Der Korrektor: Die „neuen” Serien

Fernsehserien sind in Feuilleton und Wissenschaft zum Modethema geworden. Beim medienwissenschaftlichen Blick zurück auf Veröffentlichungen zum Thema aus den letzten zwanzig Jahren stößt man unweigerlich auf eine Fülle an Irrtümern, Missverständnissen, Fehlinterpretationen. Aus der eigenen publizistischen Praxis darf berichtet werden, dass manche Redaktionen sogar an falschen Aussagen festhalten, obwohl sie es besser wissen. Ein Beispiel ist die Behauptung, das Remake von „House of Cards“ sei die erste Eigenproduktion von Netflix gegeben. Tatsächlich hatte Netflix die Rechte an der Produktion angekauft, und das zunächst auch nur für den US-amerikanischen Markt. Leicht erkennbar daran, dass „House of Cards“ außerhalb der USA bei anderen Anbietern Premiere feierte. Die Logik dahinter: Netflix würde niemals die Erstauswertung einer derart teuren und prestigeträchtigen Produktion den Mitbewerbern überlassen.

Manche dieser Falschinformationen sind bereits fest verankert in der öffentlichen Meinung. Korrekturen sind angebracht, auch wenn sie vermutlich in der Weite des Webs versickern, ergo unbeachtet bleiben werden.

Exemplarisch für die Herangehensweise an das Sujet ist ein Text aus der „tageszeitung“ aus dem Jahr 2013, verfasst von Ines Kappert, die laut beigefügter Biografie in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft promovierte und die neben Feminismus, Männlichkeitsentwürfen, Syrien, Geflüchteten auch TV-Serien als Themenschwerpunkt angibt.

Der Text ist überschrieben mit »Immer schön unberechenbar bleiben«. Bereits die taz-typisch verwirrende Unterzeile »Früher galten sie als Trash, nun werden sie gefeiert: neue Qualitätsserien.« lässt stutzen. Die »neuen Qualitätsserien« können doch früher gar nicht als »Trash« gegolten haben, denn wenn es sie damals schon gegeben hätte, wären sie nicht »neu«.

Es erhebt sich zudem die Frage, bei wem Fernsehserien als »Trash« galten, und wann das gewesen sein soll. Wird hier womöglich eine Zonengrenze gezogen zwischen elitären Milieus und kulturell minderbemitteltem Pöbel? Bei manchen Fundstücken kommt schon mal der Eindruck auf, dass bildungsbürgerlicher Hochmut die Feder führte.

Gelernte Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie auch erfahrene Medienjournalisten und viele fernseherfahrene Zuschauer wissen, dass es ehedem schon vom Publikum angenommene hochwertige TV-Serien gab, desgleichen einen seit circa 1970 zügig voranschreitenden wissenschaftlichen Diskurs zu diesem Thema.

DANN HAT ES BOOM GEMACHT

Zitat:»Es war ein langer Weg von den ›Waltons‹, den ›Hesselbachs‹, der ›Schwarzwaldklinik‹, von ›Dallas‹ und ›Dynasty‹ zu ›Homeland‹, ›Kommissarin Lund‹, ›Breaking Bad‹ oder ›Borgen‹. Aber seit rund zehn Jahren ist sie da, die neue Fernsehunterhaltung, und sie boomt weltweit. Auf einmal ist das Fernsehen wieder zu einem interessanten Medium geworden, zumindest für die NutzerInnen von Computern oder DVD-Playern.«

Zaghaft sei’s gefragt: Kam denn diese »neue Fernsehunterhaltung« wie eine Epiphanie über uns? Fiel sie vom Himmel, wurde sie uns von den Göttern gesandt? Jedoch offenbar nur den »NutzerInnen von Computern oder DVD-Playern«.

Folglich ist das Fernsehen für Lineargucker weiterhin uninteressant geblieben. In diesem Publikumssegment also »boomt« es demnach nicht. Im Schnitt zehn Millionen Zuschauer beim „Tatort“ schlagen nicht zu Buche. Die vier bis fünf Millionen, die regelmäßig dienstags die Serien im Ersten einschalten, kann man ignorieren.

Warum eigentlich beschränkten die Götter ihre Wohltaten auf dänische und US-amerikanische Serien? Gab es denn gar nichts in Großbritannien, Frankreich, Benelux, Österreich, Polen, Tschechei? Australien, Asien, Afrika? Waren „The Prisoner“, „Widows“, „The Singing Detective“, das Original von „House of Cards“, „Capital City“, „State of Play“ ohne Bedeutung?

Die Produzenten von „24“ sahen das anders und holten sich Rat von Lynda La Plante, der britischen Autorin von Qualitätsserien wie „Widows“, „Prime Suspect“ und „Trial & Retribution“, deren Stil in „24“ anklingt.

ZAHLENSPIELE

»Boom« ist ein relativer Begriff, was folgende Zahlen belegen. „Breaking Bad“ begann in den USA mit durchschnittlich 1,23 Millionen Zuschauer, steigerte sich mühsam, blieb aber noch in den Staffeln 4 und 5a unter drei Millionen Zuschauern. Erst einige Folgen, nicht alle, der sechsten Staffel erreichten die Sechs-Millionen-Marke.

„Mad Men“ fand im besten Fall 3,29 Millionen Zuschauer, der Durchschnitt lag deutlich darunter.

