Wenn „Der Spiegel” ins Schwärmen gerät

Mit dieser Überschrift möchte „Der Spiegel” Abonnenten locken: „Wie der »Game of Thrones«-Schöpfer jetzt den »Schwarm« verfilmt”. Gefolgt von der Einleitung: „Frank Doelger ist einer der mächtigen Strippenzieher des US-Fernsehens. Nach »Game of Thrones« inszeniert er nun den Klimawandel-Bestseller »Der Schwarm« als Visual-Effects-Spektakel – die teuerste deutsche Serie aller Zeiten.” Blöd daran: Frank Doelger ist nicht der Schöpfer von „Game of Thrones”, sondern war dort einer der Produktionsleiter. Seine Vita bei „Variety” gibt an: „Executive Producer non-Writing”.
Er führte bei „Der Schwarm” auch nicht Regie, wie das Verb „inszeniert” suggeriert.
Ebenso wenig ist Doelger „einer der mächtigen Strippenzieher des US-Fernsehens”. Vielmehr war er Teilhaber der Londoner Produktionsfirma Rainmark Films. Mittlerweile ist er in Berlin tätig, als Produktionschef („creative director”) von Intaglio Films, einem Joint Venture zwischen Beta Film und ZDF Studios. Ist doch für sich sehr interessant und eine Story wert. Warum muss man da noch Hintergründe erfinden?

