Begründungen, Befunde, Befindlichkeiten

Ein sehr zutreffender Kommentar zur diesjährigen Vergabe des Grimme-Preises, zu den dortigen Praktiken generell erschien dieser Tage in der „Frankfurter Rundschau”. Die Kritik des Autors Moritz Post an der Begründung der – völlig berechtigten – Preisvergabe an Jan Böhmermann hat Hand und Fuß. Doch gilt nicht nur für dieses Fallbeispiel, was Post konstatiert: Es offenbart sich bei der Grimme-Preis-Jury ein Sendungsbewusstsein und eine unangenehme moralische Überlegenheit, wenn sie die vermeintlich Seriösen in unserer Welt als Clowns „degradiert“.

Seit je fallen manche Jurybegründungen gewunden, verquast, herablassend aus. Daraus spricht die von Post aufgespürte Haltung. Oft aber fehlt es auch schlicht an einem geeigneten Vokabular, Resultat eines Mangels an objektiven Kriterien und Ausweis dessen, dass manche Preisvergabe mehr von Idio­syn­kra­sien als von einem fachlichen Urteil über die erbrachte kreative und handwerkliche Leistung bestimmt wird. Das reicht bis hin zur schlichten Ignoranz. Sinngemäßes Zitat eines früheren Jurymitglieds, das während der Sichtungen gern mal Zeitung las, statt sich seiner Aufgabe zu widmen: Mich interessiert nur, was ich auf dem Bildschirm zu sehen bekomme.

Von 1995 bis 1996 sendete die ARD in ihrem Vorabendprogramm mit der WDR-Produktion „Die Partner” eine moderne, zeitgemäße Serie. Die Hauptrollen spielten die Größen Jan Josef Liefers, Ann Kathrin Kramer, Ulrich Noethen und Heinrich Giskes. Regie führten unter anderem der mittlerweile renommierte und vielfach preisgekrönte Samir („Baghdad in My Shadow”) und der später zeitweilig in Hollywood tätige Josef Rusnak. Diese Serie fiel aus dem damaligen Rahmen, weil die Autoren Ambivalenzen wagten, mehrdeutig erzählten und weil sich die Kameraleute Clemens Messow und Wedigo von Schultzendorff der gestischen Kamera bedienten, wie sie in den USA bereits in der Polizeiserie „Hill Street Blues” (ab 1981) angelegt und in den nachfolgenden Serienproduktionen „NYPD Blue” (ab 1993) und „Homicide: Life on the Street” (ab 1993) weiterentwickelt worden war. An eben dieser Kameraführung störte man sich im Grimme-Gremium, das über diese Serie zu befinden hatte, fand sie zu unruhig, nervös, verwirrend, erkannte gar nicht, dass bestimmte Szenen einer Episode andeutungsweise nur in einem Traum stattfanden. Mit anderen Worten: Man blieb um einige Jahre hinter der künstlerischen Entwicklung des Erzählfernsehens zurück.

Als aber 2010 die Regisseurinnen Doris Dörrie, Gloria Behrens, Vanessa Jopp diese Kameratechnik für die Serie „Klimawechsel” anwendeten, war die Jury begeistert. Eine Preisrichterin hatte zuvor von einer beteiligten Schauspielerin erzählt bekommen, dass sie und ihre Kollegen diese Art der Inszenierung schätzen, weil sie vor der Kamera gewisse Freiheiten bietet. Das galt 1995 auch schon, aber es dauerte, bis es in Marl, dem Ort der Preisvergabe, zur Kenntnis genommen wurde.

Einige Jahre später stand im Grimme-Institut die Vox-Produktion „Club der roten Bänder” zur Debatte, eine Adaption der katalanischen Serie „Polseres vermelles” von Albert Espinosa. Dessen Name indes wird in der Preisbegründung nicht genannt, obwohl sich die deutschen Autoren Arne Nolting und Jan Martin Scharf eng an die Originaldrehbücher gehalten hatten. Die damaligen Statuten des Grimme-Preises sahen vor, dass die Adaption einer ausländischen Serie mit dem Original verglichen werden muss. In der Nominierungskommission hatte man das unterlassen. Ein Verfahrensfehler, der aber von der Wettbewerbsleitung nicht so gesehen wurde.

