Der Korrektor: Die „neuen” Serien

Fernsehserien sind in Feuilleton und Wissenschaft zum Modethema geworden. Beim medienwissenschaftlichen Blick zurück auf Veröffentlichungen zum Thema aus den letzten zwanzig Jahren stößt man unweigerlich auf eine Fülle an Irrtümern, Missverständnissen, Fehlinterpretationen. Aus der eigenen publizistischen Praxis darf berichtet werden, dass manche Redaktionen sogar an falschen Aussagen festhalten, obwohl sie es besser wissen. Ein Beispiel ist die Behauptung, das Remake von „House of Cards“ sei die erste Eigenproduktion von Netflix gegeben. Tatsächlich hatte Netflix die Rechte an der Produktion angekauft, und das zunächst auch nur für den US-amerikanischen Markt. Leicht erkennbar daran, dass „House of Cards“ außerhalb der USA bei anderen Anbietern Premiere feierte. Die Logik dahinter: Netflix würde niemals die Erstauswertung einer derart teuren und prestigeträchtigen Produktion den Mitbewerbern überlassen.

Manche dieser Falschinformationen sind bereits fest verankert in der öffentlichen Meinung. Korrekturen sind angebracht, auch wenn sie vermutlich in der Weite des Webs versickern, ergo unbeachtet bleiben werden.

Exemplarisch für die Herangehensweise an das Sujet ist ein Text aus der „tageszeitung“ aus dem Jahr 2013, verfasst von Ines Kappert, die laut beigefügter Biografie in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft promovierte und die neben Feminismus, Männlichkeitsentwürfen, Syrien, Geflüchteten auch TV-Serien als Themenschwerpunkt angibt.

Der Text ist überschrieben mit »Immer schön unberechenbar bleiben«. Bereits die taz-typisch verwirrende Unterzeile »Früher galten sie als Trash, nun werden sie gefeiert: neue Qualitätsserien.« lässt stutzen. Die »neuen Qualitätsserien« können doch früher gar nicht als »Trash« gegolten haben, denn wenn es sie damals schon gegeben hätte, wären sie nicht »neu«.

Es erhebt sich zudem die Frage, bei wem Fernsehserien als »Trash« galten, und wann das gewesen sein soll. Wird hier womöglich eine Zonengrenze gezogen zwischen elitären Milieus und kulturell minderbemitteltem Pöbel? Bei manchen Fundstücken kommt schon mal der Eindruck auf, dass bildungsbürgerlicher Hochmut die Feder führte.

Gelernte Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie auch erfahrene Medienjournalisten und viele fernseherfahrene Zuschauer wissen, dass es ehedem schon vom Publikum angenommene hochwertige TV-Serien gab, desgleichen einen seit circa 1970 zügig voranschreitenden wissenschaftlichen Diskurs zu diesem Thema.

DANN HAT ES BOOM GEMACHT

Zitat:»Es war ein langer Weg von den ›Waltons‹, den ›Hesselbachs‹, der ›Schwarzwaldklinik‹, von ›Dallas‹ und ›Dynasty‹ zu ›Homeland‹, ›Kommissarin Lund‹, ›Breaking Bad‹ oder ›Borgen‹. Aber seit rund zehn Jahren ist sie da, die neue Fernsehunterhaltung, und sie boomt weltweit. Auf einmal ist das Fernsehen wieder zu einem interessanten Medium geworden, zumindest für die NutzerInnen von Computern oder DVD-Playern.«

Zaghaft sei’s gefragt: Kam denn diese »neue Fernsehunterhaltung« wie eine Epiphanie über uns? Fiel sie vom Himmel, wurde sie uns von den Göttern gesandt? Jedoch offenbar nur den »NutzerInnen von Computern oder DVD-Playern«.

Folglich ist das Fernsehen für Lineargucker weiterhin uninteressant geblieben. In diesem Publikumssegment also »boomt« es demnach nicht. Im Schnitt zehn Millionen Zuschauer beim „Tatort“ schlagen nicht zu Buche. Die vier bis fünf Millionen, die regelmäßig dienstags die Serien im Ersten einschalten, kann man ignorieren.

Warum eigentlich beschränkten die Götter ihre Wohltaten auf dänische und US-amerikanische Serien? Gab es denn gar nichts in Großbritannien, Frankreich, Benelux, Österreich, Polen, Tschechei? Australien, Asien, Afrika? Waren „The Prisoner“, „Widows“, „The Singing Detective“, das Original von „House of Cards“, „Capital City“, „State of Play“ ohne Bedeutung?

Die Produzenten von „24“ sahen das anders und holten sich Rat von Lynda La Plante, der britischen Autorin von Qualitätsserien wie „Widows“, „Prime Suspect“ und „Trial & Retribution“, deren Stil in „24“ anklingt.

ZAHLENSPIELE

»Boom« ist ein relativer Begriff, was folgende Zahlen belegen. „Breaking Bad“ begann in den USA mit durchschnittlich 1,23 Millionen Zuschauer, steigerte sich mühsam, blieb aber noch in den Staffeln 4 und 5a unter drei Millionen Zuschauern. Erst einige Folgen, nicht alle, der sechsten Staffel erreichten die Sechs-Millionen-Marke.

„Mad Men“ fand im besten Fall 3,29 Millionen Zuschauer, der Durchschnitt lag deutlich darunter.