Geziert, gedruckst, fachfremd – Feuilletonesisch in der Fernsehkritik

Es ging circa mit dem Siegeszug der „Sopranos“ einher, dass das deutsche Feuilleton Interesse am Wesen der Fernsehserie entwickelte. Man staunte über Begriffe wie „Showrunner“, „Writers’ Room“, „Miniseries“, das „Goldene Zeitalter des Fernsehens“, und weil man sie selbst zuvor nie gehört hatte, erklärte man das Bezeichnete kurzerhand zur Novität.
Nicht nur wurden, jegliche Sorgfaltspflicht in den Wind schießend, falsche Behauptungen aufgestellt, man pflegte seine Serienbesprechungen auch in einem gestelzten Feuilletonesisch abzufassen.
Viele Vertreter dieser Sparte schrieben ursprünglich über das Theater und schleusten Kriterien aus ihrem Erfahrungsbereich in die Film- und Fernsehkritik. Schauspielleistungen beurteilen sie nach den Maßgaben der Bühnenarchitektur, nicht nach den Erfordernissen der Kamera. Lob seitens feuilletonistischer Skribenten findet das theatralische Spiel, die ausholende Geste, die auch auf dem zweiten Theaterrang oben unterm Dach noch wahrgenommen werden kann. Die Kamera aber steht in Reichweite und verlangt von den Thespisjüngern subtileres Agieren, weil sie übertriebenes Chargieren naturgemäß potenziert. In der Praxis führt das zu Sätzen wie: „Höfels muss sich mit knappsten mimischem Proviant von einer Verdächtigten- [sic!] in eine Art Ersatz-Polizistinnen-Rolle hineinzwingen (…)“ Der Anwurf gilt der Schauspielerin Alwara Höfels, die in besagtem Fernsehkrimi dem Wesen einer frisch verwitweten, finanziell schlecht gestellten Mutter mit autistischem Kind sehr angemessen Ausdruck verlieh. Wer von Schauspielern Gesichtsakrobatik erwartet, sollte sich eine Saisonkarte für eine Freilichtbühne gönnen.
Einmal stieß im Rund eines Gremiums des Grimme-Preises ein Fernsehfilm auf bestenfalls verhaltenes Interesse. Eine Dame aber warf sich für die Einreichung in die Bresche mit der Begründung, der Hauptdarsteller feiere gerade in Berlin große Erfolge auf der Bühne. Deshalb sollte er nun also mit einem Fernsehpreis geehrt werden. Warum maßen sich solche Menschen an, über komplexe Künste wie Film und Fernsehen zu urteilen, die zu verstehen andere ein ganzes Hochschulstudium absolvieren? Umgekehrt lassen ja Fernsehkritiker auch das Theater unbehelligt. Sie haben mit ihrem eigenen Sujet genug zu tun.
Unkenntnis über die Aufgaben beim Dreh gebar einen verdrehten Stil, das Feuilletonesisch. „Unter der Regie von Anna Justice standen in weiteren Rollen (…) vor der Kamera von Matthias Neumann.“
Ähnlich zwei Beispiele, stellvertretend für viele aus der „F.A.Z.“: „So erstarrt, wie Tanja Schleiff die abermals traumatisierte Frau spielt, deren Eltern in ihrem Beisein ermordet wurden, agiert die Kamera von Wolfgang Wiesweg.“
„Andererseits wirkt die Bildsprache jetzt konziser, weil die Kamera von Andreas Doub sich konsequent anschleicht (…).“ Sind Matthias Neumann, Wolfgang Wiesweg und Andreas Doub
die Eigentümer der Kameras, haben sie sie für die Dreharbeiten leihweise zur Verfügung gestellt? I wo. Den beiden oblag die fotografische Bildgestaltung, in der Filmkunst die wichtigste Tätigkeit. Und ist die Kamera von einem bösen Geist besessen, dass sie sich mit konziser Wirkung konsequent anschleicht?
Eine gute Darstellerleistung kann durch eine schlechte Kameraführung zunichte gemacht werden. Umgekehrt kann ein guter Kameramann einer schlechten schauspielerischen Darbietung mit etwas Geschick und im Zusammenspiel mit dem Schnittmeister eventuell noch aufhelfen. Ava Gardner arbeitete nur mit Kameraleuten, von denen sie wusste, dass sie unter deren Lichtführung gut aussehen würde. Josef von Sternberg und seine Kameraleute verwendeten viel Zeit, um sicherzustellen, dass ein zarter Schatten unter Marlene Dietrichs Jochbein lag.
Warum ist es der feuilletonistischen Filmkritik nicht möglich, diesen angesehenen Berufsstand beim Namen zu nennen: Kameramann/Kamerafrau oder auch Bildgestalter/Bildgestalterin. Es hilft schon weiter, sich einfach mal Vor- und Nachspann anzuschauen.
Sprachhemmungen gibt es auch beim ehrenwerten Beruf des Drehbuchautors und der -autorin: „Auch gibt ihr das Drehbuch von Zora Holtfreter überraschende Sätze an die Hand.“ Gespenstisch – Drehbücher, die Dinge anreichen können … Und was macht man mit Sätzen in der Hand? Sollten sie nicht eher dem Munde entfleuchen? In der Praxis war es die Autorin Zora Holtfreter, unter dem Namen Zora Holt bekannt als Schauspielerin, die „überraschende Sätze“ ins Drehbuch schrieb und der Darstellerin zur Interpretation überließ.
An dem nachfolgend besprochenen Film waren offenbar gar keine menschlichen Wesen mehr beteiligt: „Buch und Regie verzichten jedoch darauf, die Geschichte fortan als Krimi zu erzählen.“ Ist es schon so weit gekommen mit der künstlichen Intelligenz?
Der Filmschnitt findet in Kritiktexten dieser Art so gut wie keine Beachtung, ist aber ebenfalls wesentlich für die Ästhetik und Wirkung sowohl filmischer Erzählungen wie auch der dokumentarischen Formen.
Zu bestem Feuilletonesisch inspirierte auch der Blick auf einen „… Krimi der ARD aus Dresden, wo Gorniak und Winkler, Karin Hanczewski und Cornelia Gröschel, im Vorspann zu Gorniaks Geburtstagsfeier aufbrechen.“ Ein feierwütiges Frauenquartett? Mitnichten. Hier werden Rollen- und Schauspielerinnennamen aufs Verwirrendste gereiht. Weniger gestelzt und üblich, weil lesefreundlicher wäre: Gorniak (Karin Hanczewski) und Winkler (Cornelia Gröschel). Die beschriebene Szene ereignete sich übrigens auch nicht wie behauptet im „Vorspann“ – das ist der Teil mit den vielen Namen –, sondern im Rahmen der Exposition.
Von all den bunten Fernsehbildern wohl vollends verwirrt berichtet der Berliner „Tagesspiegel“: „Den Film wie diesen hier kümmert Kunst nur, wenn sie Anlass für Verfolgungsjagden in Archiven gestattet.“
Immerhin erhält die Leserschaft mit solchen Sätzen ein deutliches Signal. Verrutscht der Jargon tief ins Feuilletonesische, empfiehlt es sich, schnellstens weiterzublättern eingedenk Harry Frankfurts klugen Worten: „Unsinn ist ein größerer Feind der Wahrheit, als es Lügen sind.“
Am Ende steckt der Kokolores gar noch an.

