummeln an Marktständen entlang. Welt und Zeitläufte scheinen aus den Fugen geraten in der norwegischen Fernsehserie „Beforeigners: Mörderische Zeiten“.

Erdacht wurde die bislang sechsteilige Serie – eine zweite Staffel ist in Arbeit – von Anne Bjørnstad und Eilif Skodvin. International bekannt wurde das norwegische Ehe- und Autorenpaar 2012 durch die Gangsterserie „Lilyhammer“, nachdem der Streaming-Dienst Netflix in die Produktion eingestiegen war und den US-Vertrieb übernommen hatte.

Rechteinhaber und federführend war das norwegische Fernsehen NRK. Auch bei „Beforeigners“ zeichnet NRK als Auftraggeber, dieses Mal mit dem Kabelkanal HBO Europe als internationalem Partner.

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Soigniert in Whitehall statt schmierig in Washington

Ab 12. Februar gibt es in der Arte-Mediathek die von Andrew Davies verfasste britische Erstverfilmung von „House of Cards“ aus dem Jahr 1990. Der Entstehungszeit entsprechend gediegener erzählt als heutige Serien. Wogegen nichts spricht, wenn die Charaktere spannend gestaltet sind.

Bei der Neuverfilmung beging das Team den Fehler, Frank Underwoods wahren Charakter gleich in der ersten Sequenz zu enthüllen. Schon ab diesem Moment traut ihm jede Schandtat zu, das nahm der Serie einiges an Reiz. Bei Underwoods britischem Vorgänger Francis Urquhart durfte man sich seinerzeit noch überraschen lassen. Und zwar gewaltig.

Der US-Version wurde gelegentlich nachgesagt, der Hauptautor Beau Willimon habe hier Donald Trump vorweggenommen. Jedoch ist Frank Underwood ein kühl kalkulierender Stratege. Trump hingegen agiert häufig emotional und irrational, lässt sich vom Mediengeschehen und wohl auch von (falschen) Beratern leiten. Genau betrachtet, spielte die Neuauflage Trump sogar in die Hände. Die Serie zeigt Washingtons Politlandschaft vom Weißen Haus bis zur Presse als durch und durch korrupt. Trump machte Wahlkampf mit der Aussage, den „Sumpf“ an Korruption in Washington trockenlegen zu wollen. Wer wollte, konnte „House of Cards“ (US) in diesem Sinne auffassen.

In Deutschland wurde die britische Serie, die zunächst als Vierteiler begann und 1993 fortgesetzt wurde, unter dem Titel „Ein Kartenhaus“ vom Ersten ausgestrahlt, wo man je zwei der 45-minütigen Folgen zusammenfasste und die so entstandenen beiden Filme auf zwei Abende verteilte. Andrew Davies übrigens ließ reale Politikernamen einfließen. Seine Serie beginnt mit der Abdankung Margaret Thatchers.

Wer kann, sollte die BBC-Verfilmung von „House of Cards“ in der englischen Tonfassung schauen. Denn niemand, schon gar nicht der Langweiler Kevin Spacey, spricht die legendären Worte „You might very well think that; I couldn’t possibly comment“ so kultiviert und durchtrieben wie der soignierte Sir Ian Richardson.

Highly recommended.