Demgegenüber haben wir klassisch strukturierte episodische Serien wie „The Mentalist“ – sie startete mit 14,9 Millionen Zuschauern, erreichte mit der sechsten Staffel rund neun Millionen Zuschauer. Der Pilot von „Person of Interest“ wurde von 13,33 Millionen Menschen eingeschaltet. Ende der ersten Staffel gesellten sich noch ein paar dazu, in der Summe waren es 13,47 Millionen. In der fünften Staffel wendete sich das Publikum ab, aber mit 6,51 Millionen Zuschauer beim Finale liegt die Serie immer noch besser im Rennen als „Breaking Bad“ und „Mad Men“.

„Navy CIS“ begann mit 11,84 Millionen Zuschauern, erreichte in der Spitze 21,34 Millionen und erzielt auch in der 19. Staffel (!) im Schnitt über zehn Millionen Zuschauer pro Folge.

AKADEMISCHE ERKENNTNIS: FAMILIE FISHER UNTERSCHEIDET SICH VON FAMILIE HESSELBACH

Zitat:»Die Blaupause für den massiven Qualitätsschub im Fernsehen lieferten die HBO-Produktionen ›Sopranos‹ (1999-2007), ›Six Feet Under – Gestorben wird immer‹ (2001-2005) und ›The Wire‹ (2002-2008). Diese drei US-Serien nutzten das Format der Fortsetzungsgeschichte auf eine bis dahin ungekannte Weise.

Um die Differenz plastisch zu machen, hilft ein Vergleich mit ›Dallas‹ (CBS 1978-1991). (…) Zwar altern die Hauptfiguren, aber sie lernen genauso wie alle anderen überhaupt nichts dazu. Und auch das Setting um sie herum verändert sich nur unwesentlich. Das gleiche gilt für Vorgänger wie die ›Hesselbachs‹ (1960-1967) oder ›The Waltons‹ (CBS 1971-1981).«

Wenn eine kleine Berichtigung erlaubt ist: Eine Serie mit dem Titel „Hesselbachs“ gibt es nicht. Im deutschen Fernsehen liefen „Die Firma Hesselbach“ und „Die Familie Hesselbach“, die Fortsetzung trug den Titel „Herr Hesselbach und …“. Und der gewählte Vergleich hilft eher wenig. Erinnert sei daran, dass sich beispielsweise bei „Six Feet Under“ das Setting ebenfalls »nur unwesentlich« änderte. Und der Lerneffekt ist trotz des Altersunterschieds der Produktionen bei den Figuren von „Six Feet Under“ und den Serien um die Familie Hesselbach so unterschiedlich nicht. Beispiel: In der dritten Staffel wird Karl Hesselbach in den Stadtrat gewählt, dort lernt er und mit ihm die Zuschauerschaft eine ganze Menge über Lokalpolitik.

Es ist auch nicht ganz ohne Bedeutung, dass die Episoden der deutschen Serie monatlich ausgestrahlt wurden, also einer ganz anderen Dramaturgie unterlagen als Titel mit wöchentlichem Turnus.

EINE FRAGE DER WAHRNEHMUNG

Zitat: In den»neuen Serien«geht es»(…) vor allem um ein Nachvollziehen der Veränderung und des differenzierten Wahrnehmens und Erlebens einer Situation durch sämtliche Beteiligte.«

War nach diesen Maßstäben nicht schon „Peyton Place“ im Jahr 1964 eine »neue Serie«? Wie verhält es sich mit der britischen „Coronation Street“? Mit „M*A*S*H“, „St. Elsewhere“, „Ausgerechnet Alaska“, „Party of Five“, Anwaltsserien wie „L.A. Law“ und „I’ll Fly Away“?

EIN FALL FÜR DIE NOTAUFNAHME

»(…) der Streit um die richtige Sichtweise findet auch im Inneren der Hauptfiguren statt.«

Da kommt Sorge auf. Hoffentlich tragen die Hauptfiguren keine schwerwiegenden inneren Verletzungen davon, wenn die streitenden Parteien derart wüten.

INNOVATION: SERIENFOLGEN DAUERN JETZT 50 MINUTEN

Zitat:»In der Regel dauert bei den neuen Serien eine Episode fünfzig Minuten und es gibt zehn bis zwölf Episoden pro Staffel. ›The Wire‹ brachte es auf ganze fünf Staffeln, die Agenten-Thriller-Serie ›Homeland‹ ist bislang bei der dritten angelangt und noch ist kein Ende in Sicht.«

Ob es die Autorin wohl überrascht, dass eine fünfzigminütige Laufzeit als Norm gilt bei Produktionen, die für die Ausstrahlung in werbefinanzierten Sendern vorgesehen sind? Inklusive Werbung passen sie dann in das übliche Stunden-Schema. Wenn die Zahl der Staffeln als Rekorde vermeldet werden sollen, so fällt das Erreichte im Vergleich eher dürftig aus. „Law and Order“ bringt es auf 21 Staffeln, „Grey’s Anatomy“ geht ebenfalls in die 21. Runde, „Emergency Room“ endete nach der 15. Staffel. „Coronation Street“ läuft seit 1960 im britischen Fernsehen.

KAM DIE ERLEUCHTUNG WIRKLICH ERST SO SPÄT?