Demgegenüber haben wir klassisch strukturierte episodische Serien wie „The Mentalist“ – sie startete mit 14,9 Millionen Zuschauern, erreichte mit der sechsten Staffel rund neun Millionen Zuschauer. Der Pilot von „Person of Interest“ wurde von 13,33 Millionen Menschen eingeschaltet. Ende der ersten Staffel gesellten sich noch ein paar dazu, in der Summe waren es 13,47 Millionen. In der fünften Staffel wendete sich das Publikum ab, aber mit 6,51 Millionen Zuschauer beim Finale liegt die Serie immer noch besser im Rennen als „Breaking Bad“ und „Mad Men“.

„Navy CIS“ begann mit 11,84 Millionen Zuschauern, erreichte in der Spitze 21,34 Millionen und erzielt auch in der 19. Staffel (!) im Schnitt über zehn Millionen Zuschauer pro Folge.

AKADEMISCHE ERKENNTNIS: FAMILIE FISHER UNTERSCHEIDET SICH VON FAMILIE HESSELBACH

Zitat:»Die Blaupause für den massiven Qualitätsschub im Fernsehen lieferten die HBO-Produktionen ›Sopranos‹ (1999-2007), ›Six Feet Under – Gestorben wird immer‹ (2001-2005) und ›The Wire‹ (2002-2008). Diese drei US-Serien nutzten das Format der Fortsetzungsgeschichte auf eine bis dahin ungekannte Weise.

Um die Differenz plastisch zu machen, hilft ein Vergleich mit ›Dallas‹ (CBS 1978-1991). (…) Zwar altern die Hauptfiguren, aber sie lernen genauso wie alle anderen überhaupt nichts dazu. Und auch das Setting um sie herum verändert sich nur unwesentlich. Das gleiche gilt für Vorgänger wie die ›Hesselbachs‹ (1960-1967) oder ›The Waltons‹ (CBS 1971-1981).«

Wenn eine kleine Berichtigung erlaubt ist: Eine Serie mit dem Titel „Hesselbachs“ gibt es nicht. Im deutschen Fernsehen liefen „Die Firma Hesselbach“ und „Die Familie Hesselbach“, die Fortsetzung trug den Titel „Herr Hesselbach und …“. Und der gewählte Vergleich hilft eher wenig. Erinnert sei daran, dass sich beispielsweise bei „Six Feet Under“ das Setting ebenfalls »nur unwesentlich« änderte. Und der Lerneffekt ist trotz des Altersunterschieds der Produktionen bei den Figuren von „Six Feet Under“ und den Serien um die Familie Hesselbach so unterschiedlich nicht. Beispiel: In der dritten Staffel wird Karl Hesselbach in den Stadtrat gewählt, dort lernt er und mit ihm die Zuschauerschaft eine ganze Menge über Lokalpolitik.

Es ist auch nicht ganz ohne Bedeutung, dass die Episoden der deutschen Serie monatlich ausgestrahlt wurden, also einer ganz anderen Dramaturgie unterlagen als Titel mit wöchentlichem Turnus.

EINE FRAGE DER WAHRNEHMUNG

Zitat: In den»neuen Serien«geht es»(…) vor allem um ein Nachvollziehen der Veränderung und des differenzierten Wahrnehmens und Erlebens einer Situation durch sämtliche Beteiligte.«

War nach diesen Maßstäben nicht schon „Peyton Place“ im Jahr 1964 eine »neue Serie«? Wie verhält es sich mit der britischen „Coronation Street“? Mit „M*A*S*H“, „St. Elsewhere“, „Ausgerechnet Alaska“, „Party of Five“, Anwaltsserien wie „L.A. Law“ und „I’ll Fly Away“?

EIN FALL FÜR DIE NOTAUFNAHME

»(…) der Streit um die richtige Sichtweise findet auch im Inneren der Hauptfiguren statt.«

Da kommt Sorge auf. Hoffentlich tragen die Hauptfiguren keine schwerwiegenden inneren Verletzungen davon, wenn die streitenden Parteien derart wüten.

INNOVATION: SERIENFOLGEN DAUERN JETZT 50 MINUTEN

Zitat:»In der Regel dauert bei den neuen Serien eine Episode fünfzig Minuten und es gibt zehn bis zwölf Episoden pro Staffel. ›The Wire‹ brachte es auf ganze fünf Staffeln, die Agenten-Thriller-Serie ›Homeland‹ ist bislang bei der dritten angelangt und noch ist kein Ende in Sicht.«

Ob es die Autorin wohl überrascht, dass eine fünfzigminütige Laufzeit als Norm gilt bei Produktionen, die für die Ausstrahlung in werbefinanzierten Sendern vorgesehen sind? Inklusive Werbung passen sie dann in das übliche Stunden-Schema. Wenn die Zahl der Staffeln als Rekorde vermeldet werden sollen, so fällt das Erreichte im Vergleich eher dürftig aus. „Law and Order“ bringt es auf 21 Staffeln, „Grey’s Anatomy“ geht ebenfalls in die 21. Runde, „Emergency Room“ endete nach der 15. Staffel. „Coronation Street“ läuft seit 1960 im britischen Fernsehen.

KAM DIE ERLEUCHTUNG WIRKLICH ERST SO SPÄT?