In der Jury dann wurde auf Eigeninitiative eines Mitglieds die Pilotfolge des Originals eingespielt. Ein anderer Preisrichter, großer Befürworter der Serie, zeigte sich dann „schockiert” angesichts der offensichtlichen Nähe von Original und deutscher Bearbeitung. Er überwand glücklich seine Erschütterung, indem er bekanntgab, er werde die Übernahme der Drehbucharbeiten von Albert Espinosa als „kreative Entscheidung” bewerten. Und die war seiner Meinung nach preiswürdig. Eine selbstherrliche Missachtung der Leistung von Albert Espinosa, der in der Serie eigene Erlebnisse verarbeitete und an allen Drehbüchern der ersten Staffel beteiligt war. Übrigens war er bei den Dreharbeiten zur deutschen Staffel im Kölner Studio zu Gast, also auch in dieser Hinsicht eng mit der deutschen Produktion verbunden.

Die Mehrheit der Marler Jury scherte all das wenig. Der Name Albert Espinosa fiel erst, als Arne Nolting und Jan Martin Scharf bei der Übergabe der Trophäe sinngemäß auf dessen fabelhafte Vorarbeit hinwiesen. Die beiden Preisträger also verhielten sich im Hinblick auf die Anerkennung der Autorenschaft und die damit verbundene künstlerische Errungenschaft fairer als die Nominierungskommission, die Jury und der Ausrichter des Grimme-Preises.

Adaptionen, Ambitionen, Kreationen

Formatverkäufe gehören in der Fernsehbranche zum Geschäft. Shows und Serien werden adaptiert oder, vor allem seit Aufkommen der Streaming-Dienste eine verstärkt ausgeübte Praxis, die Rechte an eingestellten Produktionen angekauft und beispielsweise Serien fortgeführt. Netflix beispielsweise griff auf „Arrested Development” ebenso zurück wie auf gut eingeführte Titel wie „The Killing”, „Longmire”, „Black Mirror”, „You – Du wirst mich lieben” oder gab Ableger bekannter Serien in Auftrag wie „Fuller House”, „Degrassi: Die nächste Klasse“, in Spielfilmform „Ferry” als Prequel zu der von öffentlich-rechtlichen Sendern entwickelten belgisch-deutschen Kultserie „Undercover”.

Besonders erfolgreich im Formatverkauf ist das kleine Land Israel. „Be Tipul” wurde in vielen Ländern adaptiert, gegenwärtig läuft die französische Version unter dem Titel „In Therapie” bei Arte, wo auch schon das israelische Vorbild zu sehen war. Auch „Hatufim – In der Hand des Feindes” wurde bei Arte ausgestrahlt. Die bekanntere US-Version trug den Titel „Homeland”. Vergleiche waren also möglich, weshalb verwundert, dass im aktuellen „Jahrbuch Fernsehen” geschrieben steht: „Die Serien der israelischen Mega-Produktionsfirma Keshet, auf die einige der US-Thriller-Erfolge wie ‚Homeland‘ basieren [sic!], haben das Erzähltempo seit den 90er Jahren stark erhöht.” Gerade „Hatufim” betont im Vergleich zur aktionsreicheren US-Version den dramatischen Gehalt der Geschichte, geht in die Tiefe statt von einer Einstellung zur nächsten zu hasten. Nebenbei: Der besagte Text widmet sich laut Untertitel „den neuen Erzählformen der boomenden Streaming-Plattformen”. Die meisten Beispiele aber stammen aus dem herkömmlichen linearen Fernsehen. Zum Beispiel wird „Fleabag” prominent hervorgehoben, eine Serie der öffentlich-rechtlichen BBC.

