Der Geiselgangster von Görlitz

Sächsisch noir: Mit zwei neuen Filmen geht die düstere Reihe „Wolfsland“ um Kommissar Burkard Schulz und seine Partnerin Viola Delbrück in die Fortsetzung.

Frankfurt – Wie groß mag der Radius sein, den man einhalten muss, um nicht von Kommissar Burkard „Butsch“ Schulz (Götz Schubert) in irgendwelche Kalamitäten verwickelt zu werden? Am besten bleibt man wohl ganz außer Sichtweite. Seine Partnerin Viola Delbrück (Yvonne Catterfeld) wirkt gleichfalls wie ein Magnet auf Malaisen. Zu Beginn der Reihe „Wolfsland“ wurde sie von ihrem psychisch erkrankten Ex-Gatten kujoniert. Schulz zog sich später den Hass eines Jugendfreundes zu. Er wurde einer Vergewaltigung beschuldigt, des Mordes verdächtigt und erlitt schließlich eine Schussverletzung, die ihn in den Rollstuhl zwang.

Weiter geht es hier: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/kritik-wolfsland-20-stunden-im-ersten-der-geiselgangster-von-goerlitz-91991971.html

Elektromagnetische und andere Impulse

Falls jemand eben den Krimi „Harter Brocken” im Ersten gesehen haben sollte, möchte ich in aller Bescheidenheit und ganz wertfrei anmerken, dass ich die Idee mit dem EMP schon in meinem 2018 erschienenen Kurzkrimi „Die Nacht mit dem Holenkerl” (2019 „Buch des Monats” der Stadtbibliothek Osnabrück) verwendet habe. Mehr dazu live nächsten Freitag ab 20 Uhr im Osnabrücker „Unikeller” unterm Schloss.

Nicht die auf dem Platz sind die Gewinner

Die Serie »Das Netz: Spiel am Abgrund« beginnt mit der Zeitangabe: »Zwei Wochen bis zur WM.« So aktuell und mutig gerät eine Fernsehserie nur selten. Vom Tag der linearen Ausstrahlung an (3. November) sind es gut zwei Wochen bis zum Anpfiff der echten Fußballweltmeisterschaft in Katar.

In der fiktionalen Serie heißt der Weltfußballverband nicht FIFA, sondern WFA. Ihr Präsident Jean Leco (Raymond Thiry) verfolgt den ehrgeizigen Plan einer World League, in der die besten Mannschaften aller Länder gegeneinander antreten.

(…)

Mehr über die ARD-Serie „Das Netz” gibt es hier: https://www.epd-film.de/tipps/2022/ard-mediathek-das-netz

Kommerzsender in Zeitschleife gefangen

Als Mitte der 80er die kommerziellen Sender ihren Betrieb aufnahmen, versprachen sich insbesondere wirtschaftsfreundliche Medienpolitiker frischen Wind vor allem bei den Informationssendungen. Sie wurden deutlich kleinlauter, als dann bei RTL wie auch bei Sat.1 nächtens Softpornos und Erotikmagazine zu sehen waren. Auf dem Unterhaltungssektor brachte vor allem RTL tatsächlich einige Novitäten. Diese Zeiten sind lange vorbei. Für September kündigt der Sender an: die Wiederkehr der „100.000 Mark Show”, die ja jetzt eigentlich „100.000 Euro Show” heißen müsste. Außerdem erlebt Barbara Salesch ein Comeback, und „Samstag Nacht live” wird zumindest für eine abendfüllende Show wiederbelebt. Hugo Egon Balder moderiert und kommentiert vorab durchaus selbstironisch: „Mal rein hypothetisch, wenn jetzt auch ‚Tutti Frutti‘ oder ‚Alles Nichts Oder?!‘ zurückkommen sollten, hat RTL die 90er definitiv durchgespielt!” Gut, dass es Arte, One und ZDFneo gibt. Da und auch in den Hauptkanälen werden derzeit und in den kommenden Wochen (mehr dazu demnächst) ein paar sehr interessante aktuelle Serien gezeigt, früher mal die Domäne von RTL. Lange her …