Zitat: »›Borgen‹ leuchtet ähnlich wie ›The Wire‹ und auch ›Homeland‹ das Zusammenspiel von Politik, Presse und Familie aus (…).«

In dem Punkt darf man behutsam ergänzen: „Borgen“ war kein Novum. Die dänische Serie hatte einen unmittelbaren Vorläufer in der niederländischen Produktion „Mevrouw Minister“, die auf Festivals und Fernsehmärkten gezeigt wurde und den dänischen Redakteuren kaum entgangen sein dürfte. Politische Themen in engerem Sinne verhandelten viele andere Serien, darunter „Tanner ʼ88“ (1988; Gewinner der goldenen Medaille in der Kategorie Best Television Series beim Cannes Television Festival) von Garry Trudeau und Robert Altman, „The West Wing“ (1999-2006), „State of Play“ (2003), „Commander in Chief“ (2005-2006) mit Geena Davis in der Rolle der ersten weiblichen Präsidentin der USA und nicht zuletzt „That’s My Bush!“ (2001) vom „South Park“-Team Trey Parker und Matt Stone. Im weiteren Sinne gehören auch die britischen Polit-Sitcoms „Yes, Minister“/„Yes, Primeminister“ (produziert 1979, gesendet 1980-1988, neu aufgelegt 2013) und „The Thick of It“ (2005, 2007 und 2012) in diesen Zusammenhang. Keinesfalls ausblenden darf man das britische Original von „House of Cards“ (1990) und dessen Folgeserien „To Play the King“ (1993) und „The Final Cut“ (1995), die zusammen eine zwölfteilige Trilogie ergeben.

TELEGENE ÜBERBEVÖLKERUNG

Zitat: »Im Laufe einer Serie bekommen es die ZuschauerInnen mit einer ganzen Heerschar von Charakteren zu tun.«

Die obige Beobachtung scheint nicht vollends durchdacht, denn sie gilt für nahezu jede Daytime- und Evening-Soap. Zum Beispiel für „Dallas“ und „Dynasty“, die ja oben auf einen Streich diskrediert wurden. Die bereits erwähnte britische Serie „Coronation Street“ erzählt seit 1960 von den Schicksalen der Bewohner einer ganzen Straße. Da kommt einiges an Personal zusammen.

BEFREIUNG AUS DEN KLAUEN DES PROGRAMMSCHEMAS

Zitat:»Möglich ist diese Komplexität nur aufgrund der DVD beziehungsweise der Streams auf bestimmten Webseiten. Die neuen Speichermedien und der Serienboom gehören zusammen. (…) Der Einzelne muss sich nicht mehr nach Sendeterminen richten, sondern kann die Serie sehen, wann immer es ihm passt.«

Jetzt verwundert aber, dass alle als Positivbeispiele aufgezählten Serie ihre Premieren im linearen Fernsehen hatten. „Die Sopranos“ starteten 1999, da war der Serienkonsum via World Wide Web noch nicht sehr weit gediehen. Zum Vergleich: Youtube wurde erst 2005 gegründet.

Hingegen erlaubte schon die Videokassette, eine Serie zu sehen, wann immer es dem Zuschauer passte. Was, wie die Älteren unter uns wissen, auch genau so praktiziert wurde.

Zitat: »Aber was ist mit der Ästhetik, was passiert auf der visuellen Ebene? Auch hier haben die neuen Serien dazugelernt, und zwar vor allem vom Kino. Die herkömmliche TV-Serie wird im Studio gedreht. Billiger ist Fernsehen nicht zu haben: Kein Wechsel der Drehorte und womöglich unpassendes Wetter bringen den Spielplan durcheinander (…). (…) Stattdessen sorgen eine überschaubare Anzahl von SchauspielerInnen mit schnellen pointenreichen Dialogen auf dem immergleichen Sofa oder am immergleichen Küchentisch für Unterhaltung.«

Schon grammatisch eine seltsame Aussage. Serien sind abstrakte Dinge, die können nichts dazulernen.

Wurden denn die »schnellen pointenreichen Dialoge« im Zeitalter der »neuen Serien« abgeschafft? Es gab Zeiten, da wurde genau diese Qualität seitens der Kritik gefordert. Man kann es den Leuten aber auch nicht recht machen …

Es wird das Selbstbewusstsein der Autorin hoffentlich nicht über die Maßen erschüttern, wenn sie erfährt, dass schon Episoden der deutschen Serie „Ihre Nachbarn heute Abend – die Familie Schölermann“ an Originalschauplätzen, zum Beispiel auf einem Passagierschiff, gedreht wurden. Auch die Hesselbachs gingen gelegentlich vor die Tür. Die Vorabendserie „Goldene Zeiten – Bittere Zeiten“ entstand in Baden-Baden, Paris, Wien, Marseille, Prag, „Sergeant Berry“ auf Mallorca. Für „Diamanten sind gefährlich“ und „Diamantendetektiv Dick Donald“ reisten die Hauptdarsteller nach Südafrika, für „Die Journalistin“ unter anderem an den Nürburgring, nach Amsterdam und nach Italien. Eine Episode spielt auf hoher See. Das ZDF ließ sich nicht lumpen und die Vorabendserie „I.O.B. – Spezialauftrag“ in Finnland, Belgien, Spanien drehen. Die ARD schickte die Heldinnen von „Okay S.I.R.“ buchstäblich in die Wüste, nach Rabat und Marrakesch, nach Marseille, Rom, Wien, Budapest, St. Mortiz. Zwar herausgepickt, aber keine Sonderfälle. Die Liste ließe sich fortsetzen.