Eine deutsche Formatadaption hat am heutigen 9. April 2022 im Ersten Premiere in linearer Form. „Euer Ehren” basiert wiederum auf einem israelischen Format. Die Autoren David Nawrath und David Marian halten sich recht eng an die Vorlage „Kvodo” (2017), von der es bereits US-amerikanische, französische, russische, indische Versionen gibt. Nawrath führte auch Regie und übernahm einige Einstellungen der israelischen Kollegen Ron Ninio. Siehe unten.

„Euer Ehren” weist einige eigenständige Zutaten auf, die deutschen Bearbeiter gehen aber nicht so weit wie Peter Moffat, der die US-Version „Your Honor” verantwortete und sich in vielen Punkten von der Vorlage löste. In Deutschland gelten dem Original folgende Übertragungen bereits als anerkennenswerte kreative Leistung. „Stromberg” erhielt einen Grimme Preis, als der Autor Ralf Husmann noch öffentlich behauptete, die Serie sei keine Adaption des britischen Formats „The Office”. Der auftraggebende Sender ProSieben zahlte später entsprechende Tantiemen an die BBC.

Der Vox-Serie „Club der roten Bänder” wurde ein Grimme Preis für die Drehbücher zugesprochen, die nahezu Übersetzungen der katalanischen Originale waren. Deren Autor Albert Espinosa war sogar zeitweise bei den Dreharbeiten in Köln zugegen. Dennoch wurde sein Name in der Begründung für die Auszeichnung nicht genannt. Dies blieb den beiden Preisträgern Arne Nolting und Jan Martin Scharf überlassen, die hochanständig im Rahmen der Verleihung darauf hinwiesen, dass Espinosa ihnen die Vorlagen für ihre Skripte geliefert hatten. Die Grimme-Nominierungskommission übrigens hatte auf einen Vergleich von Original und Adaption verzichtet, obwohl die Statuten eben dies verlangten.

Leise tönt das Todesglöckchen

Habe gerade bei faz.net wieder eine dieser journalistischen Denksportaufgaben entdeckt. Am 3.3.2020 hieß es dort in einer Einleitung: „Beim Grimme-Preis zeigt sich, dass die Tage des linearen Fernsehens gezählt sind. Denn einige wichtige Preise gehen an Streamingdienste.“ Lesen wir weiter.

„Einige wichtige Preise“ sind in Zahlen ausgedrückt drei von sechzehn. In Ziffern: 3. Zwei gehen an Serienproduktionen, einer an ein Unterhaltungsformat. Alle Preise im Bereich Kultur & Information sowie Kinder & Jugend – in den Augen von FAZ-Autoren offenbar eher unwichtig – bleiben beim linearen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Da dessen Tage laut faz.net gezählt sind – müssen wir demnächst auf qualitative und auszeichnungswürdige Informations- und Kindersendungen verzichten? Oder helfen Netflix, Amazon und Konsorten aus? Und wenn ja, was soll’s kosten?

Gute Umgangsformen

In der vergangenen Woche sprachen die Nominierungskommissionen des Grimme Preises ihre Urteile. Einen „Spezial Preis“ möge demnach die Produktionsfirma Komplizenfilm erhalten „für den Umgang mit der Musik in Skylines“. Gern wüsste man mehr darüber. Wurde die Musik während der Dreharbeiten von einem Musikpädagogen betreut? Gewiss hatte sie ihr eigenes Musikzimmer. Und bekam sie jedes Mal ein Leckerli, wenn sie die vom Musikdompteur ihr anerzogenen Kunststücke brav auf Kommando ausführte?

Subjektive Wahrnehmungen

Thema: Grimme-Preis-Nominierungen.
Schlagzeile in der „Stuttgarter Zeitung“: „Drei Netflix-Serien dürfen sich Hoffnung auf Auszeichnung machen“
Zwischenüberschrift weiter unten: „Öffentliche stark vertreten“
Mal schnell durchgezählt: „Öffentliche“ allein in den Sparten Information/Kultur/Journalismus: 23 Nominierungen. Netflix: 0.
Leserseitige Schlussfolgerung: „Öffentliche“ dürfen sich Hoffnung auf Auszeichnung machen

Rezensionen. Revolutionen. Revisionen.