RTL meldete dann einige Tage später, dass Günther Jauch, Jahrgang 1956, die Moderation der Sendung „Menschen, Bilder, Emotionen“ nach 26 Jahren beendet. Sein Nachfolger wird ein gewisser Thomas Gottschalk, Jahrgang 1950. Ermutigend für alle, die auf die 60 zugehen …

Und dann kam noch das hier rein:

Jetzt kommt gerade das hier rein:
„SAT.1 feiert das Fernsehen. SAT.1 feiert die SAT.1 Kult-Show-Wochen. SAT.1 feiert vier legendäre Show-Klassiker. Mit Köpfchen. Mit Gestik. Mit Talent. Und mit Worten, die ins Herz treffen. In einer vierwöchigen Event-Programmierung bringt SAT.1 „Jeopardy!“, „Die Pyramide“, „Die Gong Show“ und „Dating Game – Wer soll dein Herzblatt sein?“ im Winter 2022/2023 als Prime-Time-Shows zurück ins TV.”

Und das ZDF setzt nach mit:
„Wetten, dass..?”
Präsentiert von Thomas Gottschalk – live aus Friedrichshafen
ZDF: Samstag, 19. November 2022, 20.15 Uhr

Kann mich mal bitte jemand schnellstens aus dieser Zeitschleife rausholen?

Wo Chaplin fast auf Hitler traf

Die wechselvolle Geschichte des realen Rheinhotels Dreesen liefert den Hintergrund für einen aufwändigen historischen Zweiteiler in der ARD.

Frankfurt – Zufälle und günstige Umstände haben das Bad Godesberger Rheinhotel Dreesen zu einem Brennpunkt der Geschichte werden lassen. Und das gleich mehrfach. 1894 eröffnet, sah es als Gäste Kaiser Wilhelm II. und deutsche und internationale Künstlerprominenz, darunter Marlene Dietrich und Hans Albers. Es beherbergte Adolf Hitler, der hier mit Neville Chamberlain über das Münchner Abkommen verhandelte. Es wurde zur braunen Bastion, KZ-Außen- und nach Kriegsende Flüchtlingslager.

Dwight Eisenhower bezog hier Quartier, später wurde das Hotel für den französischen Hochkommissar zum Bürogebäude umgebaut und wandelte sich nach dessen Abzug, nun wieder ein Gastronomiebetrieb, zum Treffpunkt der Bonner Politik- und Wirtschaftselite sowie internationaler Diplomaten.

Ein Haus, eine reichhaltige Quelle von wahren und überlieferten Geschichten. Ein Konsortium aus SWR, WDR, ARD Degeto, Beta Film hat sich daran begeben, einen Teil dieses mythologischen Schatzes zu heben.

Und was daraus wurde, erfährt man hier: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/das-weisse-haus-am-rhein-ard-tv-kritik-das-erste-hitler-91826939.html