EIN PAAR SHOTS ZUR ORIENTIERUNG

Zitat: »Die vernachlässigte Außenwelt wird nur über ›Orientierungsshots‹ eingeblendet – das Panorama von New York, die Ranch, die Lindenstraße. Alle diese Elemente finden sich auch in den neuen Qualitätsserien. Sie werden nun aber flankiert von cineastischen Elementen: So gibt es Außendrehs und auch aufwendigere Kamerafahrten.«

Nur ungern raubt man den jungen Leuten ihre Illusionen, aber Innendrehs sind eher die Regel als die Ausnahme. Seit je werden Kinofilme nach Möglichkeit im Studio gedreht. Das sind oder waren diese großen Gebäude auf den Geländen von Paramount, MGM, Warner Brothers, Babelsberg, Bavaria, Elstree, Pinewood mit der berühmten 007-Stage … Der Stab des Klassikers „Casablanca“ war nie in Casablanca, jedenfalls nicht im Rahmen der Dreharbeiten. Selbst der Flughafen wurde im Atelier nachgebaut. Alfred Hitchcock zog stets Dreharbeiten im Studio denen unter freiem Himmel vor. Er hat trotzdem ein paar anständige Filme zustande gebracht.

Auch er nutzte »Orientierungsshots“, in der Fachsprache Establishing Shots und schrieb dazu: »Washington ist ein Blick auf das Kapitol, New York ein Wolkenkratzer. Die Verwendung einer unbekannten Ansicht würde das Publikum verwirren …«

Establishing Shots gehören schlicht zur allgemeinen Filmsprache. Sie entstammen den eigenen Archiven oder werden von Agenturen bezogen.

WO WAREN DIE GUTEN SCHAUSPIELER ALL DIE JAHRE?

Zitat: »Im Post-TV hat das Fernsehen die Schauspielkunst wieder entdeckt. In fast allen neuen Serien finden sich außergewöhnliche DarstellerInnen, und zwar in Haupt- und Nebenrollen.«

Dann müssen wir davon ausgehen, dass Schauspieler und Schauspielerinnen wie Steve McQueen, Clint Eastwood, John Cassavetes, Richard Roundtree, Mia Farrow, Ryan O’Neal, Fred Astaire, Nick Nolte, David Niven, Charles Boyer, James Earl Jones, Alfre Woodard, Sally Field, George Clooney, Burt Lancaster, Robert Mitchum, Meryl Streep, Geena Davis, André Braugher, Edie Falco, Isabella Hofmann, Denzel Washington, Ned Beatty, Glenn Close, Sir Ian McKellen, Anthony Hopkins, Al Pacino wohl zu den minderbegabten Knallchargen zählen. Sie alle und viele weitere renommierte und preisgekrönte Kolleginnen und Kollegen sah man in dem, was die Autorin wohl als „Prä-TV“ bezeichnen würde.

Aber Filmauftritte sind eine völlig unnötige Reverenz. „St. Elsewhere“, „Hill Street Blues“, „Emergency Room“, „Homicide – Life on the Street“, „American Gothic“, „Profit“, „The Shield“ – lang ist die Liste der Serientitel, in denen man extraordinäre Leistungen von Schauspielerinnen und Schauspielern bewundern kann, die primär im Fernsehen gearbeitet haben und in ihrem Metier höchste Anerkennung genießen.

Kosmische Kapriolen

Es heißt Abschied nehmen von Jodie Whittaker als Kommandantin der TARDIS. Im Jubiläumsjahr 2023, die Serie startete am 23. November 1963, gibt es gleich zwei Wandlungen des Doctors. Einen Rückfall, eine neue Inkarnation in Gestalt des in Ruanda geborenen Schauspielers Ncuti Gatwa. Aber bis dahin ist noch ein wenig Zeit, die sich mit einigen Specials voller kosmischer Kapriolen und der 13. Staffel vortrefflich überbrücken lässt. Der Zyklus startet heute auf One. Mehr dazu hier: https://www.epd-film.de/tipps/2022/ard-mediathek-doctor-who-staffel-13

Serien der Sonderklasse

Wenn man über Politserien spricht, darf der Name Hugo Blick nicht fehlen.

Es kann vorkommen, dass das Schauen einer TV-Serie des Briten Hugo Blick einem den Atem raubt. Verursacht vielleicht ob der frappanten Qualität der Drehbücher. Der eleganten Dialoge. Der unerhört präzisen, durchdachten Inszenierung. Am wahrscheinlichsten aber weil Hugo Blick, der seine Karriere als Schauspieler begann, die Vorschriften handelsüblicher Lehrwerke über das Drehbuchschreiben gern gründlich missachtet.

