Fallgrube für Abschreiber


Mein Ausbilder seinerzeit pflegte zu sagen: Wo man hinpackt, packt man in die Sch…
Aus ähnlichen Gründen gilt Wikipedia im Wissenschaftsbereich nicht als zitable Quelle und sollte, was leider nicht der Fall ist, auch für Journalisten tabu sein. Hallo nach Berlin zum „Tagesspiegel”. Gerade fand sich mal wieder ein Beispiel, warum das so ist. Wikipedia schreibt:
„Für Tykwer ist Babylon Berlin nach der Netflix-Serie Sense8 die zweite Fernsehproduktion.[20][21] Er sieht die Serie in der Tradition von erfolgreichen US-amerikanischen Serien wie The Sopranos, The Wire, Mad Men, Breaking Bad, Six Feet Under oder Boardwalk Empire, die horizontal erzählte Geschichten ins Fernsehen (und Streaming-Dienste) brachten.”
Folgt man der Quellenangabe, gelangt man zu dieser Passage:
„Für mich waren die ‚Sopranos‘ seinerzeit eine Art Erweckungserlebnis. Die neue Art, Geschichten zu erzählen, die diese Fernsehserie aufbrachten und mit der sie eine neue Tradition begründete, hat mit Sicherheit auch mein Schreiben beeinflusst, jedenfalls mein fiktionales Denken. Und wenn dann die Welt von Gereon Rath in genau dieser Tradition adaptiert werden soll, in der Tradition von Serien wie ‚The Wire‘, ‚Mad Men‘, ‚Breaking Bad‘, ‚Six Feet Under‘, ‚Boardwalk Empire‘, so ist das genau das, was ich mir für diesen Stoff immer gewünscht habe.”
NUR: Das sagt nicht Tykwer, sondern der Autor der Vorlage, Volker Kutscher.
Und „Sense8” war nicht Tykwers erste Fernseharbeit; seinen Debütfilm „Die tödliche Maria” realisierte er beim ZDF, Redaktion „Kleines Fernsehspiel”.
Quod erat demonstrandum.
I rest my case.

Das Unterschlagen von Informationen kann zur Lüge führen

Und weiter geht es mit dem Philosphieren über Fernsehserien bei aufgestellten Scheuklappen, nämlich mit unverbrüchlich starrem Blick auf „The Sopranos“, „The Wire“ und „Breaking Bad“. Aktuell meldet die NZZ: „Fernsehserien wie «The Sopranos» oder «The Wire» erkunden seit Ende der neunziger Jahre die Gesellschaft der USA.“ Könnte denn nicht zumindest eine Zeitung dieses Ranges mal jemanden an das Thema setzen, der auch die gesellschaftlichen Erkundungen von „Polizeirevier Hill Street“ (1981-1987), „Miami Vice“ (1984-1989), „Crime Story“ (1986-1988), „L.A. Law“ (1986-1994), „Wiseguy“ (1987-1990), aller Serien von David E. Kelley usw. usf. in seine Überlegungen einbezieht?

Eine kurze Geschichte der epischen Fernseherzählung

Deutsche Rezensenten sind schwer auf „Wire“, aber nicht auf Draht

In der“ taz“ beginnt eine Besprechung der neuen ZDF-Serie „Die letzte Spur“ mit der folgenden Passage:

„Fernsehen ist das neue Kino, amerikanische TV-Serien haben das horizontale, längerfristige Erzählen neu definiert, die großen Romane der Gegenwart heißen „The Sopranos“ und „The Wire“. Das wird derzeit ständig geschrieben. Es stimmt ja auch.

Aber es sind nicht allein die Amerikaner – die Deutschen waren im horizontalen Krimi-Gewerbe zwischenzeitlich auf Augenhöhe, annähernd, nicht ganz. Mit Dominik Grafs und Rolf Basedows „Im Angesicht des Verbrechens“ (ARD) und Orkun Erteners „KDD – Kriminaldauerdienst“ (ZDF). Was in New Jersey und Baltimore geht, geht auch in Berlin.“

Da wurde mit praller Stilblüte, aber recht bündig zusammengeführt, was dem einfachen fernsehenden Volk in den letzten Monaten an schierem Unfug aufgetischt wurde, vom großsprecherischen, aber rotzjungendummen Bescheidwissertonfall – „Fernsehen ist das neue Kino“ – bis hin zu der verblasenen Thesenstellung. Da ist plötzlich alles neu und es scheint eine Revolution im Gange; die „F.A.Z.„, die es eigentlich besser wissen sollte, glaubte entdeckt zu haben, mit den besagten neueren US-Serien seien die Gesellschaftsromane des 19. Jahrhunderts ins Fernsehen eingegangen. Auch bei den klugen Köpfen aus Frankfurt wurden die Backen mächtig geplustert: „Der Roman der Gegenwart ist eine DVD-Box“. Heiliger Charles Wilp, was für ein Satz. (Zur Ehrenrettung: Hier immerhin gab der Schriftsteller Martin Kluger, nomen es omen, ein paar kluge Worte zu Protokoll. Bitte insbesondere zu beachten: „Doch damals hat das Feuilleton geschwiegen, das war pfui.“ Dieses „Damals“ ist noch nicht gar so lange her. Kein Wunder also, dass die Herrschaften sich nicht auskennen; atemraubend, fast schon niederschmetternd aber der mit schierer Unverschämtheit gepaarte Furor und die Emphase, mit denen sie diese Defizite wettzumachen versuchen.)

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