Geziert, gedruckst, fachfremd – Feuilletonesisch in der Fernsehkritik

Es ging circa mit dem Siegeszug der „Sopranos“ einher, dass das deutsche Feuilleton Interesse am Wesen der Fernsehserie entwickelte. Man staunte über Begriffe wie „Showrunner“, „Writers’ Room“, „Miniseries“, das „Goldene Zeitalter des Fernsehens“, und weil man sie selbst zuvor nie gehört hatte, erklärte man das Bezeichnete kurzerhand zur Novität.
Nicht nur wurden, jegliche Sorgfaltspflicht in den Wind schießend, falsche Behauptungen aufgestellt, man pflegte seine Serienbesprechungen auch in einem gestelzten Feuilletonesisch abzufassen.
Viele Vertreter dieser Sparte schrieben ursprünglich über das Theater und schleusten Kriterien aus ihrem Erfahrungsbereich in die Film- und Fernsehkritik. Schauspielleistungen beurteilen sie nach den Maßgaben der Bühnenarchitektur, nicht nach den Erfordernissen der Kamera. Lob seitens feuilletonistischer Skribenten findet das theatralische Spiel, die ausholende Geste, die auch auf dem zweiten Theaterrang oben unterm Dach noch wahrgenommen werden kann. Die Kamera aber steht in Reichweite und verlangt von den Thespisjüngern subtileres Agieren, weil sie übertriebenes Chargieren naturgemäß potenziert. In der Praxis führt das zu Sätzen wie: „Höfels muss sich mit knappsten mimischem Proviant von einer Verdächtigten- [sic!] in eine Art Ersatz-Polizistinnen-Rolle hineinzwingen (…)“ Der Anwurf gilt der Schauspielerin Alwara Höfels, die in besagtem Fernsehkrimi dem Wesen einer frisch verwitweten, finanziell schlecht gestellten Mutter mit autistischem Kind sehr angemessen Ausdruck verlieh. Wer von Schauspielern Gesichtsakrobatik erwartet, sollte sich eine Saisonkarte für eine Freilichtbühne gönnen.
Einmal stieß im Rund eines Gremiums des Grimme-Preises ein Fernsehfilm auf bestenfalls verhaltenes Interesse. Eine Dame aber warf sich für die Einreichung in die Bresche mit der Begründung, der Hauptdarsteller feiere gerade in Berlin große Erfolge auf der Bühne. Deshalb sollte er nun also mit einem Fernsehpreis geehrt werden. Warum maßen sich solche Menschen an, über komplexe Künste wie Film und Fernsehen zu urteilen, die zu verstehen andere ein ganzes Hochschulstudium absolvieren? Umgekehrt lassen ja Fernsehkritiker auch das Theater unbehelligt. Sie haben mit ihrem eigenen Sujet genug zu tun.
Unkenntnis über die Aufgaben beim Dreh gebar einen verdrehten Stil, das Feuilletonesisch. „Unter der Regie von Anna Justice standen in weiteren Rollen (…) vor der Kamera von Matthias Neumann.“
Ähnlich zwei Beispiele, stellvertretend für viele aus der „F.A.Z.“: „So erstarrt, wie Tanja Schleiff die abermals traumatisierte Frau spielt, deren Eltern in ihrem Beisein ermordet wurden, agiert die Kamera von Wolfgang Wiesweg.“
„Andererseits wirkt die Bildsprache jetzt konziser, weil die Kamera von Andreas Doub sich konsequent anschleicht (…).“ Sind Matthias Neumann, Wolfgang Wiesweg und Andreas Doub