Der Traum von der Regentschaft der Kreativen

Eine rührend naive Bemerkung fand sich kürzlich auf faz.net. Claudia Reinhard berichtet über die Serienauswahl der diesjährigen Berliner Filmfestspiele und stellt fest, dass der „Trend zur Mini-Serie“ vor allem dort bestehe, „wo die künstlerische Vision im Vordergrund steht, wo die Kreativen die Zügel in der Hand haben und die monetäre Auswertung nicht das oberste Ziel ist. ‚Arthouse’ hätte man das früher genannt, heute spricht man von Produktionen für ‚Nischen’, die dann aber immer öfter doch das große Publikum erreichen, wie der Erfolg von ‚Stranger Things’ oder ‚Das Damengambit’ zeigt.“

Diese – in einer wirtschaftsnahen Zeitung schon doppelt verwunderliche – Vorstellung geistert bereits geraume Zeit durch die Feuilletons. Demzufolge haben in einer vermeintlich gründlich umgestalteten Produktionslandschaft „die Kreativen“ das Heft übernommen. Kaufleute und Buchhalter agieren nur noch als willige Erfüllungsgehilfen.

In der Realität gilt das weder fürs Arthouse-Kino noch für Mini- oder andere Serien. Wer je hinter die Kulissen eines sogenannten „Arthouse-Kinos“ blicken durfte, weiß, wie hier das Geld die Entscheidungen bestimmt. Nicht anders in den diversen Unternehmen, die das Produkt Film herstellen und vermarkten. Im Serienbereich schaue man sich an, wie schnell Produktionen beendet und / oder aus dem Programm geworfen werden, wenn sie die ökonomischen Erwartungen nicht erfüllen. Siehe beim Marktführer Netflix zum Beispiel „Sense8“ der Wachowski-Schwestern, „Marco Polo“ oder auch „Skylines“. Zur Amortisation trägt übrigens auch die Schleichwerbung bei. Ein Paradebeispiel liefert die Netflix-Serie „Ragnarök“.

Und die leitenden Produzenten, vulgo Showrunner, sind mitnichten unangreifbar, sondern abhängige Dienstleister auf einem Schleudersitz. Frank Darabont, Schöpfer, Regisseur und anfangs Showrunner des Serienerfolgs „The Walking Dead“, wurde nach anderthalb Staffeln entlassen und musste seine finanziellen Ansprüche auf dem Rechtsweg einfordern. Donald P. Bellisario verlor 2007 den Job als Showrunner bei der von ihm kreierten Serie „Navy CIS“. Über den Serienableger „Navy CIS: L. A.“ kam es auch hier zu einem Rechtstreit.

Der korrekte Begriff für Filme, bei denen „die monetäre Auswertung nicht das oberste Ziel ist“, lautet nicht „Arthouse“-, sondern Amateurfilm.

Noch ein Wort zu „Blochin“

Ob Ankündigungen des Senders oder Vorabbesprechungen, kaum eine Veröffentlichung zum ZDF-Fünfteiler „Blochin“ kam ohne den Begriff „horizontale Erzählung“ aus. Der kursiert im Rezensionswesen, seit die serielle TV-Erzählung als attraktives Thema entdeckt wurde, klingt nach Fachwissen und Innovation, so wie die Begriffe „Showrunner“ oder „Writer’s Room“. Nichts davon ist neu, es handelt sich um altbekannte Einrichtungen und Funktionen industrieller Serienfertigung, deren Genese im westlichen Kulturkreis bis zu den US-amerikanischen Radio-Soaps zurückreicht.