Einst Verfemtes wird nobilitiert: Neuere US-Serien in der deutschen Kulturkritik

Der Kanon ist bekannt. Wer in diesen Tagen im kulturjournalistischen Bereich tätig werden möchte, sollte sie kennen: „Die Sopranos“, „The Wire“, „Breaking Bad“, „House of Cards“. Keine dickleibigen Romane, sondern Fernsehserien. Noch dazu solche aus US-amerikanischer Produktion, Erzeugnisse also einer kapitalistischen Kulturindustrie. Diese und einige andere Titel sind als Kulturgut anerkannt, sie liefern Referenzsysteme und sind zitabel. Man darf als Rezensent mittlerweile sogar zeitgenössische Romane daran messen, ob sie in Sachen erzählerischer Finesse, epischer Breite und vor allem Gegenwartsbezug mit den genannten Serien, zu denen sich noch skandinavische Titel wie die Politserie „Borgen“ gesellen, mithalten können.

Als mit der Moderne noch gehadert wurde

Einzeltitel wie die Serien „Roots“ (1977) und insbesondere „Holocaust“ (1978) wurden seinerzeit ausnahmsweise auf den Kulturseiten der Intelligenzblätter diskutiert. So intensiv aber und umfänglich wie derzeit haben sich Kulturjournalisten in Deutschland noch nie mit den Fortsetzungsgeschichten des Fernsehens befasst.
Etwas anders verhielt es sich mit den Medien- beziehungsweise Fernsehseiten der Tageszeitungen, aber auch bei den dort verantwortlichen Redakteuren herrschten Vorbehalte – entsprechende Themenvorschläge stießen häufig auf herablassende, oft genug belustigte Ablehnung.
Im Rahmen der institutionalisierten Kritik war diese Abneigung besonders spürbar. 1995 bewegte sich die ARD mit ihrer Vorabendserie „Die Partner“ mal ganz auf der Höhe der Zeit: gestische, reportageartige Kamera wie bei „N.Y.P.D. Blue“, tolle Filmmusik von Barbara Dennerlein, Ironie, ambivalente Figuren und offene Erzählverläufe, passgenau besetzt mit Ann-Kathrin Kramer, Jan Josef Liefers, Ulrich Noethen und Heinrich Gieskes sowie sorgfältig ausgewählten Gaststars. Gründe genug, die Produktion für einen Grimme-Preis zumindest in Betracht zu ziehen. Doch in der zuständigen Sichtungskommission klappten beim Bandstart augenblicklich alle Visiere nach unten. Was heute als Tugend gilt, wurde damals naserümpfend als wirr und unverständlich abgelehnt.

Vorher „nur“ Fernsehen

Umso bemerkenswerter der Umschwung, der vor etwa vier Jahren einsetzte. Mancher Versuch, die vordem verfemte Form zu nobilitieren, wirkte geradezu rührend: „‚The Wire‘ ist eben nichts völlig anderes als die Romane und Erzählungen, mit denen ich sonst meine Tage und Nächte verbringe“, verteidigte sich Richard Kämmerlings 2010 in der „F.A.Z.“ gegen potenzielle Vorbehalte. (…)

Weiter geht es in der aktuellen Ausgabe der „Funkkorrespondenz“, Heft 43-44, 24. Oktober 2014, S. 9-16.

Sachkenntnis, Selbstbewusstsein & Witze über Alec Baldwin

In der Nacht des 22. September wurden nicht nur in Deutschland Wahlergebnisse verkündet, sondern auch im Nokia Theatre in Los Angeles: Zum 65. Male vergab die US-amerikanische Academy of Television Arts & Sciences ihre Primetime Emmys. Wie immer wurde die Übertragung von Werbung unterbrochen und dauerte deshalb gute drei Stunden. Trotz dieser Länge und einiger dramaturgischer Schwächen wie den holprigen Gedenksegmenten für verstorbene Fernsehschaffende gelang dem Network CBS, neben ABC, NBC und Fox eines der vier federführenden Networks und in diesem Jahr turnusmäßig Ausrichter der Veranstaltung, eine insgesamt durchaus kurzweilige Sendung. Woraus sich fast zwangsläufig die Frage ergibt, warum die meisten US-amerikanischen Award Shows besser unterhalten als ihre deutschen Pendants.