Lesen Sie bitte weiter unter https://www.epd-film.de/tipps/2022/hugo-blick-duester-und-gewagt

Gräber schweigen nicht für ewig

Wer britische Serien wie „Line of Duty” mag, sollte bei „Bloodlands – Die Goliath-Morde” einen Blick riskieren. Die BBC-Produktion startet am heutigen 17.4.2022 um 22 Uhr im ZDF und ist anschließend in der Mediathek zu sehen. Sie spielt in Irland und thematisiert gewisse Nachwirkungen des Bürgerkriegs. In manchen Köpfen sind die alten Fronten noch präsent. Mehr dazu hier: https://www.epd-film.de/tipps/2022/mediathek-bloodlands

Adaptionen, Ambitionen, Kreationen

Formatverkäufe gehören in der Fernsehbranche zum Geschäft. Shows und Serien werden adaptiert oder, vor allem seit Aufkommen der Streaming-Dienste eine verstärkt ausgeübte Praxis, die Rechte an eingestellten Produktionen angekauft und beispielsweise Serien fortgeführt. Netflix beispielsweise griff auf „Arrested Development” ebenso zurück wie auf gut eingeführte Titel wie „The Killing”, „Longmire”, „Black Mirror”, „You – Du wirst mich lieben” oder gab Ableger bekannter Serien in Auftrag wie „Fuller House”, „Degrassi: Die nächste Klasse“, in Spielfilmform „Ferry” als Prequel zu der von öffentlich-rechtlichen Sendern entwickelten belgisch-deutschen Kultserie „Undercover”.

Besonders erfolgreich im Formatverkauf ist das kleine Land Israel. „Be Tipul” wurde in vielen Ländern adaptiert, gegenwärtig läuft die französische Version unter dem Titel „In Therapie” bei Arte, wo auch schon das israelische Vorbild zu sehen war. Auch „Hatufim – In der Hand des Feindes” wurde bei Arte ausgestrahlt. Die bekanntere US-Version trug den Titel „Homeland”. Vergleiche waren also möglich, weshalb verwundert, dass im aktuellen „Jahrbuch Fernsehen” geschrieben steht: „Die Serien der israelischen Mega-Produktionsfirma Keshet, auf die einige der US-Thriller-Erfolge wie ‚Homeland‘ basieren [sic!], haben das Erzähltempo seit den 90er Jahren stark erhöht.” Gerade „Hatufim” betont im Vergleich zur aktionsreicheren US-Version den dramatischen Gehalt der Geschichte, geht in die Tiefe statt von einer Einstellung zur nächsten zu hasten. Nebenbei: Der besagte Text widmet sich laut Untertitel „den neuen Erzählformen der boomenden Streaming-Plattformen”. Die meisten Beispiele aber stammen aus dem herkömmlichen linearen Fernsehen. Zum Beispiel wird „Fleabag” prominent hervorgehoben, eine Serie der öffentlich-rechtlichen BBC.

Eine deutsche Formatadaption hat am heutigen 9. April 2022 im Ersten Premiere in linearer Form. „Euer Ehren” basiert wiederum auf einem israelischen Format. Die Autoren David Nawrath und David Marian halten sich recht eng an die Vorlage „Kvodo” (2017), von der es bereits US-amerikanische, französische, russische, indische Versionen gibt. Nawrath führte auch Regie und übernahm einige Einstellungen der israelischen Kollegen Ron Ninio. Siehe unten.

„Euer Ehren” weist einige eigenständige Zutaten auf, die deutschen Bearbeiter gehen aber nicht so weit wie Peter Moffat, der die US-Version „Your Honor” verantwortete und sich in vielen Punkten von der Vorlage löste. In Deutschland gelten dem Original folgende Übertragungen bereits als anerkennenswerte kreative Leistung. „Stromberg” erhielt einen Grimme Preis, als der Autor Ralf Husmann noch öffentlich behauptete, die Serie sei keine Adaption des britischen Formats „The Office”. Der auftraggebende Sender ProSieben zahlte später entsprechende Tantiemen an die BBC.

Der Vox-Serie „Club der roten Bänder” wurde ein Grimme Preis für die Drehbücher zugesprochen, die nahezu Übersetzungen der katalanischen Originale waren. Deren Autor Albert Espinosa war sogar zeitweise bei den Dreharbeiten in Köln zugegen. Dennoch wurde sein Name in der Begründung für die Auszeichnung nicht genannt. Dies blieb den beiden Preisträgern Arne Nolting und Jan Martin Scharf überlassen, die hochanständig im Rahmen der Verleihung darauf hinwiesen, dass Espinosa ihnen die Vorlagen für ihre Skripte geliefert hatten. Die Grimme-Nominierungskommission übrigens hatte auf einen Vergleich von Original und Adaption verzichtet, obwohl die Statuten eben dies verlangten.

Streaming-Hits unter der Lupe

Die Berichterstattung über Serienproduktionen in der Streaming-Sparte gerät bisweilen ein wenig disproportional. Man liest zum Beispiel bei kino.de: „Netflix fährt in den letzten Monaten einen Streaming-Rekord nach dem anderen ein. Mit der französischen Serie ‚Lupin‘ ist Netflix jetzt der nächste große Hit gelungen, der sogar die Kostümserie ‚Bridgerton‘ überholt hat.”

Klingt toll, aber ziehen wir mal ein paar Zahlen heran. „Lupin” erzielte laut Netflix in 2021 70 Millionen Abrufe. Und zwar global, also in über 190 Ländern.

Die Arte-Serie „In thérapie” (die zweite Staffel startet demnächst bei Arte Deutschland) wurde 35 Millionen Mal geklickt. Das aber ist in Relation zu setzen, denn die Zahl gilt nur für Frankreich.