Zitat: »›Borgen‹ leuchtet ähnlich wie ›The Wire‹ und auch ›Homeland‹ das Zusammenspiel von Politik, Presse und Familie aus (…).«

In dem Punkt darf man behutsam ergänzen: „Borgen“ war kein Novum. Die dänische Serie hatte einen unmittelbaren Vorläufer in der niederländischen Produktion „Mevrouw Minister“, die auf Festivals und Fernsehmärkten gezeigt wurde und den dänischen Redakteuren kaum entgangen sein dürfte. Politische Themen in engerem Sinne verhandelten viele andere Serien, darunter „Tanner ʼ88“ (1988; Gewinner der goldenen Medaille in der Kategorie Best Television Series beim Cannes Television Festival) von Garry Trudeau und Robert Altman, „The West Wing“ (1999-2006), „State of Play“ (2003), „Commander in Chief“ (2005-2006) mit Geena Davis in der Rolle der ersten weiblichen Präsidentin der USA und nicht zuletzt „That’s My Bush!“ (2001) vom „South Park“-Team Trey Parker und Matt Stone. Im weiteren Sinne gehören auch die britischen Polit-Sitcoms „Yes, Minister“/„Yes, Primeminister“ (produziert 1979, gesendet 1980-1988, neu aufgelegt 2013) und „The Thick of It“ (2005, 2007 und 2012) in diesen Zusammenhang. Keinesfalls ausblenden darf man das britische Original von „House of Cards“ (1990) und dessen Folgeserien „To Play the King“ (1993) und „The Final Cut“ (1995), die zusammen eine zwölfteilige Trilogie ergeben.

TELEGENE ÜBERBEVÖLKERUNG

Zitat: »Im Laufe einer Serie bekommen es die ZuschauerInnen mit einer ganzen Heerschar von Charakteren zu tun.«

Die obige Beobachtung scheint nicht vollends durchdacht, denn sie gilt für nahezu jede Daytime- und Evening-Soap. Zum Beispiel für „Dallas“ und „Dynasty“, die ja oben auf einen Streich diskrediert wurden. Die bereits erwähnte britische Serie „Coronation Street“ erzählt seit 1960 von den Schicksalen der Bewohner einer ganzen Straße. Da kommt einiges an Personal zusammen.

BEFREIUNG AUS DEN KLAUEN DES PROGRAMMSCHEMAS

Zitat:»Möglich ist diese Komplexität nur aufgrund der DVD beziehungsweise der Streams auf bestimmten Webseiten. Die neuen Speichermedien und der Serienboom gehören zusammen. (…) Der Einzelne muss sich nicht mehr nach Sendeterminen richten, sondern kann die Serie sehen, wann immer es ihm passt.«

Jetzt verwundert aber, dass alle als Positivbeispiele aufgezählten Serie ihre Premieren im linearen Fernsehen hatten. „Die Sopranos“ starteten 1999, da war der Serienkonsum via World Wide Web noch nicht sehr weit gediehen. Zum Vergleich: Youtube wurde erst 2005 gegründet.

Hingegen erlaubte schon die Videokassette, eine Serie zu sehen, wann immer es dem Zuschauer passte. Was, wie die Älteren unter uns wissen, auch genau so praktiziert wurde.

Zitat: »Aber was ist mit der Ästhetik, was passiert auf der visuellen Ebene? Auch hier haben die neuen Serien dazugelernt, und zwar vor allem vom Kino. Die herkömmliche TV-Serie wird im Studio gedreht. Billiger ist Fernsehen nicht zu haben: Kein Wechsel der Drehorte und womöglich unpassendes Wetter bringen den Spielplan durcheinander (…). (…) Stattdessen sorgen eine überschaubare Anzahl von SchauspielerInnen mit schnellen pointenreichen Dialogen auf dem immergleichen Sofa oder am immergleichen Küchentisch für Unterhaltung.«

Schon grammatisch eine seltsame Aussage. Serien sind abstrakte Dinge, die können nichts dazulernen.

Wurden denn die »schnellen pointenreichen Dialoge« im Zeitalter der »neuen Serien« abgeschafft? Es gab Zeiten, da wurde genau diese Qualität seitens der Kritik gefordert. Man kann es den Leuten aber auch nicht recht machen …

Es wird das Selbstbewusstsein der Autorin hoffentlich nicht über die Maßen erschüttern, wenn sie erfährt, dass schon Episoden der deutschen Serie „Ihre Nachbarn heute Abend – die Familie Schölermann“ an Originalschauplätzen, zum Beispiel auf einem Passagierschiff, gedreht wurden. Auch die Hesselbachs gingen gelegentlich vor die Tür. Die Vorabendserie „Goldene Zeiten – Bittere Zeiten“ entstand in Baden-Baden, Paris, Wien, Marseille, Prag, „Sergeant Berry“ auf Mallorca. Für „Diamanten sind gefährlich“ und „Diamantendetektiv Dick Donald“ reisten die Hauptdarsteller nach Südafrika, für „Die Journalistin“ unter anderem an den Nürburgring, nach Amsterdam und nach Italien. Eine Episode spielt auf hoher See. Das ZDF ließ sich nicht lumpen und die Vorabendserie „I.O.B. – Spezialauftrag“ in Finnland, Belgien, Spanien drehen. Die ARD schickte die Heldinnen von „Okay S.I.R.“ buchstäblich in die Wüste, nach Rabat und Marrakesch, nach Marseille, Rom, Wien, Budapest, St. Mortiz. Zwar herausgepickt, aber keine Sonderfälle. Die Liste ließe sich fortsetzen.

