Fallgrube für Abschreiber


Mein Ausbilder seinerzeit pflegte zu sagen: Wo man hinpackt, packt man in die Sch…
Aus ähnlichen Gründen gilt Wikipedia im Wissenschaftsbereich nicht als zitable Quelle und sollte, was leider nicht der Fall ist, auch für Journalisten tabu sein. Hallo nach Berlin zum „Tagesspiegel”. Gerade fand sich mal wieder ein Beispiel, warum das so ist. Wikipedia schreibt:
„Für Tykwer ist Babylon Berlin nach der Netflix-Serie Sense8 die zweite Fernsehproduktion.[20][21] Er sieht die Serie in der Tradition von erfolgreichen US-amerikanischen Serien wie The Sopranos, The Wire, Mad Men, Breaking Bad, Six Feet Under oder Boardwalk Empire, die horizontal erzählte Geschichten ins Fernsehen (und Streaming-Dienste) brachten.”
Folgt man der Quellenangabe, gelangt man zu dieser Passage:
„Für mich waren die ‚Sopranos‘ seinerzeit eine Art Erweckungserlebnis. Die neue Art, Geschichten zu erzählen, die diese Fernsehserie aufbrachten und mit der sie eine neue Tradition begründete, hat mit Sicherheit auch mein Schreiben beeinflusst, jedenfalls mein fiktionales Denken. Und wenn dann die Welt von Gereon Rath in genau dieser Tradition adaptiert werden soll, in der Tradition von Serien wie ‚The Wire‘, ‚Mad Men‘, ‚Breaking Bad‘, ‚Six Feet Under‘, ‚Boardwalk Empire‘, so ist das genau das, was ich mir für diesen Stoff immer gewünscht habe.”
NUR: Das sagt nicht Tykwer, sondern der Autor der Vorlage, Volker Kutscher.
Und „Sense8” war nicht Tykwers erste Fernseharbeit; seinen Debütfilm „Die tödliche Maria” realisierte er beim ZDF, Redaktion „Kleines Fernsehspiel”.
Quod erat demonstrandum.
I rest my case.

Der Verkaufshit unter den Donnerstagskrimis

Auch in Frankreich geschätzt: Trotz mittelmäßiger Machart ist die deutsche Krimireihe „Kommissar Dupin“ ein internationaler Verkaufsschlager.

Frankfurt – Wer in Kanada urlaubt und dort den Fernseher einschaltet, könnte auf ein bekanntes Gesicht treffen: den Schauspieler Pasquale Aleardi. Seit 2014 verkörpert der Schweizer in der Reihe „Kommissar Dupin“ die gleichnamige Hauptfigur. Für das Ausland offenbar so überzeugend, dass ein englischsprachiger Autor der Webenzyklopädie Wikipedia „Kommissar Dupin“ irrtümlich als französische Produktion einstuft.

Auch dort, wo die nach Regionalkrimis von Jean-Luc Bannalec alias Jörg Bong gedrehte Reihe angesiedelt ist, im bretonischen Concarneau, hatte man Aleardi schon auf dem Schirm. Dort liefen die bis 2018 gedrehten Episoden auf France 3 und erzielten im Durchschnitt einen beachtlichen Marktanteil von 15 Prozent. „Kommissar Dupin“ ist ein Verkaufserfolg.

Weiter geht es hier: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/kommissar-dupin-bretonische-idylle-ard-heute-im-ersten-krimi-pasquale-aleardi-tv-kritik-91480624.html

Übereinstimmend besprochen

Die ARD vermeldete in der vergangenen Woche, dass die werktags im Vorabend- bzw. Werberahmenprogramm ausgestrahlte Seifenoper „Verbotene Liebe“ nicht fortgeführt werde. Der Schritt war absehbar, erste Abgesänge wurden bereits publiziert. Medienjournalismus funktioniert halt in gewissem Sinne antizyklisch. Beispiel: Erst fordert man die Verjüngung des ZDF-Programms; kommt der Sender dem wenn auch in kleinen Schritten nach, wird prompt die angebliche Diskriminierung der älteren Zuschauer zum Thema gemacht.

Ähnlich bei den Soaps: Bislang war es nahezu Konsens, diese Sendeform pauschal als wertlos hinzustellen, eine Argumentationslinie, die sich am besten ohne genauere Kenntnis des Gegenstandes verfolgen lässt. Der Berliner „Tagesspiegel“ immerhin hat mal bei Wikipedia nachgeschaut. Oder umgekehrt? Der entsprechende Beitrag ist auf der Web-Seite des „Tagesspiegels“ auf den 18.7.2014 datiert. Die zitierte Passage war bei Wikipedia schon vor diesem Datum zu lesen. Wie auch immer: Der Grad der Übereinstimmung erreicht einen Zufallswert, der locker für einen höheren Lottogewinn ausreichen würde. Ein Schelm, wer dabei an das Leistungsschutzrecht („Snippets“!) denken muss.