die Eigentümer der Kameras, haben sie sie für die Dreharbeiten leihweise zur Verfügung gestellt? I wo. Den beiden oblag die fotografische Bildgestaltung, in der Filmkunst die wichtigste Tätigkeit. Und ist die Kamera von einem bösen Geist besessen, dass sie sich mit konziser Wirkung konsequent anschleicht?
Eine gute Darstellerleistung kann durch eine schlechte Kameraführung zunichte gemacht werden. Umgekehrt kann ein guter Kameramann einer schlechten schauspielerischen Darbietung mit etwas Geschick und im Zusammenspiel mit dem Schnittmeister eventuell noch aufhelfen. Ava Gardner arbeitete nur mit Kameraleuten, von denen sie wusste, dass sie unter deren Lichtführung gut aussehen würde. Josef von Sternberg und seine Kameraleute verwendeten viel Zeit, um sicherzustellen, dass ein zarter Schatten unter Marlene Dietrichs Jochbein lag.
Warum ist es der feuilletonistischen Filmkritik nicht möglich, diesen angesehenen Berufsstand beim Namen zu nennen: Kameramann/Kamerafrau oder auch Bildgestalter/Bildgestalterin. Es hilft schon weiter, sich einfach mal Vor- und Nachspann anzuschauen.
Sprachhemmungen gibt es auch beim ehrenwerten Beruf des Drehbuchautors und der -autorin: „Auch gibt ihr das Drehbuch von Zora Holtfreter überraschende Sätze an die Hand.“ Gespenstisch – Drehbücher, die Dinge anreichen können … Und was macht man mit Sätzen in der Hand? Sollten sie nicht eher dem Munde entfleuchen? In der Praxis war es die Autorin Zora Holtfreter, unter dem Namen Zora Holt bekannt als Schauspielerin, die „überraschende Sätze“ ins Drehbuch schrieb und der Darstellerin zur Interpretation überließ.
An dem nachfolgend besprochenen Film waren offenbar gar keine menschlichen Wesen mehr beteiligt: „Buch und Regie verzichten jedoch darauf, die Geschichte fortan als Krimi zu erzählen.“ Ist es schon so weit gekommen mit der künstlichen Intelligenz?
Der Filmschnitt findet in Kritiktexten dieser Art so gut wie keine Beachtung, ist aber ebenfalls wesentlich für die Ästhetik und Wirkung sowohl filmischer Erzählungen wie auch der dokumentarischen Formen.
Zu bestem Feuilletonesisch inspirierte auch der Blick auf einen „… Krimi der ARD aus Dresden, wo Gorniak und Winkler, Karin Hanczewski und Cornelia Gröschel, im Vorspann zu Gorniaks Geburtstagsfeier aufbrechen.“ Ein feierwütiges Frauenquartett? Mitnichten. Hier werden Rollen- und Schauspielerinnennamen aufs Verwirrendste gereiht. Weniger gestelzt und üblich, weil lesefreundlicher wäre: Gorniak (Karin Hanczewski) und Winkler (Cornelia Gröschel). Die beschriebene Szene ereignete sich übrigens auch nicht wie behauptet im „Vorspann“ – das ist der Teil mit den vielen Namen –, sondern im Rahmen der Exposition.
Von all den bunten Fernsehbildern wohl vollends verwirrt berichtet der Berliner „Tagesspiegel“: „Den Film wie diesen hier kümmert Kunst nur, wenn sie Anlass für Verfolgungsjagden in Archiven gestattet.“
Immerhin erhält die Leserschaft mit solchen Sätzen ein deutliches Signal. Verrutscht der Jargon tief ins Feuilletonesische, empfiehlt es sich, schnellstens weiterzublättern eingedenk Harry Frankfurts klugen Worten: „Unsinn ist ein größerer Feind der Wahrheit, als es Lügen sind.“
Am Ende steckt der Kokolores gar noch an.