EIN PAAR SHOTS ZUR ORIENTIERUNG

Zitat: »Die vernachlässigte Außenwelt wird nur über ›Orientierungsshots‹ eingeblendet – das Panorama von New York, die Ranch, die Lindenstraße. Alle diese Elemente finden sich auch in den neuen Qualitätsserien. Sie werden nun aber flankiert von cineastischen Elementen: So gibt es Außendrehs und auch aufwendigere Kamerafahrten.«

Nur ungern raubt man den jungen Leuten ihre Illusionen, aber Innendrehs sind eher die Regel als die Ausnahme. Seit je werden Kinofilme nach Möglichkeit im Studio gedreht. Das sind oder waren diese großen Gebäude auf den Geländen von Paramount, MGM, Warner Brothers, Babelsberg, Bavaria, Elstree, Pinewood mit der berühmten 007-Stage … Der Stab des Klassikers „Casablanca“ war nie in Casablanca, jedenfalls nicht im Rahmen der Dreharbeiten. Selbst der Flughafen wurde im Atelier nachgebaut. Alfred Hitchcock zog stets Dreharbeiten im Studio denen unter freiem Himmel vor. Er hat trotzdem ein paar anständige Filme zustande gebracht.

Auch er nutzte »Orientierungsshots“, in der Fachsprache Establishing Shots und schrieb dazu: »Washington ist ein Blick auf das Kapitol, New York ein Wolkenkratzer. Die Verwendung einer unbekannten Ansicht würde das Publikum verwirren …«

Establishing Shots gehören schlicht zur allgemeinen Filmsprache. Sie entstammen den eigenen Archiven oder werden von Agenturen bezogen.

WO WAREN DIE GUTEN SCHAUSPIELER ALL DIE JAHRE?

Zitat: »Im Post-TV hat das Fernsehen die Schauspielkunst wieder entdeckt. In fast allen neuen Serien finden sich außergewöhnliche DarstellerInnen, und zwar in Haupt- und Nebenrollen.«

Dann müssen wir davon ausgehen, dass Schauspieler und Schauspielerinnen wie Steve McQueen, Clint Eastwood, John Cassavetes, Richard Roundtree, Mia Farrow, Ryan O’Neal, Fred Astaire, Nick Nolte, David Niven, Charles Boyer, James Earl Jones, Alfre Woodard, Sally Field, George Clooney, Burt Lancaster, Robert Mitchum, Meryl Streep, Geena Davis, André Braugher, Edie Falco, Isabella Hofmann, Denzel Washington, Ned Beatty, Glenn Close, Sir Ian McKellen, Anthony Hopkins, Al Pacino wohl zu den minderbegabten Knallchargen zählen. Sie alle und viele weitere renommierte und preisgekrönte Kolleginnen und Kollegen sah man in dem, was die Autorin wohl als „Prä-TV“ bezeichnen würde.

Aber Filmauftritte sind eine völlig unnötige Reverenz. „St. Elsewhere“, „Hill Street Blues“, „Emergency Room“, „Homicide – Life on the Street“, „American Gothic“, „Profit“, „The Shield“ – lang ist die Liste der Serientitel, in denen man extraordinäre Leistungen von Schauspielerinnen und Schauspielern bewundern kann, die primär im Fernsehen gearbeitet haben und in ihrem Metier höchste Anerkennung genießen.

Soigniert in Whitehall statt schmierig in Washington

Ab 12. Februar gibt es in der Arte-Mediathek die von Andrew Davies verfasste britische Erstverfilmung von „House of Cards“ aus dem Jahr 1990. Der Entstehungszeit entsprechend gediegener erzählt als heutige Serien. Wogegen nichts spricht, wenn die Charaktere spannend gestaltet sind.

Bei der Neuverfilmung beging das Team den Fehler, Frank Underwoods wahren Charakter gleich in der ersten Sequenz zu enthüllen. Schon ab diesem Moment traut ihm jede Schandtat zu, das nahm der Serie einiges an Reiz. Bei Underwoods britischem Vorgänger Francis Urquhart durfte man sich seinerzeit noch überraschen lassen. Und zwar gewaltig.

Der US-Version wurde gelegentlich nachgesagt, der Hauptautor Beau Willimon habe hier Donald Trump vorweggenommen. Jedoch ist Frank Underwood ein kühl kalkulierender Stratege. Trump hingegen agiert häufig emotional und irrational, lässt sich vom Mediengeschehen und wohl auch von (falschen) Beratern leiten. Genau betrachtet, spielte die Neuauflage Trump sogar in die Hände. Die Serie zeigt Washingtons Politlandschaft vom Weißen Haus bis zur Presse als durch und durch korrupt. Trump machte Wahlkampf mit der Aussage, den „Sumpf“ an Korruption in Washington trockenlegen zu wollen. Wer wollte, konnte „House of Cards“ (US) in diesem Sinne auffassen.

In Deutschland wurde die britische Serie, die zunächst als Vierteiler begann und 1993 fortgesetzt wurde, unter dem Titel „Ein Kartenhaus“ vom Ersten ausgestrahlt, wo man je zwei der 45-minütigen Folgen zusammenfasste und die so entstandenen beiden Filme auf zwei Abende verteilte. Andrew Davies übrigens ließ reale Politikernamen einfließen. Seine Serie beginnt mit der Abdankung Margaret Thatchers.