Fernsehserien sind seit einiger Zeit ein Modethema, vorrangig die US-amerikanischen und skandinavischen Produktionen. Die Hingabe der Feuilletons und mancher, teils skurriler Web-Seiten gilt der Fortsetzungserzählung, also dem „horizontalen Erzählen“, mit der Begründung, die epische TV-Serie habe den zeitgenössischen Roman eingeholt oder gar ersetzt. Auch kein neuer Gedanke – als das westdeutsche Fernsehen ab 1959 erstmals Mehrteiler wie „So weit die Füße tragen“ oder „Am grünen Strand der Spree“ (beides ARD/WDR) produzieren ließ, wurden diese Fortsetzungsstücke als „Fernseh-Romane“ bezeichnet. Es folgten dann vor allem Krimimehrteiler, die ARD-„Straßenfeger“ nach Vorlagen von Francis Durbridge oder auch semidokumentarische Stoffe wie „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ (ARD/NDR).

In eben dieser Tradition des großen Mehrteilers steht auch „Blochin“.

Fortsetzung unter http://www.medienkorrespondenz.de/fernsehen/artikel/matthias-glasermaxim-kuphal-potapenkolaura-lackmannsvenja-rasocha-blochin-die-lebenden-und-di.html

Blackout in der Programmgeschichtsschreibung

Die Hauptakteure v.l.n.r.: Tarik (Kaan Sahan), Nils (Tom Gramenz), Charlie (Sinje Irslinger), Dajana (Stephanie Amarell) und Patrizia (Luise Beford).Foto: WDR/Evang

In der April-Ausgabe der WDR-Hauszeitschrift „print“ widmet sich die Redaktion ausführlich der Jugendserie „Armands Geheimnis“, die am Karfreitag gestartet ist und mit jeweils mehreren Folgen übers Oster-Wochenende in den Morgenstunden ausgestrahlt wird. Ein weitgehend gelungenes Produkt, fortlaufend und mit zahlreichen Rückblenden auch diskontinuierlich erzählt. Diese Darreichungsform veranlasst den „Print“-Autor im Gespräch mit der WDR-Redakteurin Brigitta Mühlenbeck zu einer verwegenen Formulierung: „Das Serien-Event wird erstmalig ‚horizontal‘ erzählt.“

Weithin kursiert die Behauptung, das horizontale, wahlweise epische serielle Erzählen sei erst mit den „Sopranos“ entstanden; oftmals ist in diesem Zusammenhang von einer „Revolution“ die Rede. Ein moderner Medienmythos – siehe beispielsweise hier – ohne jede sachliche Grundlage. Denn natürlich hat es fortgesetzte Erzählungen und übrigens auch das Amt des sogenannten „Showrunners“ schon sehr viel früher gegeben – selbst in Deutschland. Im Jugendbereich beispielsweise die Arbeiten des jüngst verstorbenen Berengar Pfahl wie „Jerusalem, Jerusalem“ (1979), „Tanja“ (1997-2000) und andere. Schon der ersten Generation, die mit dem jungen Medium Fernsehen aufwuchs, waren demnach die sogenannten Cliffhanger nicht fremd. Dafür sorgte unter anderem Justus Pfaue mit Mehrteilern wie „Patrik Pacard“ (1984). Im Bereich der Familienserie beherrschte Heinz Oskar Wuttig das Metier der epischen Erzählung. In „Salto Mortale – Die Geschichte einer Artistenfamilie“ schickte er 1969 achtzehn Folgen lang einen Zirkus durch ganz Europa. Episodisch, aber auch mit übergreifenden Handlungssträngen in großer Ensemblebesetzung erzählt. Höchst modern also. Das ZDF pflegte lange die sozialkritische Serie mit Titeln wie „Familie Mack verändert sich“ (1969), „Alles Gute, Köhler“ (1973), „Unser Walter“ (1974).