Die Heldinnen der Heimatfront

Die ARD hat für den Spartensender One eine britische Serie mit origineller Exposition erworben. Der titelgebende „Bletchley Circle” besteht aus Frauen, die während des II. Weltkriegs in Bletchley deutsche Militärcodes dechiffrierten und damit die Nazis besiegen halfen. Reale Zahl: Dort arbeiteten 8.000 Frauen und 2.000 Männer.

Die Serie, im Herkunftsland von ITV in Auftrag gegeben, spielt in den 1950ern, und die vier Heldinnen nutzen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten, um Kriminalfälle zu lösen. Rückblenden in die Kriegstage gibt es auch. Jeweils zwei Folgen bilden eine zusammenhängende Geschichte.


Die Serie ist dabei nicht nostalgisch verträumt, sondern spricht häufig auch die Benachteiligungen an, denen Frauen, zumal wenn sie unteren Gesellschaftsmilieus entstammten, zu dieser Zeit ausgesetzt waren.
Die Serie ist online abrufbar unter https://www.ardmediathek.de/sendung/the-bletchley-circle/staffel-1/Y3JpZDovL3dkci5kZS9vbmUvdGhlYmxldGNobGV5Y2lyY2xl/1

Emily Cox als aufgehender Volksmusik-Stern Jana. Foto: Degeto/Das Erste

Wer es gewitzt und makaber mag, wird sich rasch anfreunden mit dem siebten Steirerkrimi namens „Steirerstern“, der in die Musikbranche führt. Im ländlich gelegenen Tonstudio Soundjack treffen Welten aufeinander. Das Volksmusiktrio Jana & die Lausbuam nimmt hier auf, die freie Studiozeit wird von der Indie-Pop-Band Talking Hearts genutzt. Bis zur Tatnacht ein Frauenquartett. Jetzt ist die Sängerin und Gitarristin Alex Dorner (Anna Friedberg) verstorben. Eine Kohlenmonoxidvergiftung, die angesichts des offenbar fahrlässig bedienten Kohleofens beinahe als Unfall durchgegangen wäre. Aber Kriminaltechniker Bernd Kofler (Christoph Kohlbacher) vom LKA Graz ist zu clever für den Täter. Er entdeckt schnell, dass der Abluftkanal verstopft wurde.

Anna Friedberg ist auch im realen Leben Musikerin, der Stil der fiktiven Band im Film ist ihrem nicht unähnlich: https://www.youtube.com/watch?v=bwhdAMm4REg

Heute um 20:15 Uhr im Ersten und natürlich auch in der ARD-Mediathek.

Neuverfilmung der Van-der-Valk-Romane: Grummler, Gräuel, Grachten

Wer immer das literarische Erbe des 2003 verstorbenen britischen Schriftstellers Nicolas Freeling (gebürtig Nicolas Davidson) verwaltet, hat dessen Nimbus mit der neuerlichen Vergabe der Filmrechte keinen Gefallen getan. Die erste Verfilmung in Form einer TV-Serie mit dem Amsterdamer Kommissar Piet van der Valk hatte 1972 Premiere und lief mit Unterbrechungen bis 1992. Die Hauptrolle spielte Barry Foster, wohl sein bekanntester Part neben dem Frauenmörder aus Alfred Hitchcocks „Frenzy“. Zur gleichen Zeit gab es drei abendfüllende Freeling-Verfilmungen aus deutscher Hand mit dem Hauptdarsteller Frank Finlay und der Vorlage näher als die britische Produktion. Einer der Regisseure war Peter Zadek. Martin Compart zitiert ihn in seinem Lexikon „Crime TV” folgendermaßen: „Im übrigen wird es sich herausstellen, ob unsere Rechnung aufgeht, daß man heute einen Krimi ohne Gewalt und Action machen kann, ohne rasante Schnitte einen ruhigen Film, der seine Spannung aus dem Verhalten der Menschen zueinander bezieht – oder ob das Publikum überstrapaziert wird, daß es für Raffinessen verdorben ist.” Der Satz könnte gerade erst geäußert worden sein, stammt aber aus dem Jahr 1972.

2020 übernahmen erneut die Briten – die Niederländer leisteten nur Produktionshilfe – und besetzten die Titelrolle mit Marc Warren, der selbst auch als Produzent fungiert. Die Wahl des durchtrainierten Mimen, in Deutschland bekannt vor allem durch die schmissige Gaunerserie „Hustle – Unehrlich währt am längsten“, deutet schon an, dass von Freelings Konzept nicht viel mehr geblieben ist als der Name der Hauptfigur und der Schauplatz Amsterdam.

Verbrannt, zerstückelt und entstellt

Bei Freeling war Van der Valk ein nachdenklicher Mensch, belesen und ein Freund der guten Küche. Was daran liegen könnte, dass sein Erfinder, der lange in Amsterdam lebte, einige Zeit als Koch gearbeitet hatte. Und Van der Valk war verheiratet, mit der Französin Arlette, die nach dem gewaltsamem Ableben des Kommissars – ein mutiger Zug für einen Krimiautor – ihrerseits zur Heldin zweier Romane wurde, ehe Freeling mit Henri Castang einen neuen Ermittler an die Arbeit schickte.

Von Ehe kann beim zeitgenössischen Van der Valk keine Rede sein. Der wortkarge, immer leicht mürrische Beamte hat dank seines guten Aussehens Erfolg bei Frauen, gebärdet sich aber eher unbeholfen, wenn die Beziehung über den Beischlag hinausgehen soll. Er lebt, wahrlich ein ausgelutschtes Klischee, auf einem Segelschiff. Seine Tätigkeit beschreibt er mit den Worten: „Ich kümmere mich um den Dreck anderer Leute.“

Ein Grübler ist er schon, da scheint dann noch so eben der literarische Van der Valk durch, den Nicolas Freeling als sozialkritische Version von Georges Simenons Maigret anlegte.