Wer kann, sollte die BBC-Verfilmung von „House of Cards“ in der englischen Tonfassung schauen. Denn niemand, schon gar nicht der Langweiler Kevin Spacey, spricht die legendären Worte „You might very well think that; I couldn’t possibly comment“ so kultiviert und durchtrieben wie der soignierte Sir Ian Richardson.

Highly recommended.

Wo laufen sie denn?

Wann ist eine Fernseherzählung eine „Netflix-Serie“? Wann ist sie es nicht?

Nicht die größten aller Menschheitsfragen, aber als Medienjournalist möchte man ja den Ansprüchen der Redaktionen gerecht werden, ihnen unnötige Arbeit ersparen und sich den gewünschten Ordnungsprinzipien von vornherein anpassen.

Man bekommt also erklärt: „House of Cards“ (US) wird als „Netflix-Serie“ einsortiert, weil die Leserschaft sie dort gucken kann.

Ein klarer Fall.

Beziehungsweise …

Die Leserschaft kann „House of Cards“ (US) auch via Amazon, Chili, Google Play, iTunes, Joyn, Maxdome, Microsoft, Rakuten TV, Sky Ticket, Sky Go, Sony, Videoload beziehen. Macht man also Ernst mit der angegebenen Systematik, müsste „House of Cards“ (US) lo­gischerweise als „Amazon-Chili-Google-Play-iTunes-Joyn-Maxdome-Microsoft-Rakuten-TV-Sky-Ticket-Sky-Go-Sony-Videoload-Serie“ annonciert werden.

Geht natürlich nicht. So viel Platz hat man heutigentags nicht mehr auf den Medienseiten. Deshalb gibt es dort immer mehr Behauptungen und immer weniger Erklärungen.

Aber ist es gerechtfertigt, Netflix dermaßen herauszustellen?

Ja, indem man sich folgendermaßen behilft: Netflix hatte seinerzeit vom Hersteller der Serie exklusiv die Streaming-Rechte für das Produktionsland USA erworben. Mit dieser Be­gründung kann man Skeptikern und Verbraucherschützern entgegentreten.

Man müsste das Prinzip aber konsequent durchhalten. Das würde bedeuten, „The End of the F***ing World“ fortan nicht mehr, wie es noch häufig geschieht, als „Netflix-Serie“ ausgeben, da es sich doch um eine Serie des britischen Senders Channel 4 handelt. Also ist „The End of the F***ing World“ ab sofort eine „Channel-4-Serie im Amazon- und Net­flix-Vertrieb“.

So könnte es gehen.

Ähnlich verfährt die Serienkritik ja auch mit „Hubert und Staller“, „Armans Geheimnis“ und „Charité“. Wenn die Produktionen schon mal Erwähnung finden – öffentlich-rechtliches Fernsehen ist eher verpönt in den besseren Kreisen –, dann als „ARD-Serien“. Obwohl sie ebenfalls bei Netflix zu sehen sind. Nach der obigen, augenscheinlich nicht ganz schlüssi­gen Begründung wären sie demnach also ebenfalls „Netflix-Serien“. Unter anderem, denn mehrere Streaming-Dienste haben sie im Repertoire. Da stellt sich das gleiche Problem wie oben unter „House of Cards“ (US).

Alternativ gäbe es noch die Möglichkeit, in- wie ausländische Serien ihrem jeweiligen deut­schen Premierensender zuzuschreiben. Dann passt es bei „Hubert und Staller“ und so. „House of Cards“ (US) aber wäre eine „Sky-Atlantic-HD-Serie“ oder, sofern man sich an frei empfangbaren Sendern orientiert, eine „ProSieben-Maxx-Serie“, denn dort lagen die jeweiligen Erstverwertungsrechte.

Aber wie soll man dem durch die Schlagzeilen hastenden Publikum derart komplizierte Zusammenhänge noch nahebringen? Zumal das Stichwort „Netflix“ der Web-Publizistik über die Suchmaschinen mehr Leser zu­führt.

Man kann es nicht mit jeder Nichtigkeit dermaßen genau nehmen. Am Ende kommt noch jemand auf die Idee, im Journalismus so etwas wie eine Sorgfaltspflicht ein­führen zu wollen. Drolliger Gedanke …

In Londons trübsten Ecken

Die TV-Serie „Call The Midwife“ bescherte der britischen BBC Rekordquoten und diverse Fernsehpreise, auch US-Kritiker waren begeistert. Erstaunlich: Denn in der Serie geht es ausnahmsweise nicht um Verbrechen. Sondern um Hebammen. ZDFneo zeigt am Freitag, 9. Oktober, 21.35 Uhr die ersten zwei Folgen der Serie.

Das Angebot neuer Erzählserien erweitert sich ständig, viele sind Gegenstand kultureller Debatten. Ein selten angesprochener Aspekt: Bei den zum Pflichtprogramm erklärten Titeln handelt es sich mehrheitlich um Kriminalgeschichten im erweiterten Sinne. Selbst die als Politserie gehandelte US-Adaption der britischen Produktion „House of Cards“ handelt eigentlich von den Machenschaften eines notorischen Verbrechers. Die Politik liefert nur das Milieu.