Die erste Antwort der hierzulande Verantwortlichen wird lauten: Die Amerikaner haben mehr Geld, und sie haben mehr Glamour – immerhin saßen im Publikum beziehungsweise waren unter den Preisträgern Top Stars wie Al Pacino, Michael Douglas und Matt Damon, Maggie Smith und Helen Mirren waren nominiert, Sir Elton John trat als Musiker auf. Nur: Der Glamourfaktor allein garantiert noch kein Amüsement, und auch knapp budgetierte Award Shows wie die der Screen Actors Guild oder der Golden Globes, die in vergleichsweise kleinem Rahmen stattfinden und ohne große Show-Einlagen auskommen, machen meist großen Spaß.

Es liegt, wie bei allen TV-Produktionen, vor allem anderen an den Autoren und an den Conférenciers. Die diesjährige Emmy-Zeremonie moderierte und produzierte Neil Patrick Harris, als Schauspieler des komödiantischen Fachs bekannt aus der Sitcom „How I Met Your Mother”, aber auch ein erfahrener Theater- und Musical-Darsteller, der Gesang gleichwie Tanz beherrscht. Harris’ Ouvertüre machte deutlich, was US-Award Shows bereichert und deutschen so häufig fehlt: Er lässt sich in einen mit Monitoren jeder erdenklichen Bauart gespickten Kontrollraum der geheimen „Emmy-Zentrale” einschleusen und sichtet die nominierten Programme. Eine erschöpfende Aufgabe, bald schwirrt ihm der Kopf. Und er fragt sich, ob die Bildschirmgestalten ihn sehen und hören können, denn sie scheinen auf ihn zu reagieren. Es folgt ein Zusammenschnitt aus fiktionalen und Show-Programmen, die tatsächlich zu Dialogen zwischen Moderator und TV-Gesichtern, auch zu verbalem Austausch zwischen den Fernsehfiguren untereinander führen. Mit dabei sind unter anderem Howard Stern, Simon Cowell (der das Rollenmuster vorgab, dem auch Dieter Bohlen folgt) und am Rande Heidi Klum (die in den USA „Project Runway” moderiert und dafür in diesem Jahr einen Emmy erhielt).

Dieses Segment thematisierte auf schelmische Art die genaue Programmkenntnis und gewissenhafte Vorarbeit der Show-Autoren (für das Skript zeichneten Dave Boone, Ken Ehrlich und David Wild verantwortlich, mit zusätzlichem Material von Paul Greenberg, David Javerbaum und Jon Macks). Und eben diese Qualität kennzeichnete die gesamte Show. In Conférencen, zahlreichen Meta-Scherzen, Dankesreden, selbst in einer Tanznummer wurde den nominierten Produktionen Respekt gezollt. Eine Comedy-Nummer mit Kevin Spacey spielte auf dessen Part in der nominierten Serie „House of Cards” an; die Preisträgerin Julia Louis-Dreyfus setzte sich bei ihrer Dankesrede gemeinsam mit ihrem ebenfalls prämierten Serienkollegen Tony Hale gemäß ihrer Rolle als US-Vizepräsidentin in der Sitcom „Veep” in Szene und konnte darauf bauen, dass man die Referenz versteht.

Im deutschen Fernsehen hingegen darf man in der Regel schon froh sein, wenn ein Präsentator in die nominierten Sendungen zumindest mal reingeschaut hat und nicht, wie weiland Roger Willemsen beim Grimme Preis, die Schauspielerin Karoline Eichhorn als Lisa Eichhorn vorstellt.

