Nebelkerzen in der „Tagesschau“

In den letzten Jahren sind Angehörige der unentschlossenen Generationen in den Journalismus eingewandert. Rupert Wiederwald beispielsweise berichtete dieser Tage in der „Tagesschau“: „Auch hier fahren nicht wirklich viele Züge.“
Warum diese schwachmatische Relativierung? Fahren nun Züge oder fahren sie nicht? (Sie fuhren nicht.)
Noch blöder sind Sätze wie „Die Kanzlerin konnte sich nicht wirklich durchsetzen.“
In so gut wie allen Fällen ist die Phrase „nicht wirklich“ eine völlig überflüssige Beigabe, ein geziertes, modisches Aufblasen des jeweiligen Wortlauts. Sie wirkt wie die Vermeidung einer klaren Aussage, wie die Vernebelung des eigentlichen Sachverhalts.
Bevor die Floskel von denkfaulen Synchronautoren als Übersetzung des angelsächsischen „not really“ herangezogen wurde, hatte sie übrigens eine ganz andere Bedeutung. Sie stand für gespenstische, märchenhafte, traumhafte, wirklichkeitsfremde, also „unwirkliche“ Wahrnehmungen. Um Einschränkungen auszudrücken, benutzte man Wendungen mit eindeutigerem Wortstamm wie „nur bedingt“, „nur begrenzt“, „nicht unbegrenzt“.

Spurensuche im schottischen Dundee

Gut versteckt im Regionalprogramm des NDR startet am heutigen 24.11.2020 eine kleine britische Serienperle: „Traces – Gefährliche Spuren“. Die Exposition stammt von der Bestsellerautorin Val McDermid, ausgearbeitet hat das Ganze Amelia Bullmore. Auch die Regie lag in weiblicher Hand. Protagonistin ist eine junge Laborantin, die eine neue Stelle in einem Kriminallabor in Dundee antritt und nebenher an einem Online-Kurs im Fach Kriminaltechnik teilnimmt, aber auch in eigener Sache recherchiert.

Hier wird die kriminaltechnisch-forensische – forensisch bedeutet sinngemäß so viel wie gerichtsverwertbar – Tätigkeit einmal realitätsnah gezeigt. Nicht der Humbug, der uns in unausgegorenen Kriminalromanen und Fernsehkrimis erwartet. Leider gibt es wieder die üblichen Synchronisationsschlampereien wie „Pathologe“, wenn ein Rechtsmediziner gemeint ist. Verloren geht auch, dass fast alle Hauptfiguren mit diesem schwerzüngigen schottischen Akzent parlieren. Den muss man sich dazudenken. Sendebeginn ist 22 Uhr, der NDR zeigt jeweils zwei der insgesamt sechs Folgen en suite.

Synchronesisch

Mit Verständnis und nicht ohne Wohlwollen wurde von der Leitung dieses Blog-Hauses zur Kenntnis genommen, dass Bundesverkehrsminister Ramsauer (CSU) in seinem Wirkungsbereich das Schnösel- und Döselenglisch untersagt hat. Kein „Travel Management“ mehr, keine „Task Force“, keine „Inhouse Meetings“, keine „Deadline“. Leider verschweigen die Nachrichtenagent- und auguren, wie Ramsauer mit Begriffen wie „Smoking“, „Trenchcoat“, „Pullover“ oder „Internet“ zu verfahren gedenkt. Und was ist mit Lehnworten anderer Herkunft? Von A wie „Agenda“ über „Monitor“, „Politik“ und „Subjekt“ bis hin zu „Zylinder“ – man könnte Bände damit füllen. Unsere Großeltern übrigens französelten in Nachahmung großbürgerlichen „Jargons“ und parlierten wie selbstverständlich über „Plumeau“, „Volant“, „Chemisett“ und die „Chaiselongue“.

Quälender noch als das so genannte „Denglisch“ ist Synchronesisch. Gemeint sind sprachliche Einsprengsel, die auf schlampige – und es gibt ja kaum noch andere – Filmsynchronisationen zurückgehen. „Nicht wirklich“ zählt dazu („not really“) und das inzwischen allgegenwärtige „süß“ („sweet“ lässt sich mit „lieb“, „lieblich“, „frisch“, „nett“, „freundlich“ übersetzen, was zeigt: eine korrekte Wortwahl ermöglicht die Präzisierung der ursprünglichen Aussage). „Pathetic“ bedeutet „mitleiderregend“, „jämmerlich“, „lächerlich“, wird aber im Synchronesischen zu, na klar, „pathetisch“. Ähnlich hören wir „überhört“, wenn ein angelsächsischer Schauspieler „overheard“ sagt und damit „zufällig belauscht“ oder „mitgehört“ meint.

„He’s history“ hat sich als „er ist Geschichte“ im deutschen Sprachraum etabliert, ebenso der „Loser“, vulgo „Verlierer“, der aber ein „Versager“ sein müsste. Kaum noch wegzudenken: „that makes sense“, allgemein bekannt als „das macht Sinn“.

Die mit Abstand dümmsten, aber tatsächlich vorgekommenen Übersetzungsleistungen:

„self-titled“ – „selbstbetitelt“

„shorthand“ – „mit kurzer Hand“

„Hardcopy“ – „Hartkopie“

Sie kennen weitere Sprachtorheiten der beschriebenen Art? Nur immer her damit – hier werden sie gesammelt und an den Pranger gestellt.