In Großbritannien besonders viele Entwicklungen

Qualität ist aber durchaus auch in anderen Genres möglich. So werden in den USA gute bis sehr gute Familienserien produziert. Die Zeit der „Waltons“ ist längst perdu, heute geht es in „Switched at Birth“ und „The Fosters“ (beide Disney Channel) um moderne Formen des Zusammenlebens.

In Großbritannien, Herkunftsland zahlreicher weltweit erfolgreicher TV-Formate, gibt es besonders viele Entwicklungen abseits üblicher Schemata. 2012 verbuchte der öffentlich-rechtliche Sender BBC einen Überraschungserfolg mit „Call The Midwife – Ruf des Lebens“ – einer Serie über das Berufs- und Privatleben von Hebammen im London der 1950er-Jahre.

Bitte weiterlesen unter http://www.noz.de/deutschland-welt/medien/artikel/624881/zdfneo-zeigt-bbc-serie-call-the-midwife-ruf-des-lebens#gallery&0&0&624881

Im Banne des Netflix-Imperiums

Aus Warte des einfachenden lesenden Volkes bleibt weiterhin unerfindlich, in welchem Maße sich Journalisten willig als Herolde des Netflix-Imperiums gebärden. Aktueller Kasus: Die „Berliner Zeitung“ meldet in ihrem Web-Kulturteil vom 17. Juli 2015: „Das sind unsere liebsten Netflix-Serien“. Serien-Rankings sind zwar weiterhin Unsinn, aber en vogue und hinnehmbar. Die wenig originelle Auswahl mal beiseite gelassen, ist allerdings mehr als fragwürdig, dass hier ein kommerzieller Streaming-Anbieter als alleinige Quelle genannt wird. Denn ausgenommen die ursprünglich für Starz entwickelte Abenteuerserie „Marco Polo“ und die von der Senderkette NBC übernommene Sitcom „Unbreakable Kimmy Schmidt“ sind die genannten Serientitel auch anderweitig verfügbar.

„House of Cards“: Die wegen des Fehlen eines würdigen Antagonisten arg ermüdende, den Politverdruss bestärkende Produktion, die von Netflix exklusiv für den US-Markt angekauft wurde und deshalb nicht ganz korrekt als Netflix-Eigenproduktion gilt, ist in Deutschland mehrfach im Angebot. Hier in alphabetischer Abfolge (Stand 21.7.2015):

Amazon (drei Staffeln)
iTunes (drei Staffeln)
Maxdome (drei Staffeln)
Sky Go (drei Staffeln)
Sky Online (drei Staffeln)
Sony (drei Staffeln)
Videoload (zwei Staffeln)
Wuaki (zwei Staffeln)
Xbox Video (drei Staffeln)

Weiter empfiehlt die „Berliner Zeitung“ die Gefängnisserie „Orange Is the New Black“, anders als „House of Cards“ tatsächlich eine Netflix-Eigenproduktion, die – ausgenommen die dritte Staffel – desungeachtet nicht nur bei Netflix zu sehen ist. Sondern auch bei:

Amazon (zwei Staffeln)
iTunes (zwei Staffeln)
Sony (zwei Staffeln)
Xbox Video (zwei Staffeln)

Mit dem Spin-off „Better Call Saul“ warf sich Netflix in die Erfolgwelle von „Breaking Bad“, einer Serie des AMC-Networks. Die erste Staffel des Titels ist vielerorts verfügbar:

Amazon
iTunes
Maxdome
Sony
Xbox Video

Den Abschluss der fünf Titel umfassenden Bestenliste der „Berliner Zeitung“ bildet „The Walking Dead“, eine Produktion des AMC-Networks, die von Netflix nur vertrieben wird. Genauso wie von:

Amazon (vier Staffeln)
iTunes (vier Staffeln)
Maxdome (vier Staffeln)
Snap by Sky (zwei Staffeln)
Sony (vier Staffeln)
Videoload (vier Staffeln)
Watchever (vier Staffeln)
Xbox Video (vier Staffeln)

Ein vergleichbarer Fall: Literaturkritiker nennen ihre Lieblingsbücher. Und geben nur einen einzigen Versender als Bezugsquelle an. Die Leserschaft würde sich doch sehr wundern …

Aktualisierung:

Für die „Berliner Zeitung“ teilt auf Anfrage Maike Schultz mit:

„ (…) bei den Serientipps handelt es sich einen Teil eines größeren Themenkomplexes zu Netflix (das war Tagesthema in der Printausgabe). Redaktioneller Anlass war diese Berichterstattung: http://www.berliner-zeitung.de/kultur/deutsches-fernsehen-vs–netflix—co–keine-direkte-konkurrenz-fuer-ard-und-zdf-,10809150,31245104.html
Als Ergänzung dazu hat die Redaktion geschaut, welche Serien es bei Netflix gibt und die Tipps geschrieben.
Die Überschrift meinte also Serien, die (auch) bei Netflix zu sehen sind – und nicht Serien, die originär von Netflix produziert wurden. Sie haben allerdings Recht damit, dass das missverstanden werden kann. Wir ändern den Titel in ‚Web-Serien‘.“

Ergänzung des Verfassers: Die neue Überschrift lautet jetzt „Das sind unsere liebsten Serien im Internet“.