Ein weiteres Moment hebt die US-amerikanische Herangehensweise von der deutschen ab: Selbstbewusstsein. Im Bereich der Fernsehpreise heißt das nicht allein Stolz auf das Schaffen des aktuellen Wertungsjahres, sondern auf die historischen Leistungen des Mediums generell. Da erscheint bei den Emmys die 84-jährige US-Fernsehlegende Bob Newhart als personifizierter Running Gag in verschiedenen Stadien der Show, da wird die 78-jährige Diahann Carroll in die Verleihzeremonie eingebunden und herausgehoben, dass sie als erste Schauspielerin afroamerikanischer Herkunft eine Emmy-Nominierung erhielt. Was sie gerührt und gesellschaftspolitisch ambitioniert, aber auch mit einem Witz über das veränderte Männerbild kommentiert. Ernsthafter dann ein von Don Cheadle moderierter Rückblick auf das Fernsehen vor 50 Jahren, als das noch junge Fernsehen innerhalb weniger Monate über den „March on Washington for Jobs and Freedom” mit Martin Luther Kings legendärer Rede, über die Ermordung John F. Kennedys und über die Ankunft der Beatles berichtete und damit seine Rolle als Informationsmedium festigte.

Bei solchen Beiträgen zu den Shows handelt es sich wohlgemerkt nicht (nur) um wohlige Nostalgie, vielmehr entstehen sie im Wissen um die Funktionen und die Bedeutung des Mediums. Auch der diesbezügliche Wandel wird nicht ausgeklammert – fürsorglich erklärte Neil Patrick Harris in seinem Eröffnungssolo den jüngeren Generationen, Fernsehen sei das, was sie immer auf ihren Telefonen anschauen.

Schließlich unterscheiden sich US- und deutsche Award Shows noch in einem weiteren, vielleicht dem wichtigsten Punkt: in der unbändigen Frechheit gegenüber den Anwesenden, dem satirischen Spiegel der Branche. Man blicke, so sinngemäß Neil Patrick Harris in seiner Einleitung, an diesem Abend auf ein Fernsehjahr zurück, das den Zuschauern Gelächter und Tränen beschert – und die Herrschaften unten in der ersten Reihe reich gemacht habe. Schnitt zur Großaufnahme von Alec Baldwin.

Harris’ Spott war noch vergleichsweise gemäßigt, der Brite Ricky Gervais, Erfinder von „The Office” (in Deutschland „Stromberg”), „Extras” und anderen Geniestreichen kennt diesbezüglich überhaupt kein Pardon. In Deutschland wäre seine Karriere nach einem der für ihn typischen Auftritte wohl rasch beendet. In den USA durfte er immerhin dreimal die Golden Globe Awards moderieren.

 

Leistungsvergleich – Ein Service für den Deutschen Fernsehpreis

Wenn in den USA Fernsehpreise für adaptierte Serien- oder Unterhaltungsformate vergeben werden, steht völlig außer Frage, dass auch der Original-Urheber genannt wird. Geht eine Auszeichnung an einen Schauspieler oder ein anderes Stabmitglied einer adaptierten Serie, dann richten die Geehrten nicht selten Dankesworte an den oder die Urheber. So beispielsweise geschehen bei „The Office“. In Deutschland aber hört man nur selten die Namen der beiden Fernsehschaffenden Ricky Gervais (Buch und Hauptrolle) und Stephen Merchant (Buch), wenn von „Stromberg“ die Rede ist. Tatsächlich wurde das Vorbild von ProSieben anfangs sogar komplett unterschlagen, bis die BBC von sich hören ließ und auf die unübersehbaren Übereinstimmungen hinwies.