„Tagesspiegel“, 18.7.2014, 10:58 Uhr:

„Im Gegensatz zu Soaps wie „Lindenstraße“, „Marienhof“ (der vor drei Jahren eingestellt wurde) oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ ist der maßgebliche Teil der Handlung von „Verbotene Liebe“ in der Oberschicht angesiedelt, nur marginal werden Probleme des sogenannten Durchschnittsbürgers behandelt. Der Dauerplot: Intrigen in Adelsfamilien. Die Leute heißen von Anstetten, von Beyenbach oder von Lahnstein, wie das Serienbiest Tanja von Lahnstein. Das Ganze hatte mehr mit „Dallas“ oder „Denver-Clan“ zu tun und setzen sich damit von deutschen Soaps ab, die mehr Identifikationspotenzial für den Zuschauer bieten. „Verbotene Liebe“ spielt zudem bewusst auch mit den sozialen Unterschieden zwischen der gehobenen Gesellschaft Düsseldorfs und der Mittelschicht, wie sie von der Familie Brandner verkörpert wird.“

Wikipedia:

„Im Gegensatz zu Soaps wie Lindenstraße, Marienhof, Unter uns oder Gute Zeiten, schlechte Zeiten ist der maßgebliche Teil der Handlung von Verbotene Liebe in der High Society angesiedelt, eher marginal werden Probleme des sogenannten Durchschnittsbürgers behandelt. Die Intrigen in den Adelsfamilien, wie sie anhand derer von Anstetten, von Beyenbach oder von Lahnstein geschildert werden, erinnern eher an US-amerikanische Soaps wie Dallas oder Der Denver-Clan und setzen sich damit von besagten anderen deutschen Soaps ab, die weitaus mehr Identifikationspotenzial für den Zuschauer bieten. Verbotene Liebe spielt zudem bewusst auch mit den sozialen Unterschieden zwischen der gehobenen Gesellschaft Düsseldorfs und der Mittelschicht, wie sie beispielsweise von der Familie Brandner verkörpert wird.“

Müssten in solchen Fällen nicht eigentlich: der verantwortliche Redakteur abgemahnt werden, der Ressortleiter zurücktreten und die Herausgeber sich bei der Leserschaft entschuldigen?

 

Allgemeinwissen

Da hat doch die Schwarmintelligenz wieder mal nicht aufgepasst. „Joan Armatrading (…) ist eine Singer-Songwriterin, die Van Morrison zur Musik gebracht hat“, will Wikipedia ermittelt haben. Die verunglückte Formulierung sagt etwas Anderes, gemeint ist aber, dass Van Morrison die jüngere Kollegin zur Musik gebracht habe. Die selbst, befragt von den „Osnabrücker Nachrichten“ (7.2.2010, S. 2), widerspricht:  „So ein Quatsch. Ich kenne Van Morrison nicht, und ich habe ihn nie getroffen. (…) Manchmal ist man sein Leben lang damit beschäftigt, richtigzustellen, was über einen falsch geschrieben wurde.“

Eine kostenlose Reklamepostille übertrifft das vielgerühmte lexikalische Netzwerk an Präzision. Sollte uns das womöglich zu denken geben?

Verunglückt

So schnell kann man zum Hansel werden. Die aktuelle Ausgabe der „Funkkorrespondenz“ unterrichtet ihre Leser auf Seite 7: „Von ‚Doctor’s Diary’ zeigte RTL im Sommer vorigen Jahres – jetzt um 21.15 Uhr – die zweite Staffel (vgl. FK 36/09). Auch die Fortsetzung erhielt den Grimme-Preis sowie unter anderem noch den Deutschen Fernsehpreis.“

Als Autor zeichnet der Wachhabende dieser kleinen Blog-Hütte. Realiter aber hat er diese Zeilen nicht geschrieben. Weil er im Rahmen des diesjährigen Grimme-Preis-Prozederes einen kleinen Beitrag leisten durfte, weiß er, dass über die Grimme-Preise des Jahrgangs 2009 noch gar nicht abschließend entschieden ist – die Nominierungen werden am 3. Februar bekanntgegeben. Und der Deutsche Fernsehpreis 2009 in der Kategorie Beste Serie ging zwar auch an RTL, prämiert aber wurde, und das kann man billigen, die Serie „Der Lehrer“, keineswegs schon wieder „Bridget Jones ruft Dr. Bruckner“ … pardon, „Doctor’s Diary“.

Ihr Allerwertester hat schon des öfteren Erfahrungen mit derartigen vorschnellen Eingriffen sammeln dürfen. Da wurde inmitten redaktioneller Hektik mal eben rein nach Bauchgefühl oder Hörensagen korrigiert, in Wahrheit falsifiziert, worauf der Verfasser Tage, wenn nicht Wochen eingehender Recherche verwandt hatte. Früher einmal, hört, hört, liebe Kinder, wurden Artikel von Dokumentaren geprüft und Unsicherheiten durch Anruf beim Autor beseitigt. Ein schöner Brauch, der wie so viele fast schon ausgestorben scheint.

Noch ein P.S.: Nicht nachvollziehbar ist übrigens, warum Wikipedia in der Vergangenheit verschiedentlich der Rang eines seriösen Nachschlagewerks zugeschrieben wurde. Wer’s glaubt, ist auch schon reingefallen. Denn wie ein früherer Ausbilder Ihres Chronisten zu sagen pflegte: Wo man hinpackt, packt man in die Scheiße. So meldet Wikipedia (Aufruf 30.1.2010, 16.30 Uhr)fälschlich, „Doctor’s Diary“ habe 2009 Grimme Preise in den Kategorien Fiktion wie auch Unterhaltung bekommen. Eine solche Doppelprämierung aber lassen die Statuten gar nicht zu. Wo steckt die angeschwärmte Schwarmintelligenz, wenn man sie mal braucht?