Generell ist Chris Murray, der Hauptautor der Reihe, weit weniger wagemutig als Freeling. Der ging Risiken ein, schrieb beispielsweise ganze Kapitel aus der Warte des Verbrechers. (Und würde mit so einem ‚Durcheinander‘ wohl heutigentags bei den meisten Krimilektorinnen und -lektoren strikte Ablehnung ernten.) Demgegenüber orientiert sich Murray eher an der Masche einiger erfolgreicher skandinavischer Autoren. Keiner der drei Filme, die das Erste an den Pfingsttagen und am 12. Juni ausstrahlt, kommt ohne grotesk überzogene Morde aus. Das erste Opfer hängt weithin sichtbar wie eine Vogelscheuche an einem Gestell, und der Frau wurde mit einem Käsemesser ein großes Kreuz in die Haut geschnitten. Ein anderer Mensch verbrennt lebendigen Leibes. Im zweiten Film „Blut in Amsterdam“ werden Teile einer zerstückelten Leiche in Kisten verpackt und einigen noblen Herrschaften zugestellt. In der finalen Episode „Abrechnung in Amsterdam“ bekommt eine Cellistin Säure ins Gesicht, überlebt zunächst, erliegt dann aber ihren schweren Verletzungen.

Effekt geht vor Logik

Anhand der Geschichte dieses dritten Films lässt sich sehr schön die Absurdität solch spekulativer Mätzchen aufzeigen. Denn erzählt wird von einem Misthaufen aus hochgestellten Persönlichkeiten, die minderjährige Mädchen zu Sexspielen missbrauchen. Übereinstimmungen mit dem Fall Jeffrey Epstein sind wohl kein Zufall. Ein investigativer Journalist ermittelt, deshalb möchten die hochgestellten Drahtzieher dieses kriminellen Treibens gründlich ihre Spuren verwischen. Und das tun sie ausgerechnet, indem sie einer bekannten Musikerin in Anwesenheit eines großen Publikums (!) das Gesicht verätzen. Noch wirksamer hätte man die Polizei nicht auf sich aufmerksam machen können.

Auch im Detail wird viel Unfug getrieben. Van der Valks Mitarbeiter Brad de Vries (Luke Allen-Gale) kann Astronomie nicht von Astrologie unterscheiden, wird also so dumm hingestellt, als habe er nie eine Polizeischule von innen gesehen. DNA-Ergebnisse liegen in Minutenschnelle vor, der Rechtsmediziner, der gern im Sektionsraum ein Nickerchen hält und dort auch Pizza frisst, ist zugleich allgegenwärtiger Kriminaltechniker. Und der Eindruck, dass man in den Niederlanden keinen Durchsuchungsbeschluss benötigt, um als Polizist in fremde Wohnungen einzudringen, entspricht nicht den Tatsachen.

Die Kriminalfälle sind recht komplex gestrickt, aber Effekt geht vor Logik. Da durchstöbern die Ermittler Job Cloovers (Elliot Barnes-Worrell) und Brad de Vries das denkmalgeschützte Jugendstilkino Tuschinsky – von der Handlung her widersinnig, aber schön anzusehen –, während zeitgleich Van der Valk und die Kollegin Lucienne Hassel (Maimie McCoy) nach Scheveningen aufbrechen. Die Fahrt dauert mindestens eine Stunde, und trotzdem sind sie bereits am Strand, ehe Cloovers und De Vries ihre rasche Durchsuchung beendet haben. Die fahren dann hinterdrein und stehen im nächsten Moment bereits neben den Kollegen unterm Scheveninger Riesenrad.