Übertrumpft wird sie von der britischen Krimiserie „Line of Duty”. Allein die sechste Staffel, die in Deutschland noch nicht zu sehen war, fand bei der linearen Ausstrahlung 15,24 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Alle Staffeln zusammen wurden beim BBCi-Player allein im Jahr 2021 137 Millionen Mal gestreamt.

Weitere Abrufzahlen aus 2021, jeweils nur britisches Inland (!):

Silent Witness” – 62,3 Millionen.

Doctor Who” – 41,8 Millionen

Death in Paradise” – 39,7 Millionen.

Da könnte man doch eigentlich auch mal einen Beitrag erwarten mit dem Tenor: „Die britische BBC fährt in den letzten Monaten einen Streaming-Rekord nach dem anderen ein.”

Aber die deutschen Medienjournalisten können scheinbar den Blick von Netflix einfach nicht abwenden.

Soigniert in Whitehall statt schmierig in Washington

Ab 12. Februar gibt es in der Arte-Mediathek die von Andrew Davies verfasste britische Erstverfilmung von „House of Cards“ aus dem Jahr 1990. Der Entstehungszeit entsprechend gediegener erzählt als heutige Serien. Wogegen nichts spricht, wenn die Charaktere spannend gestaltet sind.

Bei der Neuverfilmung beging das Team den Fehler, Frank Underwoods wahren Charakter gleich in der ersten Sequenz zu enthüllen. Schon ab diesem Moment traut ihm jede Schandtat zu, das nahm der Serie einiges an Reiz. Bei Underwoods britischem Vorgänger Francis Urquhart durfte man sich seinerzeit noch überraschen lassen. Und zwar gewaltig.

Der US-Version wurde gelegentlich nachgesagt, der Hauptautor Beau Willimon habe hier Donald Trump vorweggenommen. Jedoch ist Frank Underwood ein kühl kalkulierender Stratege. Trump hingegen agiert häufig emotional und irrational, lässt sich vom Mediengeschehen und wohl auch von (falschen) Beratern leiten. Genau betrachtet, spielte die Neuauflage Trump sogar in die Hände. Die Serie zeigt Washingtons Politlandschaft vom Weißen Haus bis zur Presse als durch und durch korrupt. Trump machte Wahlkampf mit der Aussage, den „Sumpf“ an Korruption in Washington trockenlegen zu wollen. Wer wollte, konnte „House of Cards“ (US) in diesem Sinne auffassen.

In Deutschland wurde die britische Serie, die zunächst als Vierteiler begann und 1993 fortgesetzt wurde, unter dem Titel „Ein Kartenhaus“ vom Ersten ausgestrahlt, wo man je zwei der 45-minütigen Folgen zusammenfasste und die so entstandenen beiden Filme auf zwei Abende verteilte. Andrew Davies übrigens ließ reale Politikernamen einfließen. Seine Serie beginnt mit der Abdankung Margaret Thatchers.

Wer kann, sollte die BBC-Verfilmung von „House of Cards“ in der englischen Tonfassung schauen. Denn niemand, schon gar nicht der Langweiler Kevin Spacey, spricht die legendären Worte „You might very well think that; I couldn’t possibly comment“ so kultiviert und durchtrieben wie der soignierte Sir Ian Richardson.

Highly recommended.

Hollywood gibt sich die Kugel

Am 3. Februar 2021 wurden die Nominierungen für die diesjährigen Golden Globe Awards veröffentlicht. Ausrichter des Preises ist die Hollywood Foreign Press Association. Schon seit 1956 prämieren die Organisatoren neben Kino- auch Fernsehschaffende. Es ist noch nicht allzu lange her, da wurden die Fernsehpreisträger in der deutschen Presse kaum oder gar nicht berücksichtigt. Die Berichterstattung hätte sich nicht vertragen mit der propagierten Mär, in Hollywood werde zwischen Kino und Fernsehen strikt getrennt. Eine Falschdarstellung, geboren aus einem Kultursnobismus, der das Kino höher einschätzt als das vermeintlich triviale Fernsehen. Dabei ist das Fernsehen dem Kino oftmals sogar voraus. In diesem Jahr ist Aaron Sorkins Kinofilm „The Trial of the Chicago 7“ unter anderem in der Kategorie Bestes Drama nominiert. Die britische BBC und der deutsche Bayerische Rundfunk brachten den Stoff in einer Koproduktion schon 1970 respektive 1971, also kurz nach dem realen Gerichtsprozess, auf die Bildschirme. Der deutsche Titel lautete „Verschwörung gegen die Ordnung“. Als Fernsehfilm mit dokumentarischen Anteilen setzte Jeremy Kagan 1987 die Ereignisse mit unter anderem Martin Sheen, Peter Boyle, Elliott Gould für HBO in Szene.

Wie alle Jahre, wird die Vorauswahl der Golden-Globe-Preisrichter kritisch kommentiert. Es gibt denn auch einige Eigenarten. In mehreren Kategorien nominiert ist die kanadisch-US-amerikanische Sitcom „Schitt’s Creek“, die 2020 in der sechsten Staffel ausgestrahlt wurde. Die Filmjournalisten sind recht spät dran. In ihrem Heimatland erhielt die Serie bereits 2016 stolze sechzehn Canadian Screen Awards. Offenbar wollte die Jury den letztjährigen Emmys nachfolgen, bei denen „Schitt’s Creek“ – ebenfalls mit arger Verzögerung – zu den Hauptgewinnern zählte.