Aktuell wiederholt sich der Kasus. Für einen deutschen Fernsehpreis wurde in der Kategorie „Beste Serie“ auch die RTL-Sitcom „Christine – perfekt war gestern“ nominiert. Die Web-Seite des Fernsehpreises verzeichnet als Headautoren Marko Lucht und Markus Barth. Nicht erwähnt wird Kari Lizer – die Formaturheberin und Autorin des US-Originals „The New Adventures of Old Christine“. RTL nennt das Vorbild korrekt in seinen Credits, beim Deutschen Fernsehpreis scheint man nicht in der Lage oder nicht willens, die wichtigste Figur im Bereich Urheberschaft zu ermitteln. Dies wäre indes angebracht, nicht nur, weil das Format übernommen wurde. Ein Vergleich der Auftaktfolgen beider Serien macht deutlich, dass die deutschen Autoren in hohem Maße von der Arbeit ihrer US-Kollegin profitierten:

The New Adventures of Old Christine“ (dt. Synchronfassung):

Nacht. Innen. Der Wecker zeigt 2.33 Uhr. Christine (Julia Louis-Dreyfus) wacht auf, greift zum Telefon: „Hi. Ich bin‘s. Nachricht an mich selbst. Ein paar Kleinigkeiten: Ritchie Kleingeld mitgeben für einen Snack, Milch besorgen, Wein besorgen, rausfinden, woher der Gestank im Wohnzimmer kommt (…).“

Christine – perfekt war gestern“:

Nacht. Innen. Der Wecker zeigt 2.33 Uhr. Christine (Diana Amft) greift zum Telefon. „Hallo Christine, hier ist Christine. Also du … also ich … weißt schon. Nachricht an mich selbst. Nicht vergessen: Milch kaufen, Wein kaufen, Tom dieses komische Hunde-Computerspiel kaufen (…).“ Sie legt auf, greift erneut zum Telefon: „Herausfinden, was im Wohnzimmer so komisch riecht.“

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The New Adventures of Old Christine“ (dt. Synchronfassung):

Tag. Innen. Christine, ihr Sohn Ritchie und ihr Bruder Matthew.

Christine: „Wir reden gerade über Ritchies neue Schule. Darüber, wie toll das wird. Wisst ihr, die haben eine brandneue Turnhalle. Und die bieten Musikworkshops an, haben ein Riesenphysiklabor …“

Matthew: … und eine fette Mauer, damit der Pöbel nicht reinkommt?“

Christine – perfekt war gestern“:

Tag. Innen. Christine, ihr Sohn Tom, ihr Bruder Max.

Christine zu Tom: „Überleg mal, was du da alles hast. Du hast da Schlagzeugunterricht und ein Schwimmbad um die Ecke …“

Max: „… eine riesige Mauer, um die armen Leute fernzuhalten …“

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The New Adventures of Old Christine“ (dt. Synchronfassung):

Tag. Innen. Ritchies neue Schule. Christine, Ritchie, weitere Schüler.

Christine lobt Interieur und Ausstattung. Ritchie: „Wo sind die schwarzen Kinder?“

Christine: „Schscht!“

Christine – perfekt war gestern“:

Tag. Innen. Max‘ neue Schule. Christine, Max, weitere Schüler.

Christine lobt Interieur und Ausstattung. Max: „Wo sind überhaupt die Türkenkinder?“

Christine: „Psst!“

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The New Adventures of Old Christine“ (dt. Synchronfassung):

Tag. Aussen. Christine ertappt ihren Ex-Mann Richard (Clark Gregg) beim Knutschen mit seiner neuen, deutlich jüngeren Freundin im Auto vor Ritchies neuer Schule.

Richard: „Christine – das ist Christine.“

Die neue Christine: „Hi, Christine. Ich weiß, derselbe Name. Sie können mich Chrissie nennen, dann ist es nicht so verwirrend.“

Die alte Christine: „Ja, danke. Aber ich glaube nicht, dass die Gefahr besteht, dass mich mein eigener Name verwirrt.“

Christine – perfekt war gestern“:

Tag. Aussen. Christine ertappt ihren Ex-Mann Stefan (Janek Rieke) beim Knutschen mit seiner neuen, deutlich jüngeren Freundin im Auto vor Max‘ neuer Schule.