Wer also von einem Kriminalfilm ein Mindestmaß an Plausibilität erwartet, sollte sich anderswo umsehen. Am Pfingstmontag zum Beispiel im ZDF beziehungsweise in der ZDF-Mediathek, wo der auf einem realen Kriminalfall beruhende britische Dreiteiler „The Pembrokeshire Murders” mit Luke Evans gezeigt wird.

Vorzugsweise dekadent

Hingegen kommen Amsterdam-Fans auf ihre Kosten. Täter, Verdächtige, Zeugen, Ermittler bewegen sich bevorzugt rund um Sehenswürdigkeiten wie dem Muziekgebouw aan ’t IJ, dem Amsterdam-Turm mit dem kreisenden Restaurant oder dem runden Parkhaus an der Marnixstraat. Wenn eine Figur gern schwimmen geht, dann natürlich hoch über den Dächern in der „W Lounge“, direkt gegenüber dem Königlichen Palast.

Viele Szenen spielen in diesen von vielen Touristen frequentierten Straßen rund um den Dam. Van der Valk und sein Team arbeiten gern außerhalb des Präsidiums im legendären „Café Scheltema“ und lassen dort gelegentlich ihre Fallakten allgemein zugänglich auf den Tischen liegen.

Der Autor Chris Murray hegt offenbar eine Vorliebe für die Dekadenz nobler Milieus – Immobilienmakler, eine Diamantendynastie, Gastrokönige –, und damit zugleich für Prunk und Pomp in den Kulissen. Alles in dieser Produktion ist auf Bildwirkung ausgerichtet. Ohne Rücksicht auf inhaltliche Belange. Viele Establishing Shots – kurze Szenen, die eigentlich einen Schauplatzwechsel vermitteln sollen – zeigen gerade nicht den Ort der folgenden Handlung, sondern wurden zusammenhanglos zwischen die Sequenzen geklebt.

Zu gucken also gibt es eine Menge, in die Aufnahmetechnik wurde sichtlich investiert. Aber Inhalt und Machart sind demgegenüber blamabel geraten. Dem vielfach preisgekrönten Nicolas Freeling werden sie nicht einmal annähernd gerecht.

Übrigens produzieren die Niederländer selbst gute Kriminalserien. Vielleicht sollten die deutschen Sender dort mal auf Einkaufstour gehen.

Kommissar Van der Valk: Gejagt in Amsterdam“, Pfingstsonntag, 21:45 Uhr, Das Erste

Kommissar Van der Valk: Blut in Amsterdam“, Pfingstmontag, 21:45 Uhr, Das Erste

Kommissar Van der Valk: Abrechnung in Amsterdam“, 12.6.2022, 21:45 Uhr, Das Erste

Alle Filme sind bereits online in der ARD-Mediathek verfügbar.

Der Verkaufshit unter den Donnerstagskrimis

Auch in Frankreich geschätzt: Trotz mittelmäßiger Machart ist die deutsche Krimireihe „Kommissar Dupin“ ein internationaler Verkaufsschlager.

Frankfurt – Wer in Kanada urlaubt und dort den Fernseher einschaltet, könnte auf ein bekanntes Gesicht treffen: den Schauspieler Pasquale Aleardi. Seit 2014 verkörpert der Schweizer in der Reihe „Kommissar Dupin“ die gleichnamige Hauptfigur. Für das Ausland offenbar so überzeugend, dass ein englischsprachiger Autor der Webenzyklopädie Wikipedia „Kommissar Dupin“ irrtümlich als französische Produktion einstuft.

Auch dort, wo die nach Regionalkrimis von Jean-Luc Bannalec alias Jörg Bong gedrehte Reihe angesiedelt ist, im bretonischen Concarneau, hatte man Aleardi schon auf dem Schirm. Dort liefen die bis 2018 gedrehten Episoden auf France 3 und erzielten im Durchschnitt einen beachtlichen Marktanteil von 15 Prozent. „Kommissar Dupin“ ist ein Verkaufserfolg.

Weiter geht es hier: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/kommissar-dupin-bretonische-idylle-ard-heute-im-ersten-krimi-pasquale-aleardi-tv-kritik-91480624.html