Weitere bekannte Titel bei den diesjährigen Globes: „Killing Eve“, „The Crown“, „Ozark“, „Better Call Saul“, alle schon länger im Programm und teils schon mehrfach mit Preisen bedacht. Es ist den Juroren nicht entgangen, dass auch neue Serien angelaufen sind, aber das Bewährte hat immer seinen Platz. Immer wieder werden bemerkenswerte Leistungen ignoriert. Unberücksichtigt blieben in der Vergangenheit die Neuauflage von „Battlestar Galactica“, „Black Earth Rising“, „The 100“, „The Singing Detective“, um nur wenige zu nennen.

Zwar werden die Golden Globes stets als Vorboten der Academy Awards angesehen, man sollte sie aber nicht zu hoch bewerten. Die Hollywood Foreign Press Association ist keine Standesorganisation, sondern ein sehr kleiner und selbst innerhalb des Kollegiums schwer zugänglicher Kreis. Hier feiert, ähnlich wie beim deutschen Grimme Preis, ein bestimmtes Milieu den eigenen Geschmack. Es sind Vertreter eines Berufes, der von den Produzenten und Vermarktern der Filme und Serien intensiv umworben wird.

Neben Oscars, Emmys und Globes existieren noch andere Auszeichnungen, etwa die der Fachverbände wie der Screen Actors Guild oder der Directors Guild of America. Aus der akademischen Sphäre stammt der nach einem komplizierten mehrstufigen Auswahlverfahren vergebene Peabody Award. Es gibt den auf Umfragen basierenden Peoples Choice Award und speziell ausgerichtete Preise wie die Image Awards der National Association for the Advancement of Colored People.

Der Golden Globe ist nur einer von vielen.

Verbrecher jagen, wo andere Urlaub machen

ZDFneo-Serie "The Mallorca-Files"

Foto: obs/ZDFneo/Giacomo Neri

In internationaler Koproduktion entstand auf den Balearen eine unterhaltsame Krimiserie mit einem britisch-deutschen Ermittlerteam.

Wenn in diesen Tagen Menschen gefragt werden, was sie mit der Corona-bedingt gewonnenen Freizeit anfangen, lautet die Antwort nicht selten: Sie werden sich ein „gutes Buch“ vornehmen. Was die Frage aufwirft, wer all die schlechten Bücher kauft, die jährlich auf den Markt gelangen …

Zum „guten Buch“ gesellt sich die „gute Serie“, wenngleich die Marktforschung bekanntlich eine andere Sprache spricht. Manch hochgelobte Qualitätsserie findet erheblich weniger Zuschauer als viele Routineproduktionen. Selbst Netflix versorgt seine Abonnenten mit deutscher Serienware öffentlich-rechtlicher Herkunft und hat unter anderem „Hubert und Staller“, „Charité“, „Mord mit Aussicht“, „Dr. Klein“, „Türkisch für Anfänger“ im Programm.

The Mallorca Files“ ist schon mal keine jener Serien, mit der sich ein Prestigegewinn erzielen ließe. Aber sie garantiert fünfundvierzig unterhaltsame Minuten. Für die Produktion hat sich ZDFneo mit der britischen BBC und France TV zusammengetan, wobei das Konzept – nicht unerwartet – von den britischen Partnern, namentlich von dem Serienspezialisten Dan Sefton, beigesteuert wurde. Auf britischer Seite war die Serie von vornherein für das Nachmittagsprogramm bestimmt, was selbstredend allzu verstörende Inhalte ausschließt.

Hinterhalt am Flughafen

Die erste Szene etabliert hübsch anschaulich die spielerische Machart der Serie. Ein Mann und eine Frau auf dem Rücksitz einer Limousine. Er schaut gelangweilt aus dem Fenster in die mediterrane Umgebung, sie konzentriert in ihr E-Book. Als er die Hand hebt, erkennt man, dass die beiden mit Handschellen aneinander gefesselt sind. Miranda Blake (Ellen Rhys) soll den Kronzeugen Niall Taylor (Aidan McArdle) heim ins Königreich eskortieren. Am Flughafen lauern schon ein paar bedrohliche Sonnenbrillenträger, was der cleveren Blake nicht entgeht. Sie versucht den Strolchen zu entgehen, schleift Taylor förmlich hinter sich her. Die Verstärkung rückt an. Auch der zufällig anwesende deutsche Zivilpolizist Max Winter (Julian Looman) greift ein. Hilft aber alles nichts. Taylor wird vor ihren Augen erschossen. Immerhin kann Winter in letzter Sekunde Blakes Leben retten.

Sturkopf trifft Sonnyboy

Superintendent Abbey Palmer, die Chefin daheim (Tanya Moodie, 2019 auch ins Ensemble von „Star Wars: Episode IX – Der Aufstieg Skywalkers“ berufen), beordert Blake nach Hause. Die hält nichts von unaufgeräumten Zuständen, nimmt kurzerhand Urlaub und macht sich auf die Suche nach den Mördern. Von ihrem Urlaubsstatus verrät sie natürlich nichts, als sie sich bei der mallorquinischen Polizeichefin Inés Villegas (María Fernández Ache) um Unterstützung bemüht und Max Winter zugeteilt bekommt. Der war ursprünglich als Verbindungsbeamter, so etwas gibt es in der Realität, auf der spanischen Insel tätig und ist geblieben.