Stefan: „Christine – das ist Christine.“

Die neue Christine: „Hi, Christine. Ich weiß, selber Name. Sie können mich Chrissie nennen, damit es nicht so verwirrend ist.“

Die alte Christine: „Danke. Das ist total nett. Aber ich glaube nicht, dass mein eigener Name mich verwirrt.“

Die Aufzählung verwandter und identischer Szenen ließe sich fortsetzen. In Zusammenhang mit der Vergabe eines Fernsehpreises stellt sich natürlich auch die Frage der Fairness. Ist es nicht die größere Leistung, ein komplett neues Serienformat zu entwickeln und mit dem nötigen Personal auszustatten, als auf vorhandene Entwürfe zurückzugreifen und bei der Übersetzung ein paar Anpassungen an deutsche Verhältnisse vorzunehmen?

Das gleiche Probleme stellt sich nebenbei auf dem Gebiet der Unterhaltung. Inhaltliche Aspekte mal beiseite gelassen, war die Nominierung von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ für einen Grimme-Preis schon allein deshalb fragwürdig, weil die Mehrzahl der nennenswerten Leistungen von den britischen Urhebern erbracht werden. Ausgenommen die deutschen Moderationsskripte, die Moderationsleistung und die Wahl der Kandidaten. Bei nur drei von RTL verantworteten Gewerken scheint es aber wenig legitim, die Gesamtproduktion zu ehren, da es die Statuten des Grimme-Preises nicht zulassen, die ausländischen Mitwirkenden, mithin die eigentlichen Urheber, zu prämieren. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass beim Grimme-Preis Produktionen unberücksichtigt blieben, die von der Idee bis zur Ausführung in Deutschland hergestellt wurden.

Schön wäre es, wenn sich zumindest beim Deutschen Fernsehpreis das Leistungsprinzip durchsetzen würde.

Formatfernsehen und Fernsehen mit Format

Alle Jahre wieder berichtet die Nachrichtenagentur dpa – selbstverständlich – über die Bekanntgabe der Nominierungen für den „Grimme Preis“ des Deutschen Volkshochschulverbandes. Und noch immer kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man bei dpa das spezielle Prozedere dieses Preises, das ihn von allen anderen Fernsehpreisen unterscheidet, nicht so recht nachvollziehen kann. Anlass für die Vermutung geben Formulierungen, die sich identisch in verschiedenen Zeitungen finden und demnach mutmaßlich auf die dpa zurückgehen.Ein Beispiel: „Im Rennen sind auch altbewährte Formate wie die ARD-Krimireihen ‚Tatort‘ und ‚Polizeiruf 110‘ sowie die Comedyserien ‚Stromberg‘ (ProSieben) oder ‚Pastewka‘ (Sat.1).“

Die Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ sind eben gerade nicht als „Formate“ im Rennen, schon allein, weil man bei derart disparaten Reihen gar nicht von einem Format sprechen kann. Es sind vielmehr genau benannte Beiträge mit ebenfalls genau benannten besonderen Qualitäten nominiert worden. Man kann diese Unterschiede dem fachfremden Lesepublikum durchaus verdeutlichen, ohne gleich in sprachliches Wirrwarr zu verfallen. Siehe zum Beispiel hier oder auch hier.

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Versäumnis

Hans Hoff zufolge wäre es „noch schöner und mutiger“ gewesen, wenn die jüngst bekannt gegebenen Nominierungen für den Grimme-Preis „auch die großartigste Folge der aktuellen Pastewka-Staffel mit einschließen würde(n). In der treffen sich nämlich Engelke und Pastewka bei der Grimme-Preisverleihung und bleiben im Aufzug stecken, was unerhört lustige Folgen hat und beide zur Höchstleistung auflaufen lässt.“

Wenn ihm so viel daran liegt – warum hat er besagte Produktion dann nicht vorgeschlagen? Die zuständige Kommission hätte sie  sicher gern in Augenschein genommen, ist aber auf entsprechende Vorschläge von Zuschauern, Sendern und Produzenten angewiesen. Hoff sollte wissen, wie es geht – er war selbst schon einige Male in den Marler Grimme-Gremien tätig.