Wo der Eichwald röhrt

Auch ZDFneo bringt eine satirische Polit-Serie zustande, holte sich dazu allerdings Inspirationen bei den Briten. Die auch schon „House of Cards“ und andere kluge Fortsetzungsgeschichten erfanden. Wie sich „Eichwald, MdB“ (ab 16.4., ZDFneo) zu „House of Cards“ verhält, steht hier: http://www.tittelbach.tv/programm/serie/artikel-3647.html

Werber-Fernsehen

Spritzige Dialoge, skurrile Typen – „The Crazy Ones” zeigt den US-Serienautor David E. Kelley in Bestform. Und doch anders …

Am 3. März 1991 wurde der Afroamerikaner Rodney King nach einer Geschwindigkeitsübertretung von mehreren Polizisten brutal geschlagen. Ein Zeuge filmte den Vorfall. Bereits zwei Monate später war der Skandal Thema in der TV-Serie „L.A. Law”. Nicht untypisch für die Autoren dieser Anwaltsgeschichten, die neben allerlei Skurrilitäten immer wieder auch aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse und Ereignisse in die Handlung woben.
„L.A. Law” stammte von der ehemaligen Staatsanwältin Terry Louise Fisher und dem Autor und Produzenten Steven Bochco. Bochco hatte gemeinsam mit Michael Kozoll TV-Geschichte geschrieben, als er 1981 die Polizeiserie „Hill Street Blues” auf den Bildschirm brachte und damit die Gattung auf ein bis dahin kaum gekanntes Niveau hob. Mit „Hill Street Blues” begann, was der Medienwissenschaftler Robert J. Thompson 1996 die „zweite goldene Ära des Fernsehens” nennen sollte: eine Evolution des seriellen Erzählens, ohne die die so übertrieben gefeierte „dritte goldene Ära” nicht möglich gewesen wäre.
Auch „L.A. Law”, seit 1986 in Produktion, zählt zu dieser Generation von Qualitätsserien. Dafür war nicht zuletzt David E. Kelley verantwortlich, ursprünglich Rechtsanwalt, als Autor ein Seiteneinsteiger, ab der vierten Staffel verantwortlicher Produzent von „L.A. Law”. Damals entwickelte Kelley seine besondere Handschrift: exzentrische Charaktere, absonderliche Stories, schnelle und gewitzte Dialoge, dabei immer wieder bewusst zeitkritisch. Über die Jahre und insbesondere zu Zeiten George W. Bushs ging Kelley über die begleitende Reflektion noch hinaus; Kelleys Serie „Boston Legal” wurde so zeitweise zur Gegenstimme jener populistischen Radau-Shows, die wie Informationssendungen präsentiert wurden, aber weit entfernt waren von jeder journalistischen Ethik.
„L.A. Law” und namentlich David E. Kelley übten erheblichen Einfluss aus. Serien wie „Judging Amy”, „Family Law”, „Eli Stone” zeugen davon. Inzwischen aber ist die unmittelbare Darstellung konkreter gesellschaftlicher Realitäten rar geworden. Auch in Kelleys Büchern. „Harry’s Law” (2011-2012) mit Kathy Bates lebte von zwischenmenschlichen Konflikten und dem besonderen Milieu, einem Armenviertel. In seiner letztjährigen Serie „Monday Mornings”, geschrieben und produziert mit dem Star-Neurochirurgen Sanjay Gupta, widmete er sich bar jeder Romantisierung dem Klinikalltag. Auch ein Kommentar zur Zeit, aber losgelöst von konkreten Ereignissen. Dennoch ein Misserfolg.
Bei ProSieben startet in dieser Woche Kelleys jüngste Produktion, die nach 22 Episoden eingestellte Sitcom „The Crazy Ones”. Wer bei dem Titel eine Anspielung auf „Mad Men” wittert, liegt nicht falsch. „The Crazy Ones” spielt ebenfalls in der Werbebranche, jedoch in der Gegenwart, inspiriert von den Erlebnissen des Chicagoer Werbeschaffenden John R. Montgomery, der als Koproduzent fungierte.
Kelleys Stärke, die anspielungsreichen pointierten Dialoge, kommt hier vollends zur Geltung. In Hauptdarsteller Robin Williams und dem jüngeren James Wolk sowie Ex-„Buffy“-Darstellerin Sarah Michelle Gellar hat Kelley zwei ideale Interpreten gefunden. Wobei Williams seit seinem Durchbruch mit der Sitcom „Mork vom Ork” bekannt und berüchtigt ist dafür, dass er vom Skript abweicht und zügellos improvisiert, parodiert, imitiert. Schon damals ließen die Produzenten ihn gewähren – die Drehbücher enthielten an passenden Stellen die knappe Regieanweisung: „Hier kann Mork loslegen.“ Auch nach allerlei persönlichen Krisen hat Williams seine Spontaneität und Geistesgegenwart nicht verloren. „Crazy One“ – das passt auf den Schauspieler. Die Regisseure machen das beste draus und zeigen in Outtakes, wie Williams’ Kollegen vor Lachen aus der Rolle fallen. Robin Williams hat zwar seit „Mork vom Ork“ keine langfristige Serienhauptrolle mehr übernommen, ist aber dem Fernsehen treu geblieben. Er spielte in Mehrteilern und Gastrollen, darunter auch ernste Parts, unter anderem in einer höchst beeindruckenden Episode der innovativen Polizeiserie „Homicide – Life on the Street“, in der er hilflos, die Kinder im Schlepptau, von einem Ansprechpartner zum nächsten irrt, nachdem seine Frau durch einen tragischen Zufall Opfer eines Feuergefechts wurde.
„The Crazy Ones“ markiert Williams‘ Rückkehr zur TV-Sitcom. Diese ist ausnehmend frech und witzig. Aber bestenfalls latent politisch. Ein Zeichen der Zeit: TV-Serien gehobener Qualität finden derzeit viel Aufmerksamkeit; neue technische Möglichkeiten, die Vermehrung der Anbieter und eine bessere finanzielle Ausstattung haben die Herstellung verändert; neue Vermarktungswege wurden eröffnet. Die Kundschaft ist heute international, Feinheiten US-amerikanischer Innenpolitik stören da nur. Bevorzugt wird deshalb das große Drama, der späteren lukrativen Wiederholungen wegen möglichst ohne direkte aktuelle Bezüge.
Selbst eine im politischen Milieu Washingtons angesiedelte Serie wie „House of Cards” ist als allgemeine Parabel angelegt. Die einschlägigen politischen Vorhaben, die Francis Underwood (Kevin Spacey) vorantreibt oder sabotiert, sind austauschbare dramaturgische Mittel.
In „House of Cards” erscheint der gesamte Politbetrieb vollends korrupt, als vom gemeinen Volk weit entfernter, nicht mehr zu beeinflussender Kosmos mit eigenen Regeln. Demgegenüber sprach aus den Serien nach Art David E. Kelleys ein optimistisches Grundvertrauen auf die menschliche Vernunft und, trotz häufiger Kritik, auch auf das US-amerikanische Rechtssystem. Die Juristen aus „Picket Fences”, „Ally McBeal”, „Boston Legal”, „The Practice” waren schrullige Sonderlinge oder windige Winkeladvokaten. Und doch zeigten sie Möglichkeiten auf. Minderprivilegierte und Diskriminierte wurden ermutigt, Unrecht nicht passiv hinzunehmen, sondern die gegebenen rechtlichen Chancen auszuschöpfen.
Francis Underwood würde über solche Ideale nur hämisch lachen.