Der jedes Klischee deutscher Pflichtversessenheit aushebelnde charmante Sonnyboy pflegt einen unbekümmerten Lebensstil, derweil die britische Kollegin deutlich zur Verbissenheit neigt. Weshalb daheim schon niemand mehr mit ihr arbeiten möchte. Abbey Palmer ist dann auch ganz froh, dass sie die ungeliebte Mitarbeiterin an die Policia Nacional abgeben kann.

Denn Blake und Winter werden vorerst zehn Folgen lang Seite an Seite ermitteln. Eine weitere Staffel ist bereits in Arbeit. Der verantwortliche Produzent Dan Sefton hat sich laut eigener Aussage bei der Ausgestaltung der Hauptrollen am US-Serienklassiker „Das Modell und der Schnüffler“ orientiert, mit dem Bruce Willis zum Star wurde. Nicht das schlechteste Vorbild, wobei dessen postmoderne Ironisierung inklusive Durchbrechen der vierten Wand in „The Mallorca Files“ keinen Eingang gefunden hat. Auch hier aber sorgen wechselseitige Uzereien und Lästereien für hohen Unterhaltungswert. In der zweiten Folge treten Blake und Winter sogar sportlich gegeneinander an.

Der Groove stimmt

Die Kriminalfälle verlangen bisweilen ein wenig Toleranz in puncto Logik, werden aber mitsamt dem Drumherum ausgesprochen stilvoll präsentiert. Der Filmkomponist Charlie Mole – die Vokalparts übernahm die stimmgewaltige Soul-Jazz-Sängerin Anna Ross – unterlegt das Geschehen mit einem groovenden Funk-Jazz-Teppich mit Sechziger-Jahre-Flair und gelegentlichem Latin-Einschlag. Nicht das einzige Element in dieser Serie, das an die ebenfalls von der BBC stammende, höchst vergnügliche Gaunerserie „Hustle – Unehrlich währt am längsten“ erinnert. Anders als bei „Hustle“ – was viele Fans sehr bedauerten – gibt es den Soundtrack zu „The Mallorca Files“ auch zu kaufen.

Erwähnenswert noch, dass hier bis hin zum Hintergrundgeschehen sehr sorgfältig inszeniert wurde. Und natürlich wenden die Kameraleute die Objektive nicht ab, wenn Mallorcas Sehenswürdigkeiten oder seine sonnengetränkten Landschaften ins Bild gerückt werden können. „The Mallorca Files“ ist eine dieser nonchalant erzählten Serien, mit denen ZDFneo den Krimisendeplatz am Freitagabend bestückt. Entspannendes Feierabendfernsehen, das, vor allem in dieser handwerklichen Qualität, neben den gewichtigeren Produktionen auch seine Berechtigung hat.

The Mallorca Files“, ab Freitag, 17.4., 22:00 Uhr in Doppelfolgen, ZDFneo, und ab 10:00 Uhr in der ZDF-Mediathek.

Aus der Fantasiewelt in die Wirklichkeit

Szenenfoto.

Szenenfoto.

Szenen, die einem vertraut vorkommen: Die Einkaufszentren sind beinahe menschenleer, die Menschen tragen Atemschutzmasken, an jeder Fußgängerampel gibt es ein automatisches Desinfektionsgerät.

Justin Marks, der Schöpfer der Urban-Fantasy-Serie „Counterpart“, erwies sich aus heutiger Warte  als erstaunlich hellsichtig. Und als origineller Denker. „Counterpart“ spielt im zeitgenössischen Berlin, das,  wie überhaupt die ganze Erde, vor 30 Jahren in einer anderen Dimension eine Doppelgängerin bekommen hat. Der Kniff erinnert entfernt an China Miévilles Roman „Die Stadt und die Stadt“ (Bastei Lübbe), wobei Miéville seine Geschichte in einem osteuropäisch anmutenden Fantasiestaat ansiedelt.

In der Parallelwelt in „Counterpart“, die nur unter ähnlich schikanösen Umständen wie einst die DDR betreten werden kann, gab es in der Vergangenheit eine Viren-Pandemie, die einen Großteil der Bevölkerung umbrachte. Gewisse Kreise machen die erste Welt für die Seuche verantwortlich. Und planen eine Racheaktion …

Die intensiv wirkende Serie ist mit u. a. Oscar-Preisträger J. K. Simmons, Olivia Williams, Stephen Rea, Ulrich Thomsen, Nazanin Boniadi (bekannt aus „Homeland“) exzellent besetzt. Von deutscher Seite sind Christiane Paul sowie Liv Lisa Fries aus „Babylon Berlin“ dabei. Clever ausgeheckt, vortrefflich inszeniert und ausgestattet, gedreht größtenteils in Berlin mit Studio Babelsberg als Produktionspartner. Derzeit abrufbar bei Videoload, iTunes und Amazon in Deutsch und Englisch, kommissioniert ursprünglich vom US-Abokanal Starz.

„Die Stadt und die Stadt“, als Roman übrigens kongenial ins Deutsche übertragen, gibt es als gleichfalls gelungene Verfilmung unter dem Originaltitel „The City & the City“ als Vierteiler abrufbar bei Maxdome, Google Play, Amazon, iTunes, TV Now, Videoload. Produziert wurde der Vierteiler von der BBC. Die können so was.

Szenenfoto.

Szenenfoto.