Der Beispiele wären noch viele. Auch RTL-Zuschauern ist die Fortsetzungserzählung nicht fremd. Dort gab es die modernisierte Neuauflage von „Auf der Flucht“, die in der RTL-Version „Eine Frau wird gejagt“ hieß und eine weibliche Hauptfigur (Nicola Tiggeler) um den Beweis ihrer Unschuld ringen ließ. Ein ganz anderes Thema hatte „Bruder Esel“, die vom Hauptdarsteller Dieter Pfaff angeregte Erzählung um einen Franziskanerpater, der das Klosterleben der Liebe wegen aufgibt.

Man muss vielleicht auch einmal daran erinnern, dass das deutsche Publikum bis heute nicht gerade nach Fortsetzungs-Thrillern giert. Sat.1 bekam dies 2006 mit der ambitionierten, bis in die Nebenrollen exzellent besetzten Serie „Blackout – Die Erinnerung ist tödlich“ schmerzlich zu spüren. Die Publikumsverweigerung wiederholte sich im Jahre darauf beim „NYPD Blue“- und „Homicide – Life On The Streets“-Remix des ZDF namens „KDD – Kriminaldauerdienst“ und schließlich 2010 in der ARD bei „Im Angesicht des Verbrechens“.

Die deutschen Sender wären mithin gut beraten, ihre absurde „Me too“-Haltung aufzugeben, mit der sie sich Epigonentum attestieren, statt die eigenen Traditionen und Leistungen herauszustellen. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer klügeren Öffentlichkeitsarbeit. Zugleich könnte auf diese Weise den in Print und Web umgehenden, teils grotesk in die Irre führenden, dennoch fortwährend reproduzierten Darstellungen zur Geschichte des seriellen Erzählens zumindest ansatzweise begegnet werden. Im Sinne des angestammten Bildungsauftrags, der auch die Programmhistorie des eigenen Mediums einschließt.

 

Rezensionen. Revolutionen. Revisionen.

Einst Verfemtes wird nobilitiert: Neuere US-Serien in der deutschen Kulturkritik

Der Kanon ist bekannt. Wer in diesen Tagen im kulturjournalistischen Bereich tätig werden möchte, sollte sie kennen: „Die Sopranos“, „The Wire“, „Breaking Bad“, „House of Cards“. Keine dickleibigen Romane, sondern Fernsehserien. Noch dazu solche aus US-amerikanischer Produktion, Erzeugnisse also einer kapitalistischen Kulturindustrie. Diese und einige andere Titel sind als Kulturgut anerkannt, sie liefern Referenzsysteme und sind zitabel. Man darf als Rezensent mittlerweile sogar zeitgenössische Romane daran messen, ob sie in Sachen erzählerischer Finesse, epischer Breite und vor allem Gegenwartsbezug mit den genannten Serien, zu denen sich noch skandinavische Titel wie die Politserie „Borgen“ gesellen, mithalten können.

Als mit der Moderne noch gehadert wurde

Einzeltitel wie die Serien „Roots“ (1977) und insbesondere „Holocaust“ (1978) wurden seinerzeit ausnahmsweise auf den Kulturseiten der Intelligenzblätter diskutiert. So intensiv aber und umfänglich wie derzeit haben sich Kulturjournalisten in Deutschland noch nie mit den Fortsetzungsgeschichten des Fernsehens befasst.
Etwas anders verhielt es sich mit den Medien- beziehungsweise Fernsehseiten der Tageszeitungen, aber auch bei den dort verantwortlichen Redakteuren herrschten Vorbehalte – entsprechende Themenvorschläge stießen häufig auf herablassende, oft genug belustigte Ablehnung.
Im Rahmen der institutionalisierten Kritik war diese Abneigung besonders spürbar. 1995 bewegte sich die ARD mit ihrer Vorabendserie „Die Partner“ mal ganz auf der Höhe der Zeit: gestische, reportageartige Kamera wie bei „N.Y.P.D. Blue“, tolle Filmmusik von Barbara Dennerlein, Ironie, ambivalente Figuren und offene Erzählverläufe, passgenau besetzt mit Ann-Kathrin Kramer, Jan Josef Liefers, Ulrich Noethen und Heinrich Gieskes sowie sorgfältig ausgewählten Gaststars. Gründe genug, die Produktion für einen Grimme-Preis zumindest in Betracht zu ziehen. Doch in der zuständigen Sichtungskommission klappten beim Bandstart augenblicklich alle Visiere nach unten. Was heute als Tugend gilt, wurde damals naserümpfend als wirr und unverständlich abgelehnt.