„The Crazy Ones”, mittwochs, 21.15 Uhr, ProSieben

Netflix – Für weniger Geld mehr gucken?

Unter Kommentatoren, die sich im Internet über das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem ereifern und vor allem gegen das deutsche Gebühren- bzw. Beitragsmodell wettern, gilt der US-amerikanische Videostreaming-Dienst Netflix als Heilsbringer, dessen Markteintritt in Deutschland sehnlichst erwartet wird. Manche versteigen sich sogar zu der Forderung, das Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch das Netflix-Prinzip zu ersetzen. Das Trachten vieler Teilnehmer dieser Debatte richtet sich zugleich auf Serien-Erzählungen jener Art, die in den vergangenen drei Jahren viel Raum in hiesigen Feuilletons fand und natürlich auch von der Internet-Gemeinde begeistert aufgenommen und begleitet wurde – „Breaking Bad“, „The Wire“, „Game of Thrones“ etc.

Nun verbinden sich aber mit Netflix offenbar falsche Vorstellungen. Zwar beauftragt Netflix inzwischen selbst Produktionsfirmen mit der Herstellung exklusiver Serien und hat derzeit acht dieser Titel im Portfolio, doch ist das kommerzielle Unternehmen noch weit davon entfernt, ein vollwertiges, mit einem TV-Sender vergleichbares Programm bieten zu können …

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Im herkömmlichen Sinne kein Journalismus?

Im Juli verbreitete die Nachrichtenagentur dpa einen Beitrag, der sehr häufig, unter anderem hier, übernommen wurde. Darin enthalten waren die folgenden Sätze (von einzelnen Medien teils bearbeitet, daher nicht immer wortgleich):

„Den wichtigsten Fernsehpreis der Welt, den Emmy, könnte dieses Jahr erstmals eine für das Internet hergestellte Serie gewinnen.“

„«House of Cards» mit Kevin Spacey ist im herkömmlichen Sinne kein Fernsehen.“

„Die erfolgreiche Serie wurde exklusiv für Netflix produziert.“

Alle drei Sätze haben eines gemeinsam: Ihre Aussagen sind falsch. Wie es sich tatsächlich verhält, entnehmen Sie bitte der morgigen Ausgabe der „Funkkorrespondenz“. Man kann ja nicht alles verschenken.

P. S. Die Korrektur aber gibt es ebenso wie die zugehörige Entschuldigung natürlich umsonst. Durch eine ungeschickte Formulierung meinerseits (38 Grad im Schatten!) und eine seitens der Redaktion unabgesprochen vorgenommene Ergänzung ist zumindest Verwirrung entstanden. In der Druckversion heißt es: „Die Rechte an ‚House of Cards‘ (US-Produktion) wurden von der unabhängigen Produktionsfirma Media Rights Capital (MRC) erworben (…).“ Der Hinweis „US-Produktion“ ist natürlich, wie sich hoffentlich aus dem Zusammenhang ergibt, falsch: MRC erwarb die Rechte am britischen Original von 1990, um die US-Produktion eben gerade erst zu ermöglichen. Vergleiche „Funkkorrespondenz“ H. 31, 2.8.2013, S. 14.