Vorher „nur“ Fernsehen

Umso bemerkenswerter der Umschwung, der vor etwa vier Jahren einsetzte. Mancher Versuch, die vordem verfemte Form zu nobilitieren, wirkte geradezu rührend: „‚The Wire‘ ist eben nichts völlig anderes als die Romane und Erzählungen, mit denen ich sonst meine Tage und Nächte verbringe“, verteidigte sich Richard Kämmerlings 2010 in der „F.A.Z.“ gegen potenzielle Vorbehalte. (…)

Weiter geht es in der aktuellen Ausgabe der „Funkkorrespondenz“, Heft 43-44, 24. Oktober 2014, S. 9-16.

Die Grenzen der Showrunner

Zur Debatte rund um das Serienschaffen in Deutschland, den skandinavischen und angelsächsischen Ländern lieferte „zukunft 1908“ einen Beitrag (siehe Kommentare zum Text „Bloß kein Kopfzerbrechen“). Viele Positionen entsprechen denen des Betreibers dieses Blogs. Es gibt dort aber auch eine Passage, die der Relativierung beziehungsweise Ergänzung bedarf: „Das Problem, das die deutsche Serie kaputt macht, sie im Vergleich zu ihren amerikanischen Konkurrenten erbärmlich erscheinen lässt, ist das Fehlen der Showrunner. Angelsächsische Serien haben eine Handschrift – von einem Kreativen. Da gibt es die Showrunner, die die kreative Verwantwortung tragen und die, wenn eine Serie richtig gut läuft, damit auch richtig gutes Geld verdienen können. Es ist in ihrem Interesse, dass ihre Serien geil werden, denn eine geile Serie füllt ihre Brieftaschen.“

Der sogenannte „Showrunner“ ist seit einiger Zeit in deutschen Kulturfeuilletons zu einer Art Held geworden. In ihm meinen die Berichterstatter jene Autorenpersönlichkeit gefunden zu haben, die offenbar unabdingbar zu sein scheint für das Entstehen hochwertiger Kunst. Dabei gibt es längst schon in allen künstlerischen Bereichen auch hochrangige Werke, die aus kollektiver Tätigkeit hervorgegangen sind. Doch das wird seit je in der Filmkritik mit ihrem starren Blick auf den Regisseur vernachlässigt, nun auch bei der Fernsehproduktion. Bei Kinorezensionen ist bezeichnend, dass noch immer vom Autorenfilm und der Autorentheorie die Rede ist, obgleich die Kritiker der „Cahier du Cinema“ in Wahrheit von einer „Autorenpolitik“ gesprochen hatten. Und der große Kinofilm ist so gut wie immer eine Ensembleleistung. Die alljährliche „Oscar“-Verleihung mit ihren Preisen für die diversen Gewerke macht es anschaulich, aber manche Kritiker nehmen es noch immer nicht zur Kenntnis.

Unter anderem deshalb blickten die Feuilletons jahrzehntelang mit Verachtung aufs Fernsehen: Es war dort nicht auf Anhieb ein Autor, eine Künstlerpersönlichkeit auszumachen, die vergöttert werden konnte. Zwei Dinge änderten die Rezeption: Neue Vertriebsarten wie DVD und Internet, die eine Serienstaffel komplett und damit als kohärentes Werk verfügbar machte. Und die Entdeckung, dass in der Serienproduktion anders als im Kinobereich nicht der Regisseur als zentrale kreative Kraft agiert, sondern der Autorenproduzent, der nicht zwingend mit dem Schöpfer, dem „Creator“ identisch sein muss.

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